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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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trefliche Artischocken: das Dessert bestand aus Lattich¬
sallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Ka¬
stanien und Nüssen: alles, und vorzüglich das Brot,
war von der besten Qualität, und schon einzeln quan¬
tum satis superque
. Vor allen habe ich die Kastanien
nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden.
Nun frage ich Dich, heisst das nicht, mit diesen Fasten
einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde
in den Leib jagen? Bey dieser Diät muss man frey¬
lich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft
verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am
Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die
Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das
nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag.
Meine fusswandelnde Person war wohl nicht so wich¬
tig, dass man desswegen eine Aenderung in der Klo¬
sterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich
oben in dem unausgebauten Kloster herum, und
zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man da¬
zu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom
Himmel zum Heil der Menschheit, die Sottise soll
nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase
mag gesessen haben, weiss ich nicht; die Herren zeig¬
ten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkei¬
ten. Hier las man mir ein Manuskript von einem
Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte
der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch
schätzte: aber nach dem zu urtheilen, was davon ge¬
lesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, dass
der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint
bloss für Mönche pragmatisch.

trefliche Artischocken: das Dessert bestand aus Lattich¬
sallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Ka¬
stanien und Nüssen: alles, und vorzüglich das Brot,
war von der besten Qualität, und schon einzeln quan¬
tum satis superque
. Vor allen habe ich die Kastanien
nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden.
Nun frage ich Dich, heiſst das nicht, mit diesen Fasten
einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde
in den Leib jagen? Bey dieser Diät muſs man frey¬
lich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft
verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am
Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die
Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das
nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag.
Meine fuſswandelnde Person war wohl nicht so wich¬
tig, daſs man deſswegen eine Aenderung in der Klo¬
sterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich
oben in dem unausgebauten Kloster herum, und
zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man da¬
zu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom
Himmel zum Heil der Menschheit, die Sottise soll
nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase
mag gesessen haben, weiſs ich nicht; die Herren zeig¬
ten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkei¬
ten. Hier las man mir ein Manuskript von einem
Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte
der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch
schätzte: aber nach dem zu urtheilen, was davon ge¬
lesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, daſs
der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint
bloſs für Mönche pragmatisch.

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[304/0330] trefliche Artischocken: das Dessert bestand aus Lattich¬ sallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Ka¬ stanien und Nüssen: alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität, und schon einzeln quan¬ tum satis superque. Vor allen habe ich die Kastanien nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich Dich, heiſst das nicht, mit diesen Fasten einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bey dieser Diät muſs man frey¬ lich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag. Meine fuſswandelnde Person war wohl nicht so wich¬ tig, daſs man deſswegen eine Aenderung in der Klo¬ sterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich oben in dem unausgebauten Kloster herum, und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man da¬ zu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum Heil der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen haben, weiſs ich nicht; die Herren zeig¬ ten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkei¬ ten. Hier las man mir ein Manuskript von einem Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte: aber nach dem zu urtheilen, was davon ge¬ lesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, daſs der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint bloſs für Mönche pragmatisch.

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/330>, abgerufen am 25.04.2024.