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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Eu¬
ryalus sass, der würdige patriotisch eifernde Mann
über das grosse traurige Feld seiner Vaterstadt hin¬
blickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte:
Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf
das kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe
während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm ei¬
nen der reinsten und liebenswürdigsten Charakter ge¬
funden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus
von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels
und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von
Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus al¬
lein hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze
Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und
dieser ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zü¬
gen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner
sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man
bey der grossen Bevölkerung Korn nach Rom, und die
Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt
gehalten. Neulich ist man genöthiget gewesen, Getrei¬
de aus der Levante kommen zu lassen, damit die we¬
nigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht
Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf
die Regierung und den Minister in Neapel schreiben?
Man giebt der physischen Verschlimmerung des Lan¬
des durch die Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die
Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen.
Wenn man die Gipfel der Riesen, des Aetna, des Eryx,
des Taurus und einige Felsenparthien ausnimmt, könnte
von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran
wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Ge¬

ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Eu¬
ryalus saſs, der würdige patriotisch eifernde Mann
über das groſse traurige Feld seiner Vaterstadt hin¬
blickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte:
Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf
das kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe
während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm ei¬
nen der reinsten und liebenswürdigsten Charakter ge¬
funden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus
von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels
und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von
Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus al¬
lein hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze
Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und
dieser ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zü¬
gen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner
sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man
bey der groſsen Bevölkerung Korn nach Rom, und die
Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt
gehalten. Neulich ist man genöthiget gewesen, Getrei¬
de aus der Levante kommen zu lassen, damit die we¬
nigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht
Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf
die Regierung und den Minister in Neapel schreiben?
Man giebt der physischen Verschlimmerung des Lan¬
des durch die Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die
Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen.
Wenn man die Gipfel der Riesen, des Aetna, des Eryx,
des Taurus und einige Felsenparthien ausnimmt, könnte
von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran
wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Ge¬

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[264/0290] ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Eu¬ ryalus saſs, der würdige patriotisch eifernde Mann über das groſse traurige Feld seiner Vaterstadt hin¬ blickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm ei¬ nen der reinsten und liebenswürdigsten Charakter ge¬ funden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus al¬ lein hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zü¬ gen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man bey der groſsen Bevölkerung Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget gewesen, Getrei¬ de aus der Levante kommen zu lassen, damit die we¬ nigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der physischen Verschlimmerung des Lan¬ des durch die Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Ge¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/290>, abgerufen am 23.04.2024.