Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite

Das andere Capitel.
wird also derselbe sein gewissen beruhigen/ daß er andere gewissen nicht verunru-
higet/ und lieber dasjenige thut/ so er von grund der seelen gern unterliesse/ als
sich untüchtig macht zur erbauung der gemeinde/ da er sonsten allzuviel gutes ver-
säumete: dahingegen wir manches in dergleichen eusserlichen dingen noch über-
sehen müssen/ worinne die krafft des christenthums noch nicht bestehet/ daß wir
die freyheit behalten/ an dem innern rechtschaffenen wesen in Christo JEsu ohne
anstoß zu arbeiten. Jst also ie nöthiger/ an denen innern kranckheiten der kirchen/
als dero eusserlichen wartzen oder flecken/ zu heilen/ und nicht mit diesem also um-
zugehen/ daß man an jenen weniger ausrichten könne. Geliebter bruder siehet/
daß ich aus dem grund meiner seelen an denselben schreibe/ wie ichs vor GOtt die-
sesmahl denselben und seiner gemeinde am ersprießlichsten erkenne. Uberlasse es
nun dessen gottseliger überlegung und hertzlichem gebeth/ wie ers selbs in seiner see-
len finden werde/ nach demselben in der furcht des HErrn einen entschluß zufassen:
Wie ich denn nicht gewohnet bin/ jemandes gewissen etwas auffzudringen/ son-
dern meine meynung zu eigner prüffung vorzustellen. Der HErr HErr aber ge-
be/ wie in allen also auch in diesen/ die weißheit/ welche aus ihm ist/ zuerkennen/
was das beste und seiner ehre das vorträglichste seye: Er reinige aber seine kirche
von allen mißlichen menschensatzungen/ und räume selbs alle steine des anstosses
weg/ daß wir ihm allein nach seinem wort und also mit desto freudigerem gewis-
sen ohne angst und furcht gefällig dienen mögen. Nun er wirds thun! Amen. 1692.

SECTIO VI.
Von freyheit des exorcismi.

Ob ein Chur-Brandenburgischer an einer Evangelisch Lu-
therischen kirchen GOtt dienender Prediger auff verlangen der eltern/
sie seyen selbs Lutherisch oder Reformirt/ bey der tauff ihrer kinder
den exorcismum krafft der Chrfürstlichen edicten auszulassen
befugt seye/ oder darmit seyn gewis-
sen verletze?

AUff diese frage in der furcht des HErrn zu antworten/ ist 1. dieselbe was
die meiste prediger dieser lande anlanget/ fast vergebens/ nachdem von
zeiten des edicti 1664. alle Prediger bey ihren vocationen oder confir-
mationen
zu solcher auslassung verbunden worden/ und sich dazu verbinden las-
sen/ also ihre dienste soviel als unter dieser condition angetreten haben. Dahin-
gegen/ wo sie die auslesung dem gewissen zuwider streitend gehalten hätten/ sie
die stellen nicht annehmen/ oder sich der zu verbinden hätten lassen sollen. Da-
her welche nach der zeit erst darüber anstehen wolten/ darmit bekennen müssen/

