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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO II.
sicherheit geben kan. 3. Also ist gleichwol eine versicherung des hertzens
alsdann vorhanden/ welches zwahr sonsten in genere nicht sagen könte/ ob
dieses oder jenes der göttliche wille mehr wäre/ aber weiß sich in specie ver-
sichert/ der göttliche wille seye gleichwol/ dasjenige dißmal zu thun/ was end-
lich in kindlicher einfalt nach eigner überlegung oder übergebung an andere/
am sichersten resolviret worden.
10. So verbleibet also allezeit das formale solches glaubens/ die versi-
cherung des hertzens/
daß eine sache recht oder GOttes wille seye/ aber wor-
aus solche versicherung herkomme/ ist nicht allezeit einerley. Jndem zuwei-
len der mensch aus principiis göttlichen worts/ da er eigenlich ohne zweiffel
die subsumtion auf sich und seinen fall machen kan/ gerade zu seine versiche-
rung bekommet: Zuweilen kans auf die weise nicht erlanget werden/ sondern
muß man etwa dieselbe in obigen vorschlägen/ oder anderes dergleichen su-
chen: Welche in dem grad der vorigen versicherung nicht gleich kommet/ aber
doch dem gewissen gnug seyn kan/ weil denen auffsteigenden scrupulen allezeit
die väterliche treue unsers GOttes gegen seine kinder (unsere rede ist aber
auch allein von denjenigen/ so aus andern zeugnüssen ihrer kindschafft versi-
chert sind/) der sie nach allem angewandten fleiß nicht in der sünden-gefahr
verlassen würde/ kräfftig entgegen gesetzet werden darff. Also ob wir schon
solten auf andere und dero urtheil gegangen seyn/ so ruhete doch der glaube
nicht auf ihnen/ weil freylich jeglicher seines glaubens leben muß/ sondern auf
GOttes in seinem wort uns gerühmter treue.
Die andere Frage.

OB und wie fern ein Christ um seinen guten zweck und absicht zu
erhalten/ wol
simuliren oder gar eine nothlügen begehen möge/
das ist/ mit worten/ gebärden und wercken sich anders stellen als es
ihm ums hertz ist.

Antwort.

JCh mache hie einen unterscheid unter dem dissimuliren und eigenlich so
genanten simuliren oder auch eigenlichen lügen. Was anlangt die
lügen und das eigenliche simuliren/ kan ich nicht glauben/ daß solches jema-
len erlaubet seye/ sondern stehet mir immer entgegen das urtheil Pault
Rom. 3/ 8. daß nichts böses zu thun/ daß gutes draus entstehe.
Die dissimulation aber/ wie sie von der simulatione positiva unterschieden ist/
und die verschweigung der wahrheit/ ist nicht allemal unrecht. Also etwas
das allerdings nicht wahr ist/ und wo also meine wort meinem conceptu
von der sache/ und wol gar auch der sache selbs/ entgegen sind/ zu reden ist un-

recht/
D d d 2
ARTIC. IV. SECTIO II.
ſicherheit geben kan. 3. Alſo iſt gleichwol eine verſicherung des hertzens
alsdann vorhanden/ welches zwahr ſonſten in genere nicht ſagen koͤnte/ ob
dieſes oder jenes der goͤttliche wille mehr waͤre/ aber weiß ſich in ſpecie ver-
ſichert/ der goͤttliche wille ſeye gleichwol/ dasjenige dißmal zu thun/ was end-
lich in kindlicher einfalt nach eigner uͤberlegung oder uͤbergebung an andere/
am ſicherſten reſolviret worden.
10. So verbleibet alſo allezeit das formale ſolches glaubens/ die verſi-
cherung des hertzens/
daß eine ſache recht oder GOttes wille ſeye/ aber wor-
aus ſolche verſicherung herkomme/ iſt nicht allezeit einerley. Jndem zuwei-
len der menſch aus principiis goͤttlichen worts/ da er eigenlich ohne zweiffel
die ſubſumtion auf ſich und ſeinen fall machen kan/ gerade zu ſeine verſiche-
rung bekommet: Zuweilen kans auf die weiſe nicht erlanget werden/ ſondern
muß man etwa dieſelbe in obigen vorſchlaͤgen/ oder anderes dergleichen ſu-
chen: Welche in dem grad der vorigen verſicherung nicht gleich kommet/ aber
doch dem gewiſſen gnug ſeyn kan/ weil denen auffſteigenden ſcrupulen allezeit
die vaͤterliche treue unſers GOttes gegen ſeine kinder (unſere rede iſt aber
auch allein von denjenigen/ ſo aus andern zeugnuͤſſen ihrer kindſchafft verſi-
chert ſind/) der ſie nach allem angewandten fleiß nicht in der ſuͤnden-gefahr
verlaſſen wuͤrde/ kraͤfftig entgegen geſetzet werden darff. Alſo ob wir ſchon
ſolten auf andere und dero urtheil gegangen ſeyn/ ſo ruhete doch der glaube
nicht auf ihnen/ weil freylich jeglicher ſeines glaubens leben muß/ ſondern auf
GOttes in ſeinem wort uns geruͤhmter treue.
Die andere Frage.

