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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Lokale sehen und weiter keinen Hund auf die Folter
setzen. Nachdem ich ungefähr ein Stündchen am See
herumgewandelt war und mir die Lage besehen hatte,
ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und
schwer, und ich eilte dass ich durch die Bergschlucht
wieder heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares
Gefühl, als ob sich alle flüssigen Theile mischten und
die festen sich auflösen wollten. So wie ich mich von
der Gegend entfernte, kehrte mein heller Sinn zurück,
und es blieb mir nur eine gewisse Schwere und Mü¬
digkeit von der Wärme. Eine eigene Erscheinung in
meinem Physischen war es mir indessen, als ich gleich
nachher in einem Wirthshause nicht weit von Posi¬
lippo ass, dass ich mir an einer eben nicht harten
Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen
locker biss. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten
dich ein wenig zu viel, dachte ich, und that schon
Verzicht auf meine drey Vorderzähne. Aber Verände¬
rung der Luft und etwas Schonung haben sie bis auf
einen wieder ziemlich fest gemacht; und dieser wird
sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er nicht,
nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.

Von Rom nach Neapel war ich zu Fusse gegan¬
gen: von Neapel nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit
wegen mit dem Neapolitanischen Kourier. Noch die
Nacht fuhren wir über Aversa nach Kapua, und den
Tag von Kapua nach Terracina. Anstatt einer attella¬
nischen Fabel erzählte man uns in Aversa als wahre
Geschichte, dass eben die Räuber vom Berge herunter
gekommen wären und einen armen Teufel um sech¬
zig Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich

Lokale sehen und weiter keinen Hund auf die Folter
setzen. Nachdem ich ungefähr ein Stündchen am See
herumgewandelt war und mir die Lage besehen hatte,
ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und
schwer, und ich eilte daſs ich durch die Bergschlucht
wieder heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares
Gefühl, als ob sich alle flüſsigen Theile mischten und
die festen sich auflösen wollten. So wie ich mich von
der Gegend entfernte, kehrte mein heller Sinn zurück,
und es blieb mir nur eine gewisse Schwere und Mü¬
digkeit von der Wärme. Eine eigene Erscheinung in
meinem Physischen war es mir indessen, als ich gleich
nachher in einem Wirthshause nicht weit von Posi¬
lippo aſs, daſs ich mir an einer eben nicht harten
Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen
locker biſs. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten
dich ein wenig zu viel, dachte ich, und that schon
Verzicht auf meine drey Vorderzähne. Aber Verände¬
rung der Luft und etwas Schonung haben sie bis auf
einen wieder ziemlich fest gemacht; und dieser wird
sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er nicht,
nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.

Von Rom nach Neapel war ich zu Fuſse gegan¬
gen: von Neapel nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit
wegen mit dem Neapolitanischen Kourier. Noch die
Nacht fuhren wir über Aversa nach Kapua, und den
Tag von Kapua nach Terracina. Anstatt einer attella¬
nischen Fabel erzählte man uns in Aversa als wahre
Geschichte, daſs eben die Räuber vom Berge herunter
gekommen wären und einen armen Teufel um sech¬
zig Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich

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[360 /0388] Lokale sehen und weiter keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich ungefähr ein Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen hatte, ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und schwer, und ich eilte daſs ich durch die Bergschlucht wieder heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares Gefühl, als ob sich alle flüſsigen Theile mischten und die festen sich auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte, kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine gewisse Schwere und Mü¬ digkeit von der Wärme. Eine eigene Erscheinung in meinem Physischen war es mir indessen, als ich gleich nachher in einem Wirthshause nicht weit von Posi¬ lippo aſs, daſs ich mir an einer eben nicht harten Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen locker biſs. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig zu viel, dachte ich, und that schon Verzicht auf meine drey Vorderzähne. Aber Verände¬ rung der Luft und etwas Schonung haben sie bis auf einen wieder ziemlich fest gemacht; und dieser wird sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern. Von Rom nach Neapel war ich zu Fuſse gegan¬ gen: von Neapel nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit wegen mit dem Neapolitanischen Kourier. Noch die Nacht fuhren wir über Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach Terracina. Anstatt einer attella¬ nischen Fabel erzählte man uns in Aversa als wahre Geschichte, daſs eben die Räuber vom Berge herunter gekommen wären und einen armen Teufel um sech¬ zig Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 360 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/388>, abgerufen am 28.03.2024.