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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches englisches
Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bru¬
der oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte,
dass ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen
zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche
Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen:
es würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in
der frühen Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hin¬
auf zu kommen. Er erzählte mir von einigen West¬
phalen, die es auch bey der nehmlichen Jahrszeit ge¬
wagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären
und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich liess
mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja
nicht werth gewesen nordamerikanischen und russi¬
schen Winter erlebt zu haben.

Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte,
und steht im Kredit, dass es damit viel gutes thut.
Das heisst aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulen¬
zer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beyde
dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht
will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser al¬
ter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünf¬
tig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe.

Eine schöne Promenade ist der Garten dieses
nehmlichen Klosters, der hinter den Gebäuden auf lau¬
ter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts
und gerade aus die schönste Aussicht auf den Berg und
das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder
geben dem Ganzen das Ansehen einer grossen mäch¬
tigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten, neben
dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kano¬

Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches englisches
Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bru¬
der oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte,
daſs ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen
zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche
Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen:
es würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in
der frühen Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hin¬
auf zu kommen. Er erzählte mir von einigen West¬
phalen, die es auch bey der nehmlichen Jahrszeit ge¬
wagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären
und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich lieſs
mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja
nicht werth gewesen nordamerikanischen und russi¬
schen Winter erlebt zu haben.

Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte,
und steht im Kredit, daſs es damit viel gutes thut.
Das heiſst aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulen¬
zer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beyde
dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht
will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser al¬
ter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünf¬
tig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe.

Eine schöne Promenade ist der Garten dieses
nehmlichen Klosters, der hinter den Gebäuden auf lau¬
ter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts
und gerade aus die schönste Aussicht auf den Berg und
das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder
geben dem Ganzen das Ansehen einer groſsen mäch¬
tigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten, neben
dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kano¬

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[278/0304] Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches englisches Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bru¬ der oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte, daſs ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in der frühen Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hin¬ auf zu kommen. Er erzählte mir von einigen West¬ phalen, die es auch bey der nehmlichen Jahrszeit ge¬ wagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich lieſs mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja nicht werth gewesen nordamerikanischen und russi¬ schen Winter erlebt zu haben. Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte, und steht im Kredit, daſs es damit viel gutes thut. Das heiſst aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulen¬ zer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beyde dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser al¬ ter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünf¬ tig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe. Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nehmlichen Klosters, der hinter den Gebäuden auf lau¬ ter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts und gerade aus die schönste Aussicht auf den Berg und das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder geben dem Ganzen das Ansehen einer groſsen mäch¬ tigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten, neben dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kano¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/304>, abgerufen am 29.03.2024.