das

Das andere Capitel.
wird alſo derſelbe ſein gewiſſen beruhigen/ daß er andere gewiſſen nicht verunru-
higet/ und lieber dasjenige thut/ ſo er von grund der ſeelen gern unterlieſſe/ als
ſich untuͤchtig macht zur erbauung der gemeinde/ da er ſonſten allzuviel gutes ver-
ſaͤumete: dahingegen wir manches in dergleichen euſſerlichen dingen noch uͤber-
ſehen muͤſſen/ worinne die krafft des chriſtenthums noch nicht beſtehet/ daß wir
die freyheit behalten/ an dem innern rechtſchaffenen weſen in Chriſto JEſu ohne
anſtoß zu arbeiten. Jſt alſo ie noͤthiger/ an denen innern kranckheiten der kirchen/
als dero euſſerlichen wartzen oder flecken/ zu heilen/ und nicht mit dieſem alſo um-
zugehen/ daß man an jenen weniger ausrichten koͤnne. Geliebter bruder ſiehet/
daß ich aus dem grund meiner ſeelen an denſelben ſchreibe/ wie ichs vor GOtt die-
ſesmahl denſelben und ſeiner gemeinde am erſprießlichſten erkenne. Uberlaſſe es
nun deſſen gottſeliger uͤberlegung und hertzlichem gebeth/ wie ers ſelbs in ſeiner ſee-
len finden werde/ nach demſelben in der furcht des HErrn einen entſchluß zufaſſen:
Wie ich denn nicht gewohnet bin/ jemandes gewiſſen etwas auffzudringen/ ſon-
dern meine meynung zu eigner pruͤffung vorzuſtellen. Der HErr HErr aber ge-
be/ wie in allen alſo auch in dieſen/ die weißheit/ welche aus ihm iſt/ zuerkennen/
was das beſte und ſeiner ehre das vortraͤglichſte ſeye: Er reinige aber ſeine kirche
von allen mißlichen menſchenſatzungen/ und raͤume ſelbs alle ſteine des anſtoſſes
weg/ daß wir ihm allein nach ſeinem wort und alſo mit deſto freudigerem gewiſ-
ſen ohne angſt und furcht gefaͤllig dienen moͤgen. Nun er wirds thun! Amen. 1692.

SECTIO VI.
Von freyheit des exorciſmi.

Ob ein Chur-Brandenburgiſcher an einer Evangeliſch Lu-
theriſchen kirchen GOtt dienender Prediger auff verlangen der eltern/
ſie ſeyen ſelbs Lutheriſch oder Reformirt/ bey der tauff ihrer kinder
den exorciſmum krafft der Chrfuͤrſtlichen edicten auszulaſſen
befugt ſeye/ oder darmit ſeyn gewiſ-
ſen verletze?

AUff dieſe frage in der furcht des HErrn zu antworten/ iſt 1. dieſelbe was
die meiſte prediger dieſer lande anlanget/ faſt vergebens/ nachdem von
zeiten des edicti 1664. alle Prediger bey ihren vocationen oder confir-
mationen
zu ſolcher auslaſſung verbunden worden/ und ſich dazu verbinden laſ-
ſen/ alſo ihre dienſte ſoviel als unter dieſer condition angetreten haben. Dahin-
gegen/ wo ſie die ausleſung dem gewiſſen zuwider ſtreitend gehalten haͤtten/ ſie
die ſtellen nicht annehmen/ oder ſich der zu verbinden haͤtten laſſen ſollen. Da-
her welche nach der zeit erſt daruͤber anſtehen wolten/ darmit bekennen muͤſſen/

