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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir
Schinken oder Wurst oder beydes zugleich assen, kann
Dir ziemlich gleichgültig seyn.

Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen,
als wir durch Kolin und durch die Gegend des
Schlachtfelds gingen. Daun wusste alle seine Schlach¬
ten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen,
und Friedrich erfuhr mehr als einmahl das gewaltige
Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bey Torgau
nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine
zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von
Kolin bis Czasslau kam mir sehr angenehm vor, vor¬
züglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schö¬
nen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czasslau ge¬
währt eine herrliche Aussicht, rechts und links, vor¬
wärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit Dör¬
fern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es
wäre einer der besten militärischen Posten, so leicht
und richtig kann man nach allen Gegenden hinab
streichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der
Fleck nicht irgend wo in der Kriegsgeschichte steht.
Nicht weit von Kolin ass ich zu Mittage in einem
Wirthshause an der Strasse, ohne mich eben viel um
die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in
einer eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne
einige Wehmuth, unter den furchtbaren Scenen der
Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des grossen fin¬
stern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach ma¬
gische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit,
ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und
mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin

erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir
Schinken oder Wurst oder beydes zugleich aſsen, kann
Dir ziemlich gleichgültig seyn.

Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen,
als wir durch Kolin und durch die Gegend des
Schlachtfelds gingen. Daun wuſste alle seine Schlach¬
ten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen,
und Friedrich erfuhr mehr als einmahl das gewaltige
Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bey Torgau
nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine
zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von
Kolin bis Czaſslau kam mir sehr angenehm vor, vor¬
züglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schö¬
nen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czaſslau ge¬
währt eine herrliche Aussicht, rechts und links, vor¬
wärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit Dör¬
fern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es
wäre einer der besten militärischen Posten, so leicht
und richtig kann man nach allen Gegenden hinab
streichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der
Fleck nicht irgend wo in der Kriegsgeschichte steht.
Nicht weit von Kolin aſs ich zu Mittage in einem
Wirthshause an der Straſse, ohne mich eben viel um
die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in
einer eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne
einige Wehmuth, unter den furchtbaren Scenen der
Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des groſsen fin¬
stern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach ma¬
gische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit,
ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und
mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin

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[19/0045] erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir Schinken oder Wurst oder beydes zugleich aſsen, kann Dir ziemlich gleichgültig seyn. Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfelds gingen. Daun wuſste alle seine Schlach¬ ten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als einmahl das gewaltige Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bey Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin bis Czaſslau kam mir sehr angenehm vor, vor¬ züglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schö¬ nen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czaſslau ge¬ währt eine herrliche Aussicht, rechts und links, vor¬ wärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit Dör¬ fern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es wäre einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach allen Gegenden hinab streichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgend wo in der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin aſs ich zu Mittage in einem Wirthshause an der Straſse, ohne mich eben viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne einige Wehmuth, unter den furchtbaren Scenen der Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des groſsen fin¬ stern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach ma¬ gische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/45>, abgerufen am 29.03.2024.