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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen; die
Stadt und die Leute gefallen mir. Du weisst, dass
der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr ange¬
nehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen An¬
blick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr
behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den er¬
sten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und
den zweyten mit vieler Leichtigkeit sieben: aber den
ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber
an der Wien bergauf; und den zweyten ging ich bey
ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist
ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen
zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden.
Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muss die er¬
ste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich
zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich
däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe bis
jetzt doch schon zwey Mahl dagegen gesündiget, und
bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen
wer wird gern in einer schlechten Kabacke übernach¬
ten, wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet
ihr ein gutes Wirthshaus.

An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in
einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und
bezahlte nicht mehr als achtzehn Kreuzer. Das that
meiner Philanthropie sehr wohl; denn Du weisst, dass
ich mir aus den Kreuzern so wenig mache wie aus
den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch natürlich


Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen; die
Stadt und die Leute gefallen mir. Du weiſst, daſs
der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr ange¬
nehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen An¬
blick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr
behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den er¬
sten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und
den zweyten mit vieler Leichtigkeit sieben: aber den
ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber
an der Wien bergauf; und den zweyten ging ich bey
ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist
ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen
zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden.
Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muſs die er¬
ste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich
zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich
däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe bis
jetzt doch schon zwey Mahl dagegen gesündiget, und
bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen
wer wird gern in einer schlechten Kabacke übernach¬
ten, wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet
ihr ein gutes Wirthshaus.

An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in
einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und
bezahlte nicht mehr als achtzehn Kreuzer. Das that
meiner Philanthropie sehr wohl; denn Du weiſst, daſs
ich mir aus den Kreuzern so wenig mache wie aus
den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch natürlich

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[[51]/0077] Gräz. Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen; die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weiſst, daſs der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr ange¬ nehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen An¬ blick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den er¬ sten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweyten mit vieler Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den zweyten ging ich bey ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden. Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muſs die er¬ ste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe bis jetzt doch schon zwey Mahl dagegen gesündiget, und bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen wer wird gern in einer schlechten Kabacke übernach¬ ten, wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet ihr ein gutes Wirthshaus. An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und bezahlte nicht mehr als achtzehn Kreuzer. Das that meiner Philanthropie sehr wohl; denn Du weiſst, daſs ich mir aus den Kreuzern so wenig mache wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch natürlich

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [51]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/77>, abgerufen am 28.03.2024.