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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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II.

In dem Kapitel über individuelle Freiheit haben wir festgestellt,
wie sehr die Umwandlung von naturalen Verpflichtungen in Geld-
leistungen dem Vorteil beider Parteien dienen kann, welche Steigerung
seiner Freiheit und Würde insbesondere der Verpflichtete daraus zieht.
Diese Bedeutung des Geldes für die personalen Werte muss nun aber
durch eine Entwicklungsreihe von entgegengesetzter Richtung ergänzt
werden.

Der günstige Erfolg jener Umwandlung hängt daran, dass der
Verpflichtete bisher eine persönliche Kraft und individuelle Bestimmt-
heit in das Verhältnis eingesetzt hat, ohne ein entsprechendes Äqui-
valent zu erhalten. Was ihm die andere Partei bot, war rein sach-
licher Natur; die Rechte, die er aus dem Verhältnis zog, waren relativ
unpersönliche, die Pflichten, die es ihm auferlegte, ganz persönliche.
Indem nun die Form der Geldleistung seine Pflichten entpersonalisierte,
glich sich diese Unverhältnismässigkeit aus. Ein ganz andrer Erfolg
aber wird eintreten, wenn der Verpflichtete nicht mit einer sachlichen
Gegenleistung glatt abgefunden wird, sondern wenn ihm aus dem Ver-
hältnis ein Recht, ein Einfluss, eine personale Bedeutsamkeit zuwächst,
und zwar grade, weil er diese bestimmte personale Leistung in dasselbe
hineingiebt. Dann muss die durch die Geldform zu bewirkende Ob-
jektivierung der Beziehung ebenso ungünstig wirken, wie vorher günstig.
Die Herabdrückung der Bundesgenossen Athens in eine direkte, grössere
oder geringere Abhängigkeit begann damit, dass ihr Tribut an Schiffen
und Kriegsmannschaften in blosse Geldabgaben verwandelt wurde.
Diese scheinbare Befreiung von ihrer mehr personalen Verpflichtung
enthielt eben den Verzicht auf eigene politische Bethätigung, auf die
Bedeutung, die man nur auf den Einsatz einer spezifischen Leistung,
auf die Entfaltung realer Kräfte hin beanspruchen darf. In jener
Pflicht waren doch unmittelbar Rechte enthalten: die von ihnen selbst
gelieferte Kriegsmacht konnte nicht so gegen ihre eignen Interessen
verwandt werden, wie es mit dem von ihnen gelieferten Geld möglich

II.

In dem Kapitel über individuelle Freiheit haben wir festgestellt,
wie sehr die Umwandlung von naturalen Verpflichtungen in Geld-
leistungen dem Vorteil beider Parteien dienen kann, welche Steigerung
seiner Freiheit und Würde insbesondere der Verpflichtete daraus zieht.
Diese Bedeutung des Geldes für die personalen Werte muſs nun aber
durch eine Entwicklungsreihe von entgegengesetzter Richtung ergänzt
werden.

Der günstige Erfolg jener Umwandlung hängt daran, daſs der
Verpflichtete bisher eine persönliche Kraft und individuelle Bestimmt-
heit in das Verhältnis eingesetzt hat, ohne ein entsprechendes Äqui-
valent zu erhalten. Was ihm die andere Partei bot, war rein sach-
licher Natur; die Rechte, die er aus dem Verhältnis zog, waren relativ
unpersönliche, die Pflichten, die es ihm auferlegte, ganz persönliche.
Indem nun die Form der Geldleistung seine Pflichten entpersonalisierte,
glich sich diese Unverhältnismäſsigkeit aus. Ein ganz andrer Erfolg
aber wird eintreten, wenn der Verpflichtete nicht mit einer sachlichen
Gegenleistung glatt abgefunden wird, sondern wenn ihm aus dem Ver-
hältnis ein Recht, ein Einfluſs, eine personale Bedeutsamkeit zuwächst,
und zwar grade, weil er diese bestimmte personale Leistung in dasselbe
hineingiebt. Dann muſs die durch die Geldform zu bewirkende Ob-
jektivierung der Beziehung ebenso ungünstig wirken, wie vorher günstig.
Die Herabdrückung der Bundesgenossen Athens in eine direkte, gröſsere
oder geringere Abhängigkeit begann damit, daſs ihr Tribut an Schiffen
und Kriegsmannschaften in bloſse Geldabgaben verwandelt wurde.
Diese scheinbare Befreiung von ihrer mehr personalen Verpflichtung
enthielt eben den Verzicht auf eigene politische Bethätigung, auf die
Bedeutung, die man nur auf den Einsatz einer spezifischen Leistung,
auf die Entfaltung realer Kräfte hin beanspruchen darf. In jener
Pflicht waren doch unmittelbar Rechte enthalten: die von ihnen selbst
gelieferte Kriegsmacht konnte nicht so gegen ihre eignen Interessen
verwandt werden, wie es mit dem von ihnen gelieferten Geld möglich

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[[414]/0438] II. In dem Kapitel über individuelle Freiheit haben wir festgestellt, wie sehr die Umwandlung von naturalen Verpflichtungen in Geld- leistungen dem Vorteil beider Parteien dienen kann, welche Steigerung seiner Freiheit und Würde insbesondere der Verpflichtete daraus zieht. Diese Bedeutung des Geldes für die personalen Werte muſs nun aber durch eine Entwicklungsreihe von entgegengesetzter Richtung ergänzt werden. Der günstige Erfolg jener Umwandlung hängt daran, daſs der Verpflichtete bisher eine persönliche Kraft und individuelle Bestimmt- heit in das Verhältnis eingesetzt hat, ohne ein entsprechendes Äqui- valent zu erhalten. Was ihm die andere Partei bot, war rein sach- licher Natur; die Rechte, die er aus dem Verhältnis zog, waren relativ unpersönliche, die Pflichten, die es ihm auferlegte, ganz persönliche. Indem nun die Form der Geldleistung seine Pflichten entpersonalisierte, glich sich diese Unverhältnismäſsigkeit aus. Ein ganz andrer Erfolg aber wird eintreten, wenn der Verpflichtete nicht mit einer sachlichen Gegenleistung glatt abgefunden wird, sondern wenn ihm aus dem Ver- hältnis ein Recht, ein Einfluſs, eine personale Bedeutsamkeit zuwächst, und zwar grade, weil er diese bestimmte personale Leistung in dasselbe hineingiebt. Dann muſs die durch die Geldform zu bewirkende Ob- jektivierung der Beziehung ebenso ungünstig wirken, wie vorher günstig. Die Herabdrückung der Bundesgenossen Athens in eine direkte, gröſsere oder geringere Abhängigkeit begann damit, daſs ihr Tribut an Schiffen und Kriegsmannschaften in bloſse Geldabgaben verwandelt wurde. Diese scheinbare Befreiung von ihrer mehr personalen Verpflichtung enthielt eben den Verzicht auf eigene politische Bethätigung, auf die Bedeutung, die man nur auf den Einsatz einer spezifischen Leistung, auf die Entfaltung realer Kräfte hin beanspruchen darf. In jener Pflicht waren doch unmittelbar Rechte enthalten: die von ihnen selbst gelieferte Kriegsmacht konnte nicht so gegen ihre eignen Interessen verwandt werden, wie es mit dem von ihnen gelieferten Geld möglich

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [414]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/438>, abgerufen am 29.03.2024.