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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die
Trümmern der Mauern. Das Thor nach Salerne hin
hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist
noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden
übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor
nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptur¬
sache, warum der Ort vor allen übrigen so gänzlich
in Verfall gerathen ist, scheint mir das schlechte Was¬
ser zu seyn. Ich versuchte zwey Mal zu trinken, und
fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern,
die Gegend ist tief und auch aus den nahen Bergen
kommt Salzwasser. Das süsse Wasser musste weit und
mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation recht¬
fertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist ei¬
ner der schönsten und der traurigsten. Als ich auf
dem Rückwege zu Fusse etwas voraus ging, lag auf
den Aesten eines Feigenbaums eine grosse Schlange
geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker
als ein Mannsarm, ganz schwarz von Farbe und ihr
Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um
mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust
ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir
ein, dass Virgil atros colubros anführt, die er eben
nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der Sorte
zu seyn.

Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey
sehr ungleichartige Herren von dem neapolitanischen
Militär kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien
von Salerne an der Strasse angehalten, und ein Offi¬
zier nicht mit der besten Physionomie setzte sich ge¬
radezu zu mir in die Karriole, ohne eine Sylbe Apo¬

überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die
Trümmern der Mauern. Das Thor nach Salerne hin
hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist
noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden
übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor
nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptur¬
sache, warum der Ort vor allen übrigen so gänzlich
in Verfall gerathen ist, scheint mir das schlechte Was¬
ser zu seyn. Ich versuchte zwey Mal zu trinken, und
fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern,
die Gegend ist tief und auch aus den nahen Bergen
kommt Salzwasser. Das süſse Wasser muſste weit und
mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation recht¬
fertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist ei¬
ner der schönsten und der traurigsten. Als ich auf
dem Rückwege zu Fuſse etwas voraus ging, lag auf
den Aesten eines Feigenbaums eine groſse Schlange
geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker
als ein Mannsarm, ganz schwarz von Farbe und ihr
Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um
mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust
ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir
ein, daſs Virgil atros colubros anführt, die er eben
nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der Sorte
zu seyn.

Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey
sehr ungleichartige Herren von dem neapolitanischen
Militär kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien
von Salerne an der Straſse angehalten, und ein Offi¬
zier nicht mit der besten Physionomie setzte sich ge¬
radezu zu mir in die Karriole, ohne eine Sylbe Apo¬

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[349/0375] überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die Trümmern der Mauern. Das Thor nach Salerne hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptur¬ sache, warum der Ort vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist, scheint mir das schlechte Was¬ ser zu seyn. Ich versuchte zwey Mal zu trinken, und fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern, die Gegend ist tief und auch aus den nahen Bergen kommt Salzwasser. Das süſse Wasser muſste weit und mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation recht¬ fertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist ei¬ ner der schönsten und der traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu Fuſse etwas voraus ging, lag auf den Aesten eines Feigenbaums eine groſse Schlange geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannsarm, ganz schwarz von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, daſs Virgil atros colubros anführt, die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der Sorte zu seyn. Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey sehr ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerne an der Straſse angehalten, und ein Offi¬ zier nicht mit der besten Physionomie setzte sich ge¬ radezu zu mir in die Karriole, ohne eine Sylbe Apo¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/375>, abgerufen am 28.03.2024.