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0960" n="160"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das andere Capitel.</hi></fw><lb/>
wird al&#x017F;o der&#x017F;elbe &#x017F;ein gewi&#x017F;&#x017F;en beruhigen/ daß er andere gewi&#x017F;&#x017F;en nicht verunru-<lb/>
higet/ und lieber dasjenige thut/ &#x017F;o er von grund der &#x017F;eelen gern unterlie&#x017F;&#x017F;e/ als<lb/>
&#x017F;ich untu&#x0364;chtig macht zur erbauung der gemeinde/ da er &#x017F;on&#x017F;ten allzuviel gutes ver-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;umete: dahingegen wir manches in dergleichen eu&#x017F;&#x017F;erlichen dingen noch u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;ehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ worinne die krafft des chri&#x017F;tenthums noch nicht be&#x017F;tehet/ daß wir<lb/>
die freyheit behalten/ an dem innern recht&#x017F;chaffenen we&#x017F;en in Chri&#x017F;to JE&#x017F;u ohne<lb/>
an&#x017F;toß zu arbeiten. J&#x017F;t al&#x017F;o ie no&#x0364;thiger/ an denen innern kranckheiten der kirchen/<lb/>
als dero eu&#x017F;&#x017F;erlichen wartzen oder flecken/ zu heilen/ und nicht mit die&#x017F;em al&#x017F;o um-<lb/>
zugehen/ daß man an jenen weniger ausrichten ko&#x0364;nne. Geliebter bruder &#x017F;iehet/<lb/>
daß ich aus dem grund meiner &#x017F;eelen an den&#x017F;elben &#x017F;chreibe/ wie ichs vor GOtt die-<lb/>
&#x017F;esmahl den&#x017F;elben und &#x017F;einer gemeinde am er&#x017F;prießlich&#x017F;ten erkenne. Uberla&#x017F;&#x017F;e es<lb/>
nun de&#x017F;&#x017F;en gott&#x017F;eliger u&#x0364;berlegung und hertzlichem gebeth/ wie ers &#x017F;elbs in &#x017F;einer &#x017F;ee-<lb/>
len finden werde/ nach dem&#x017F;elben in der furcht des HErrn einen ent&#x017F;chluß zufa&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
Wie ich denn nicht gewohnet bin/ jemandes gewi&#x017F;&#x017F;en etwas auffzudringen/ &#x017F;on-<lb/>
dern meine meynung zu eigner pru&#x0364;ffung vorzu&#x017F;tellen. Der HErr HErr aber ge-<lb/>
be/ wie in allen al&#x017F;o auch in die&#x017F;en/ die weißheit/ welche aus ihm i&#x017F;t/ zuerkennen/<lb/>
was das be&#x017F;te und &#x017F;einer ehre das vortra&#x0364;glich&#x017F;te &#x017F;eye: Er reinige aber &#x017F;eine kirche<lb/>
von allen mißlichen men&#x017F;chen&#x017F;atzungen/ und ra&#x0364;ume &#x017F;elbs alle &#x017F;teine des an&#x017F;to&#x017F;&#x017F;es<lb/>
weg/ daß wir ihm allein nach &#x017F;einem wort und al&#x017F;o mit de&#x017F;to freudigerem gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ohne ang&#x017F;t und furcht gefa&#x0364;llig dienen mo&#x0364;gen. Nun er wirds thun! Amen. 1692.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> VI.</hi><lb/>
Von freyheit des <hi rendition="#aq">exorci&#x017F;mi.</hi></hi> </head><lb/>
            <p> <hi rendition="#b">Ob ein Chur-Brandenburgi&#x017F;cher an einer Evangeli&#x017F;ch Lu-<lb/>
theri&#x017F;chen kirchen GOtt dienender Prediger auff verlangen der eltern/<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;eyen &#x017F;elbs Lutheri&#x017F;ch oder Reformirt/ bey der tauff ihrer kinder<lb/><hi rendition="#c">den <hi rendition="#aq">exorci&#x017F;mum</hi> krafft der Chrfu&#x0364;r&#x017F;tlichen <hi rendition="#aq">edicten</hi> auszula&#x017F;&#x017F;en<lb/>
befugt &#x017F;eye/ oder darmit &#x017F;eyn gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en verletze?</hi></hi> </p><lb/>
            <p><hi rendition="#in">A</hi>Uff die&#x017F;e frage in der furcht des HErrn zu antworten/ i&#x017F;t 1. die&#x017F;elbe was<lb/>
die mei&#x017F;te prediger die&#x017F;er lande anlanget/ fa&#x017F;t vergebens/ nachdem von<lb/>
