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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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ses Behältniss hat durch Erdbeben gelitten; an der
tiefen Höhle selbst aber oder an dem eigentlichen
Ohre ist kein Schade geschehen. Gleich an dem Ein¬
gang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt;
die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammenge¬
stürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es lässt
sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine
Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen
verdeckten Gang in das Gefängniss geführt, durch wel¬
che der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hier¬
her brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht
loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände ge¬
macht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor
einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Englän¬
dern in das obere kleine Behältniss bringen lassen und
eine Menge Experimente gemacht; man höre aber
nichts als ein verworrenes dumpfes Geräusch.

Die Spiessbürger von Syrakus lassen sich aber den
hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern
Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey
einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber un¬
gefähr so: "Wozu soll das Kämmerchen oben gewe¬
sen seyn? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wo¬
zu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem
sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit
bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst
entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage
nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben
nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, dass
man ehedem nichts deutlich hörte. Die Erdbeben
haben an dem Eingange vieles zertrümmert und ein¬

ses Behältniſs hat durch Erdbeben gelitten; an der
tiefen Höhle selbst aber oder an dem eigentlichen
Ohre ist kein Schade geschehen. Gleich an dem Ein¬
gang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt;
die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammenge¬
stürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es läſst
sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine
Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen
verdeckten Gang in das Gefängniſs geführt, durch wel¬
che der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hier¬
her brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht
loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände ge¬
macht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor
einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Englän¬
dern in das obere kleine Behältniſs bringen lassen und
eine Menge Experimente gemacht; man höre aber
nichts als ein verworrenes dumpfes Geräusch.

Die Spieſsbürger von Syrakus lassen sich aber den
hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern
Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey
einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber un¬
gefähr so: „Wozu soll das Kämmerchen oben gewe¬
sen seyn? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wo¬
zu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem
sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit
bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst
entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage
nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben
nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daſs
man ehedem nichts deutlich hörte. Die Erdbeben
haben an dem Eingange vieles zertrümmert und ein¬

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[251/0277] ses Behältniſs hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade geschehen. Gleich an dem Ein¬ gang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammenge¬ stürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es läſst sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten Gang in das Gefängniſs geführt, durch wel¬ che der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hier¬ her brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände ge¬ macht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Englän¬ dern in das obere kleine Behältniſs bringen lassen und eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein verworrenes dumpfes Geräusch. Die Spieſsbürger von Syrakus lassen sich aber den hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber un¬ gefähr so: „Wozu soll das Kämmerchen oben gewe¬ sen seyn? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wo¬ zu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daſs man ehedem nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange vieles zertrümmert und ein¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/277>, abgerufen am 25.04.2024.