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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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tanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort
auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben
so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle
versichert, dass sie sich bis nach Gosslar erstrecke.

Der Sommer muss hier zuweilen schon fürchter¬
lich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem ge¬
wissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, wel¬
cher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen
Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne,
die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der
Sirocko soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn:
man finde nachher in einem solchen Grade alles ver¬
dorret, dass man es sogleich zu Asche reiben könne.
Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch der Hagel,
der hier zuweilen falle, sey so gross und scharf, dass
er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume
nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die
zwey gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Si¬
cilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Be¬
deutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen
und man hat seit zehen Jahren wieder den ersten
Schnee aber auch nur auf einige Stunden in Syrakus
gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, besonders für
die Jugend, denen so etwas eine sehr grosse Erschei¬
nung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den
Gipfeln ferner Berge.

Syrakus kommt immer mehr und mehr in Ver¬
fall; die Regierung scheint sich durchaus um nichts
zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuer¬
revisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben.
Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als

tanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort
auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben
so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle
versichert, daſs sie sich bis nach Goſslar erstrecke.

Der Sommer muſs hier zuweilen schon fürchter¬
lich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem ge¬
wissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, wel¬
cher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen
Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne,
die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der
Sirocko soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn:
man finde nachher in einem solchen Grade alles ver¬
dorret, daſs man es sogleich zu Asche reiben könne.
Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch der Hagel,
der hier zuweilen falle, sey so groſs und scharf, daſs
er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume
nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die
zwey gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Si¬
cilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Be¬
deutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen
und man hat seit zehen Jahren wieder den ersten
Schnee aber auch nur auf einige Stunden in Syrakus
gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, besonders für
die Jugend, denen so etwas eine sehr groſse Erschei¬
nung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den
Gipfeln ferner Berge.

Syrakus kommt immer mehr und mehr in Ver¬
fall; die Regierung scheint sich durchaus um nichts
zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuer¬
revisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben.
Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als

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[263/0289] tanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle versichert, daſs sie sich bis nach Goſslar erstrecke. Der Sommer muſs hier zuweilen schon fürchter¬ lich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem ge¬ wissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, wel¬ cher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in einem solchen Grade alles ver¬ dorret, daſs man es sogleich zu Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so groſs und scharf, daſs er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Si¬ cilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Be¬ deutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr groſse Erschei¬ nung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den Gipfeln ferner Berge. Syrakus kommt immer mehr und mehr in Ver¬ fall; die Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuer¬ revisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/289>, abgerufen am 19.04.2024.