zeiten des <hi rendition="#aq">edicti</hi> 1664. alle Prediger bey ihren <hi rendition="#aq">vocationen</hi> oder <hi rendition="#aq">confir-<lb/>
mationen</hi> zu &#x017F;olcher ausla&#x017F;&#x017F;ung verbunden worden/ und &#x017F;ich dazu verbinden la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en/ al&#x017F;o ihre dien&#x017F;te &#x017F;oviel als unter die&#x017F;er <hi rendition="#aq">condition</hi> angetreten haben. Dahin-<lb/>
gegen/ wo &#x017F;ie die ausle&#x017F;ung dem gewi&#x017F;&#x017F;en zuwider &#x017F;treitend gehalten ha&#x0364;tten/ &#x017F;ie<lb/>
die &#x017F;tellen nicht annehmen/ oder &#x017F;ich der zu verbinden ha&#x0364;tten la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen. Da-<lb/>
her welche nach der zeit er&#x017F;t daru&#x0364;ber an&#x017F;tehen wolten/ darmit bekennen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0960] Das andere Capitel. wird alſo derſelbe ſein gewiſſen beruhigen/ daß er andere gewiſſen nicht verunru- higet/ und lieber dasjenige thut/ ſo er von grund der ſeelen gern unterlieſſe/ als ſich untuͤchtig macht zur erbauung der gemeinde/ da er ſonſten allzuviel gutes ver- ſaͤumete: dahingegen wir manches in dergleichen euſſerlichen dingen noch uͤber- ſehen muͤſſen/ worinne die krafft des chriſtenthums noch nicht beſtehet/ daß wir die freyheit behalten/ an dem innern rechtſchaffenen weſen in Chriſto JEſu ohne anſtoß zu arbeiten. Jſt alſo ie noͤthiger/ an denen innern kranckheiten der kirchen/ als dero euſſerlichen wartzen oder flecken/ zu heilen/ und nicht mit dieſem alſo um- zugehen/ daß man an jenen weniger ausrichten koͤnne. Geliebter bruder ſiehet/ daß ich aus dem grund meiner ſeelen an denſelben ſchreibe/ wie ichs vor GOtt die- ſesmahl denſelben und ſeiner gemeinde am erſprießlichſten erkenne. Uberlaſſe es nun deſſen gottſeliger uͤberlegung und hertzlichem gebeth/ wie ers ſelbs in ſeiner ſee- len finden werde/ nach demſelben in der furcht des HErrn einen entſchluß zufaſſen: Wie ich denn nicht gewohnet bin/ jemandes gewiſſen etwas auffzudringen/ ſon- dern meine meynung zu eigner pruͤffung vorzuſtellen. Der HErr HErr aber ge- be/ wie in allen alſo auch in dieſen/ die weißheit/ welche aus ihm iſt/ zuerkennen/ was das beſte und ſeiner ehre das vortraͤglichſte ſeye: Er reinige aber ſeine kirche von allen mißlichen menſchenſatzungen/ und raͤume ſelbs alle ſteine des anſtoſſes weg/ daß wir ihm allein nach ſeinem wort und alſo mit deſto freudigerem gewiſ- ſen ohne angſt und furcht gefaͤllig dienen moͤgen. Nun er wirds thun! Amen. 1692. SECTIO VI. Von freyheit des exorciſmi. Ob ein Chur-Brandenburgiſcher an einer Evangeliſch Lu- theriſchen kirchen GOtt dienender Prediger auff verlangen der eltern/ ſie ſeyen ſelbs Lutheriſch oder Reformirt/ bey der tauff ihrer kinder den exorciſmum krafft der Chrfuͤrſtlichen edicten auszulaſſen befugt ſeye/ oder darmit ſeyn gewiſ- ſen verletze? AUff dieſe frage in der furcht des HErrn zu antworten/ iſt 1. dieſelbe was die meiſte prediger dieſer lande anlanget/ faſt vergebens/ nachdem von zeiten des edicti 1664. alle Prediger bey ihren vocationen oder confir- mationen zu ſolcher auslaſſung verbunden worden/ und ſich dazu verbinden laſ- ſen/ alſo ihre dienſte ſoviel als unter dieſer condition angetreten haben. Dahin- gegen/ wo ſie die ausleſung dem gewiſſen zuwider ſtreitend gehalten haͤtten/ ſie die ſtellen nicht annehmen/ oder ſich der zu verbinden haͤtten laſſen ſollen. Da- her welche nach der zeit erſt daruͤber anſtehen wolten/ darmit bekennen muͤſſen/ das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/960
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/960>, abgerufen am 23.04.2024.