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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Einleitung.
Fisches über dessen Zustand vor seiner Gefangennehmung Schlüsse zu ziehen,
wobei jedoch die grösste Vorsicht zu beobachten ist. Bei dem leichten Ab-
sterben vieler dieser Thiere, bei der Vergänglichkeit ihrer Farbe und Zeich-
nung, bei der ausserordentlichen Verletzbarkeit ihrer Hautorgane hält es oft
sehr schwer, an vor längerer Zeit gefangenen und aus ihrem natürlichen
Aufenthaltsorte entfernten Fischen sichere Studien zu machen. Wie viele
Fische giebt es nicht, die stets in tiefster Tiefe verborgen leben, oder die
nur zu gewissen Terminen im Jahre auf kurze Zeit an solche Localitäten sich
begeben, wo sie durch die List der Menschen des Gewinnes oder des Ver-
gnügens wegen, aus ihrem Elemente an das Tageslicht gezogen werden, ist
es da nicht reiner Zufall, wenn solche der Beobachtung schwer zugäng-
liche Thiere dem neugierigen und lernbegierigen Ichthyologen in die Hände
gelangen?

Eine der Hauptaufgaben, die mir bei meinen ichthyologischen Unter-
suchungen zunächst zur Lösung entgegentreten musste, war die Zusammen-
stellung der in den südbayrischen Gewässern vorkommenden Fischarten.
Aus den vorhin gegebenen wenigen Andeutungen wird man aber entnehmen
können, dass da, wo es sich um die Feststellung einer Fischfauna handelt,
dem Ichthyologen eine Menge Schwierigkeiten in den Weg treten, selbst wenn
er nur auf ein Wassergebiet von geringem Umfange diese Feststellung be-
schränken wollte; um wieviel wurden für mich diese Schwierigkeiten nicht
vermehrt und vervielfältigt, da ich bald einsehen musste, dass vor Allem,
wenn ich meinem Auftrage nur einigermassen genügen wollte, das Wasser-
gebiet der oberen Donau im weitesten Umfange zu erforschen und dabei fest-
zustellen war, welche Fischarten in den südbayrischen Seen und in den mit
denselben zusammenhängenden Gewässern einen bleibenden oder zeitweisen
Wohnsitz haben, bei welchen Untersuchungen ich denn solche Fische nicht
unberücksichtigt lassen durfte, die als vorüberziehende Wanderer zu bestimm-
ten Zeiten die Gewässer der oberen Donau beleben, oder die nur ab und zu
in unbestimmten Zeit-Zwischenräumen durch Verirrung in diese Gewässer
gelangen. Indem aber die südbayrischen Seen nur den mittlern Theil einer
von Westen nach Osten sich weithin ausbreitenden Kette von Alpenseen aus-
machen, so durfte ich weder die Schweizer-Seen noch die Seen des Gebiets
von Salzburg und Ober-Oestreich ganz ausser Acht lassen, wobei sich
mancherlei Uebereinstimmungen und Unterschiede in Bezug auf das Vor-
kommen gewisser Fische in diesen Seen herausstellten und zugleich viele Be-
lehrungen über die Feststellung von Arten und Varietäten gewonnen wurden.
Da ich ferner auch den Bodensee als südbayrischen See mit in das Bereich
meiner Untersuchungen zu ziehen hatte, und auch das mittlere Rheingebiet
des Neckars und des Mains wegen nicht unbeachtet lassen durfte, indem deren
Nebenflüsse an den Nebenflüssen der oberen Donau so nahe vorbeistreifen, so

Einleitung.
Fisches über dessen Zustand vor seiner Gefangennehmung Schlüsse zu ziehen,
wobei jedoch die grösste Vorsicht zu beobachten ist. Bei dem leichten Ab-
sterben vieler dieser Thiere, bei der Vergänglichkeit ihrer Farbe und Zeich-
nung, bei der ausserordentlichen Verletzbarkeit ihrer Hautorgane hält es oft
sehr schwer, an vor längerer Zeit gefangenen und aus ihrem natürlichen
Aufenthaltsorte entfernten Fischen sichere Studien zu machen. Wie viele
Fische giebt es nicht, die stets in tiefster Tiefe verborgen leben, oder die
nur zu gewissen Terminen im Jahre auf kurze Zeit an solche Localitäten sich
begeben, wo sie durch die List der Menschen des Gewinnes oder des Ver-
gnügens wegen, aus ihrem Elemente an das Tageslicht gezogen werden, ist
es da nicht reiner Zufall, wenn solche der Beobachtung schwer zugäng-
liche Thiere dem neugierigen und lernbegierigen Ichthyologen in die Hände
gelangen?

