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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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haben. Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und
stark gewesen, weil die Natur dort nicht so unter¬
stützte; eben desswegen setzte man vermuthlich dorthin
den Tempel des Herkules, um die Bürger an der
schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erin¬
nern: eben desswegen liegen wahrscheinlich dort Tem¬
pel und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst
die Stadt mehrere Mahl eingenommen wurde. Was
ich aus dem sogenannten Grabmahl Hierons machen
soll, weiss ich nicht; ich überlasse es mit dem übrigen
ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt zu
werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem Maul¬
eseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt:
Kischt' e il lempio di San Gregoli; Kischta Madonna
e antica:
und wer es nicht glauben will, anathema sit.
Der gute Mensch hat mich recht herzlich in Affektion
genommen, und meint es recht gut; vorzüglich zeigt
er mir gewissenhaft alle Klöster und sagt mir, wie
reich sie sind. Nun interessieren mich die Klöster
und ihre Bewohner nur kat antiphrasin tes kalokagathias;
ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rap¬
port halb unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom:
Ich wollte es wären Schweinställe! Weiss der Himmel,
was der fromme Kerl verstanden haben mochte; Si si,
Signore, dice bene, sagte er treuherzig; kischt' e la
cosa
. Er rechnete es mir hoch an, dass er italiänisch
sprach und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit
denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam
ich mit seinen Landsleuten in ihrem Jargon noch so
ziemlich ohne ihn fort. Auf der heutigen Promenade
erzählte er mir von einer kleinen Stadt nicht weit von

haben. Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und
stark gewesen, weil die Natur dort nicht so unter¬
stützte; eben deſswegen setzte man vermuthlich dorthin
den Tempel des Herkules, um die Bürger an der
schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erin¬
nern: eben deſswegen liegen wahrscheinlich dort Tem¬
pel und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst
die Stadt mehrere Mahl eingenommen wurde. Was
ich aus dem sogenannten Grabmahl Hierons machen
soll, weiſs ich nicht; ich überlasse es mit dem übrigen
ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt zu
werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem Maul¬
eseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt:
Kischt' è il lempiò di San Gregoli; Kischta Madonna
è antica:
und wer es nicht glauben will, anathema sit.
Der gute Mensch hat mich recht herzlich in Affektion
genommen, und meint es recht gut; vorzüglich zeigt
er mir gewissenhaft alle Klöster und sagt mir, wie
reich sie sind. Nun interessieren mich die Klöster
und ihre Bewohner nur ϰατ̕ αντιφϱασιν της ϰαλοϰαγαϑιας;
ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rap¬
port halb unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom:
Ich wollte es wären Schweinställe! Weiſs der Himmel,
was der fromme Kerl verstanden haben mochte; Si si,
Signore, dice bene, sagte er treuherzig; kischt' è la
cosa
. Er rechnete es mir hoch an, daſs er italiänisch
sprach und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit
denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam
ich mit seinen Landsleuten in ihrem Jargon noch so
ziemlich ohne ihn fort. Auf der heutigen Promenade
erzählte er mir von einer kleinen Stadt nicht weit von

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[219/0245] haben. Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort nicht so unter¬ stützte; eben deſswegen setzte man vermuthlich dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erin¬ nern: eben deſswegen liegen wahrscheinlich dort Tem¬ pel und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehrere Mahl eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmahl Hierons machen soll, weiſs ich nicht; ich überlasse es mit dem übrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem Maul¬ eseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt: Kischt' è il lempiò di San Gregoli; Kischta Madonna è antica: und wer es nicht glauben will, anathema sit. Der gute Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft alle Klöster und sagt mir, wie reich sie sind. Nun interessieren mich die Klöster und ihre Bewohner nur ϰατ̕ αντιφϱασιν της ϰαλοϰαγαϑιας; ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rap¬ port halb unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: Ich wollte es wären Schweinställe! Weiſs der Himmel, was der fromme Kerl verstanden haben mochte; Si si, Signore, dice bene, sagte er treuherzig; kischt' è la cosa. Er rechnete es mir hoch an, daſs er italiänisch sprach und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt nicht weit von

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/245>, abgerufen am 28.03.2024.