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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Ueber den Namen der Stadt habe ich nichts gehört
und gelesen; welches freylich nicht viel sagen will,
da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen,
er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit da¬
von rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee
der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzäh¬
len und die Naturgeschichte manches zu sagen hat.
Wäre ich nicht allein gewesen, oder hätte mehr Zeit,
oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer
Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.

Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der
überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus
Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, grosse,
schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist.
Rechts und links griffen rund herum die hohen felsi¬
gen Bergketten, die es einschliessen und von Noto und
Mazzara trennen; und in dem Grunde gegen über
stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneyten
Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte Rauch¬
säule in der reinen Luft empor stieg, und sich lang¬
sam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen
des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu
Lande noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen
Küste in Agrigent vor dem Thore des Schulgebäudes
zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken;
aber mein Auge war nicht scharf genug ihn deutlich
zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe
in seiner ganzen furchtbaren Grösse vor mir. Kata¬
nien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man
es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen
alten Oelbaum, der der Athene Polias Ehre gemacht

Ueber den Namen der Stadt habe ich nichts gehört
und gelesen; welches freylich nicht viel sagen will,
da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen,
er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit da¬
von rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee
der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzäh¬
len und die Naturgeschichte manches zu sagen hat.
Wäre ich nicht allein gewesen, oder hätte mehr Zeit,
oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer
Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.

Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der
überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus
Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, groſse,
schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist.
Rechts und links griffen rund herum die hohen felsi¬
gen Bergketten, die es einschlieſsen und von Noto und
Mazzara trennen; und in dem Grunde gegen über
stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneyten
Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte Rauch¬
säule in der reinen Luft empor stieg, und sich lang¬
sam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen
des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu
Lande noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen
Küste in Agrigent vor dem Thore des Schulgebäudes
zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken;
aber mein Auge war nicht scharf genug ihn deutlich
zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe
in seiner ganzen furchtbaren Gröſse vor mir. Kata¬
nien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man
es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen
alten Oelbaum, der der Athene Polias Ehre gemacht

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[236/0262] Ueber den Namen der Stadt habe ich nichts gehört und gelesen; welches freylich nicht viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen, er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit da¬ von rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzäh¬ len und die Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein gewesen, oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht. Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, groſse, schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist. Rechts und links griffen rund herum die hohen felsi¬ gen Bergketten, die es einschlieſsen und von Noto und Mazzara trennen; und in dem Grunde gegen über stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneyten Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte Rauch¬ säule in der reinen Luft empor stieg, und sich lang¬ sam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent vor dem Thore des Schulgebäudes zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug ihn deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe in seiner ganzen furchtbaren Gröſse vor mir. Kata¬ nien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, der der Athene Polias Ehre gemacht

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/262>, abgerufen am 20.04.2024.