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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts;
ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen
und beschreiben.

Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Ge¬
sellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau
gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt ge¬
fühlt hätte seine Arbeiten zu sehen: und doch halte
ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt
kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes
Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung.
Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der al¬
ten ächten Schule etwas nachgelassen, und seine eigene
blühende unaussprechlich reizende Grazie dafür aus¬
gegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was
Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch wel¬
che er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen,
unter die Nebulisten gerieth. Beyde schmeicheln; aber
Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und Oeser
schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir
noch manches von Warschau, wo wir beyde in der
grossen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte
fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust
von fünftausend Dukaten erlitten, und musste wäh¬
rend der Belagerung bey dem Bürgerkorps als Korpo¬
ral zehn Mann kommandieren. Stelle Dir den sanf¬
ten Künstler auf einer Batterie mit einer Korporal¬
schaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln
durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freund¬
schaft und Kunstsinn brachten den guten Mann end¬
lich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur
Entfernung von dem schrecklichen Schauplatz aus¬

nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts;
ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen
und beschreiben.

Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Ge¬
sellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau
gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt ge¬
fühlt hätte seine Arbeiten zu sehen: und doch halte
ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt
kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes
Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung.
Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der al¬
ten ächten Schule etwas nachgelassen, und seine eigene
blühende unaussprechlich reizende Grazie dafür aus¬
gegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was
Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch wel¬
che er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen,
unter die Nebulisten gerieth. Beyde schmeicheln; aber
Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und Oeser
schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir
noch manches von Warschau, wo wir beyde in der
groſsen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte
fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust
von fünftausend Dukaten erlitten, und muſste wäh¬
rend der Belagerung bey dem Bürgerkorps als Korpo¬
ral zehn Mann kommandieren. Stelle Dir den sanf¬
ten Künstler auf einer Batterie mit einer Korporal¬
schaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln
durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freund¬
schaft und Kunstsinn brachten den guten Mann end¬
lich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur
Entfernung von dem schrecklichen Schauplatz aus¬

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[7/0033] nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts; ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen und beschreiben. Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Ge¬ sellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt ge¬ fühlt hätte seine Arbeiten zu sehen: und doch halte ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung. Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der al¬ ten ächten Schule etwas nachgelassen, und seine eigene blühende unaussprechlich reizende Grazie dafür aus¬ gegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch wel¬ che er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beyde schmeicheln; aber Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und Oeser schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir noch manches von Warschau, wo wir beyde in der groſsen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust von fünftausend Dukaten erlitten, und muſste wäh¬ rend der Belagerung bey dem Bürgerkorps als Korpo¬ ral zehn Mann kommandieren. Stelle Dir den sanf¬ ten Künstler auf einer Batterie mit einer Korporal¬ schaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freund¬ schaft und Kunstsinn brachten den guten Mann end¬ lich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem schrecklichen Schauplatz aus¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/33>, abgerufen am 28.03.2024.