Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich
höre, erklärt, auf den ich Dich mit deiner Neugier
verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Wein¬
feldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre
dass die Ruine von einem Domherrn erklärt worden
ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse
sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit
den grossen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er
überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser an¬
gewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müs¬
sen billig eher Brot haben als die Reichen Wein; und
Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder
Sinn noch Stimme haben.

Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe
ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege
merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit
den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden
verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philan¬
throp und nicht als Trinker und Procentist. Schlech¬
tes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn
muss, gilt für Chaussee.

Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier
ist, davon will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen.
Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten
Zehnern, die in Sachsen eben nicht sonderlich gut
sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich auf¬
merksam wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da
ich ihn versicherte ich könne es nicht ändern und
achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner
weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen
war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander¬

Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich
höre, erklärt, auf den ich Dich mit deiner Neugier
verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Wein¬
feldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre
daſs die Ruine von einem Domherrn erklärt worden
ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse
sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit
den groſsen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er
überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser an¬
gewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müs¬
sen billig eher Brot haben als die Reichen Wein; und
Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder
Sinn noch Stimme haben.

Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe
ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege
merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit
den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden
verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philan¬
throp und nicht als Trinker und Procentist. Schlech¬
tes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn
muſs, gilt für Chauſsee.

Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier
ist, davon will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen.
Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten
Zehnern, die in Sachsen eben nicht sonderlich gut
sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich auf¬
merksam wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da
ich ihn versicherte ich könne es nicht ändern und
achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner
weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen
war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0050" n="24"/>
Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich<lb/>
höre, erklärt, auf den ich Dich mit deiner Neugier<lb/>
verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Wein¬<lb/>
feldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre<lb/>
da&#x017F;s die Ruine von einem Domherrn erklärt worden<lb/>
ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse<lb/>
sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit<lb/>
den gro&#x017F;sen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er<lb/>
überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser an¬<lb/>
gewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müs¬<lb/>
sen billig eher Brot haben als die Reichen Wein; und<lb/>
Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder<lb/>
Sinn noch Stimme haben.</p><lb/>
        <p>Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe<lb/>
ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege<lb/>
merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit<lb/>
den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden<lb/>
verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philan¬<lb/>
throp und nicht als Trinker und Procentist. Schlech¬<lb/>
tes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn<lb/>
mu&#x017F;s, gilt für Chau&#x017F;see.</p><lb/>
        <p>Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier<lb/>
ist, davon will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen.<lb/>
Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten<lb/>
Zehnern, die in Sachsen eben nicht sonderlich gut<lb/>
sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich auf¬<lb/>
merksam wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da<lb/>
ich ihn versicherte ich könne es nicht ändern und<lb/>
achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner<lb/>
weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen<lb/>
war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0050] Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Wein¬ feldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre daſs die Ruine von einem Domherrn erklärt worden ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den groſsen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser an¬ gewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müs¬ sen billig eher Brot haben als die Reichen Wein; und Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder Sinn noch Stimme haben. Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philan¬ throp und nicht als Trinker und Procentist. Schlech¬ tes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn muſs, gilt für Chauſsee. Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen. Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten Zehnern, die in Sachsen eben nicht sonderlich gut sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich auf¬ merksam wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da ich ihn versicherte ich könne es nicht ändern und achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/50
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/50>, abgerufen am 29.03.2024.