Eine der Hauptaufgaben, die mir bei meinen ichthyologischen Unter-
suchungen zunächst zur Lösung entgegentreten musste, war die Zusammen-
stellung der in den südbayrischen Gewässern vorkommenden Fischarten.
Aus den vorhin gegebenen wenigen Andeutungen wird man aber entnehmen
können, dass da, wo es sich um die Feststellung einer Fischfauna handelt,
dem Ichthyologen eine Menge Schwierigkeiten in den Weg treten, selbst wenn
er nur auf ein Wassergebiet von geringem Umfange diese Feststellung be-
schränken wollte; um wieviel wurden für mich diese Schwierigkeiten nicht
vermehrt und vervielfältigt, da ich bald einsehen musste, dass vor Allem,
wenn ich meinem Auftrage nur einigermassen genügen wollte, das Wasser-
gebiet der oberen Donau im weitesten Umfange zu erforschen und dabei fest-
zustellen war, welche Fischarten in den südbayrischen Seen und in den mit
denselben zusammenhängenden Gewässern einen bleibenden oder zeitweisen
Wohnsitz haben, bei welchen Untersuchungen ich denn solche Fische nicht
unberücksichtigt lassen durfte, die als vorüberziehende Wanderer zu bestimm-
ten Zeiten die Gewässer der oberen Donau beleben, oder die nur ab und zu
in unbestimmten Zeit-Zwischenräumen durch Verirrung in diese Gewässer
gelangen. Indem aber die südbayrischen Seen nur den mittlern Theil einer
von Westen nach Osten sich weithin ausbreitenden Kette von Alpenseen aus-
machen, so durfte ich weder die Schweizer-Seen noch die Seen des Gebiets
von Salzburg und Ober-Oestreich ganz ausser Acht lassen, wobei sich
mancherlei Uebereinstimmungen und Unterschiede in Bezug auf das Vor-
kommen gewisser Fische in diesen Seen herausstellten und zugleich viele Be-
lehrungen über die Feststellung von Arten und Varietäten gewonnen wurden.
Da ich ferner auch den Bodensee als südbayrischen See mit in das Bereich
meiner Untersuchungen zu ziehen hatte, und auch das mittlere Rheingebiet
des Neckars und des Mains wegen nicht unbeachtet lassen durfte, indem deren
Nebenflüsse an den Nebenflüssen der oberen Donau so nahe vorbeistreifen, so

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[2/0015] Einleitung. Fisches über dessen Zustand vor seiner Gefangennehmung Schlüsse zu ziehen, wobei jedoch die grösste Vorsicht zu beobachten ist. Bei dem leichten Ab- sterben vieler dieser Thiere, bei der Vergänglichkeit ihrer Farbe und Zeich- nung, bei der ausserordentlichen Verletzbarkeit ihrer Hautorgane hält es oft sehr schwer, an vor längerer Zeit gefangenen und aus ihrem natürlichen Aufenthaltsorte entfernten Fischen sichere Studien zu machen. Wie viele Fische giebt es nicht, die stets in tiefster Tiefe verborgen leben, oder die nur zu gewissen Terminen im Jahre auf kurze Zeit an solche Localitäten sich begeben, wo sie durch die List der Menschen des Gewinnes oder des Ver- gnügens wegen, aus ihrem Elemente an das Tageslicht gezogen werden, ist es da nicht reiner Zufall, wenn solche der Beobachtung schwer zugäng- liche Thiere dem neugierigen und lernbegierigen Ichthyologen in die Hände gelangen? Eine der Hauptaufgaben, die mir bei meinen ichthyologischen Unter- suchungen zunächst zur Lösung entgegentreten musste, war die Zusammen- stellung der in den südbayrischen Gewässern vorkommenden Fischarten. Aus den vorhin gegebenen wenigen Andeutungen wird man aber entnehmen können, dass da, wo es sich um die Feststellung einer Fischfauna handelt, dem Ichthyologen eine Menge Schwierigkeiten in den Weg treten, selbst wenn er nur auf ein Wassergebiet von geringem Umfange diese Feststellung be- schränken wollte; um wieviel wurden für mich diese Schwierigkeiten nicht vermehrt und vervielfältigt, da ich bald einsehen musste, dass vor Allem, wenn ich meinem Auftrage nur einigermassen genügen wollte, das Wasser- gebiet der oberen Donau im weitesten Umfange zu erforschen und dabei fest- zustellen war, welche Fischarten in den südbayrischen Seen und in den mit denselben zusammenhängenden Gewässern einen bleibenden oder zeitweisen Wohnsitz haben, bei welchen Untersuchungen ich denn solche Fische nicht unberücksichtigt lassen durfte, die als vorüberziehende Wanderer zu bestimm- ten Zeiten die Gewässer der oberen Donau beleben, oder die nur ab und zu in unbestimmten Zeit-Zwischenräumen durch Verirrung in diese Gewässer gelangen. Indem aber die südbayrischen Seen nur den mittlern Theil einer von Westen nach Osten sich weithin ausbreitenden Kette von Alpenseen aus- machen, so durfte ich weder die Schweizer-Seen noch die Seen des Gebiets von Salzburg und Ober-Oestreich ganz ausser Acht lassen, wobei sich mancherlei Uebereinstimmungen und Unterschiede in Bezug auf das Vor- kommen gewisser Fische in diesen Seen herausstellten und zugleich viele Be- lehrungen über die Feststellung von Arten und Varietäten gewonnen wurden. Da ich ferner auch den Bodensee als südbayrischen See mit in das Bereich meiner Untersuchungen zu ziehen hatte, und auch das mittlere Rheingebiet des Neckars und des Mains wegen nicht unbeachtet lassen durfte, indem deren Nebenflüsse an den Nebenflüssen der oberen Donau so nahe vorbeistreifen, so

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/15>, abgerufen am 25.04.2024.