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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar
immer in der Insel; aber man kommt nicht immer
geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen
in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen,
kann man eigentlich gar nicht sagen, dass in Sicilien
Wege sind. Es sind bloss Mauleseltriften, die sich oft
so verlieren, dass man mit ganzer Aufmerksamkeit
den Hufen nachspüren muss. Der König selbst kann
in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreal,
Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wa¬
gen gehen: will er weiter, so muss seine Majestät sich
gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen Maul¬
esel zu besteigen. Das lässt er denn wohl bleiben,
und desswegen geht es auch noch etwas schlechter als
gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr
selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach
Caltagirone zu gehen; das that ich als ein Wildfrem¬
der. Aber ich war kaum ein Stündchen gegangen, als
ich in einen ziemlich grossen Wald perennierender Ei¬
chen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in
Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich mich
nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem
ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze
nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in
den Thälern und grosse zahlreiche Heerden. Um Cal¬
tagirone herum ist die Kultur noch am leidlichsten;
man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, wel¬
che auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat
rund umher schöne angränzende Thäler, und es
herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche Wohlha¬
benheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe

man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar
immer in der Insel; aber man kommt nicht immer
geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen
in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen,
kann man eigentlich gar nicht sagen, daſs in Sicilien
Wege sind. Es sind bloſs Mauleseltriften, die sich oft
so verlieren, daſs man mit ganzer Aufmerksamkeit
den Hufen nachspüren muſs. Der König selbst kann
in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreal,
Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wa¬
gen gehen: will er weiter, so muſs seine Majestät sich
gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen Maul¬
esel zu besteigen. Das läſst er denn wohl bleiben,
und deſswegen geht es auch noch etwas schlechter als
gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr
selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach
Caltagirone zu gehen; das that ich als ein Wildfrem¬
der. Aber ich war kaum ein Stündchen gegangen, als
ich in einen ziemlich groſsen Wald perennierender Ei¬
chen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in
Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich mich
nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem
ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze
nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in
den Thälern und groſse zahlreiche Heerden. Um Cal¬
tagirone herum ist die Kultur noch am leidlichsten;
man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, wel¬
che auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat
rund umher schöne angränzende Thäler, und es
herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche Wohlha¬
benheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe

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[234/0260] man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann man eigentlich gar nicht sagen, daſs in Sicilien Wege sind. Es sind bloſs Mauleseltriften, die sich oft so verlieren, daſs man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren muſs. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wa¬ gen gehen: will er weiter, so muſs seine Majestät sich gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen Maul¬ esel zu besteigen. Das läſst er denn wohl bleiben, und deſswegen geht es auch noch etwas schlechter als gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das that ich als ein Wildfrem¬ der. Aber ich war kaum ein Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich groſsen Wald perennierender Ei¬ chen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich mich nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern und groſse zahlreiche Heerden. Um Cal¬ tagirone herum ist die Kultur noch am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, wel¬ che auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat rund umher schöne angränzende Thäler, und es herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche Wohlha¬ benheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/260>, abgerufen am 28.03.2024.