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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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habt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an
das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er
vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und
hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich wird
er in Katanien oder Malta zu kurieren haben. Du
kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in ei¬
ner kleinen Entfernung in der Gegend ist: unten bey
Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste
stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man
Hände und Füsse. Nun ritten wir noch immer mit
dem Gewitter durch die Waldregion nach Nikolosi
hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der
Wirth aus dem goldenen Löwen in Katanien kontrakt¬
mässg angeschaft hatte. Wir nahmen Abschied; die
Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich mei¬
nes Weges hierher nach Taormina.

Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit
so vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine
Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geogra¬
phischen Verzeichniss wurde er hier beträchtlich höher
angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die
mathematischen Geographen ausmachen. Der Profes¬
sor Gambino aus Katanien will diesen August mit ei¬
ner Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere
Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das
Sprichwort vom Aetna: On le voit toujours le cha¬
peau blanc et la pipe a la bouche. -- Der Schnee
soll nie ganz schmelzen; das ist in einem so sehr süd¬
lichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien mei¬
stens, wie bekannt, Monte Gibello: aber man nennt
ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Si¬

habt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an
das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er
vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und
hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich wird
er in Katanien oder Malta zu kurieren haben. Du
kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in ei¬
ner kleinen Entfernung in der Gegend ist: unten bey
Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste
stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man
Hände und Füſse. Nun ritten wir noch immer mit
dem Gewitter durch die Waldregion nach Nikolosi
hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der
Wirth aus dem goldenen Löwen in Katanien kontrakt¬
mäſsg angeschaft hatte. Wir nahmen Abschied; die
Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich mei¬
nes Weges hierher nach Taormina.

Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit
so vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine
Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geogra¬
phischen Verzeichniſs wurde er hier beträchtlich höher
angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die
mathematischen Geographen ausmachen. Der Profes¬
sor Gambino aus Katanien will diesen August mit ei¬
ner Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere
Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das
Sprichwort vom Aetna: On le voit toujours le cha¬
peau blanc et la pipe à la bouche. — Der Schnee
soll nie ganz schmelzen; das ist in einem so sehr süd¬
lichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien mei¬
stens, wie bekannt, Monte Gibello: aber man nennt
ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Si¬

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[294/0320] habt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich wird er in Katanien oder Malta zu kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in ei¬ ner kleinen Entfernung in der Gegend ist: unten bey Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und Füſse. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die Waldregion nach Nikolosi hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der Wirth aus dem goldenen Löwen in Katanien kontrakt¬ mäſsg angeschaft hatte. Wir nahmen Abschied; die Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich mei¬ nes Weges hierher nach Taormina. Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geogra¬ phischen Verzeichniſs wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die mathematischen Geographen ausmachen. Der Profes¬ sor Gambino aus Katanien will diesen August mit ei¬ ner Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das Sprichwort vom Aetna: On le voit toujours le cha¬ peau blanc et la pipe à la bouche. — Der Schnee soll nie ganz schmelzen; das ist in einem so sehr süd¬ lichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien mei¬ stens, wie bekannt, Monte Gibello: aber man nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Si¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/320>, abgerufen am 29.03.2024.