OB und wie fern ein Chriſt um ſeinen guten zweck und abſicht zu
erhalten/ wol
ſimuliren oder gar eine nothluͤgen begehen moͤge/
das iſt/ mit worten/ gebaͤrden und wercken ſich anders ſtellen als es
ihm ums hertz iſt.

Antwort.

JCh mache hie einen unterſcheid unter dem diſſimuliren und eigenlich ſo
genanten ſimuliren oder auch eigenlichen luͤgen. Was anlangt die
luͤgen und das eigenliche ſimuliren/ kan ich nicht glauben/ daß ſolches jema-
len erlaubet ſeye/ ſondern ſtehet mir immer entgegen das urtheil Pault
Rom. 3/ 8. daß nichts boͤſes zu thun/ daß gutes draus entſtehe.
Die diſſimulation aber/ wie ſie von der ſimulatione poſitiva unterſchieden iſt/
und die verſchweigung der wahrheit/ iſt nicht allemal unrecht. Alſo etwas
das allerdings nicht wahr iſt/ und wo alſo meine wort meinem conceptu
von der ſache/ und wol gar auch der ſache ſelbs/ entgegen ſind/ zu reden iſt un-

recht/
D d d 2
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[395/0403] ARTIC. IV. SECTIO II. ſicherheit geben kan. 3. Alſo iſt gleichwol eine verſicherung des hertzens alsdann vorhanden/ welches zwahr ſonſten in genere nicht ſagen koͤnte/ ob dieſes oder jenes der goͤttliche wille mehr waͤre/ aber weiß ſich in ſpecie ver- ſichert/ der goͤttliche wille ſeye gleichwol/ dasjenige dißmal zu thun/ was end- lich in kindlicher einfalt nach eigner uͤberlegung oder uͤbergebung an andere/ am ſicherſten reſolviret worden. 10. So verbleibet alſo allezeit das formale ſolches glaubens/ die verſi- cherung des hertzens/ daß eine ſache recht oder GOttes wille ſeye/ aber wor- aus ſolche verſicherung herkomme/ iſt nicht allezeit einerley. Jndem zuwei- len der menſch aus principiis goͤttlichen worts/ da er eigenlich ohne zweiffel die ſubſumtion auf ſich und ſeinen fall machen kan/ gerade zu ſeine verſiche- rung bekommet: Zuweilen kans auf die weiſe nicht erlanget werden/ ſondern muß man etwa dieſelbe in obigen vorſchlaͤgen/ oder anderes dergleichen ſu- chen: Welche in dem grad der vorigen verſicherung nicht gleich kommet/ aber doch dem gewiſſen gnug ſeyn kan/ weil denen auffſteigenden ſcrupulen allezeit die vaͤterliche treue unſers GOttes gegen ſeine kinder (unſere rede iſt aber auch allein von denjenigen/ ſo aus andern zeugnuͤſſen ihrer kindſchafft verſi- chert ſind/) der ſie nach allem angewandten fleiß nicht in der ſuͤnden-gefahr verlaſſen wuͤrde/ kraͤfftig entgegen geſetzet werden darff. Alſo ob wir ſchon ſolten auf andere und dero urtheil gegangen ſeyn/ ſo ruhete doch der glaube nicht auf ihnen/ weil freylich jeglicher ſeines glaubens leben muß/ ſondern auf GOttes in ſeinem wort uns geruͤhmter treue. Die andere Frage. OB und wie fern ein Chriſt um ſeinen guten zweck und abſicht zu erhalten/ wol ſimuliren oder gar eine nothluͤgen begehen moͤge/ das iſt/ mit worten/ gebaͤrden und wercken ſich anders ſtellen als es ihm ums hertz iſt. Antwort. JCh mache hie einen unterſcheid unter dem diſſimuliren und eigenlich ſo genanten ſimuliren oder auch eigenlichen luͤgen. Was anlangt die luͤgen und das eigenliche ſimuliren/ kan ich nicht glauben/ daß ſolches jema- len erlaubet ſeye/ ſondern ſtehet mir immer entgegen das urtheil Pault Rom. 3/ 8. daß nichts boͤſes zu thun/ daß gutes draus entſtehe. Die diſſimulation aber/ wie ſie von der ſimulatione poſitiva unterſchieden iſt/ und die verſchweigung der wahrheit/ iſt nicht allemal unrecht. Alſo etwas das allerdings nicht wahr iſt/ und wo alſo meine wort meinem conceptu von der ſache/ und wol gar auch der ſache ſelbs/ entgegen ſind/ zu reden iſt un- recht/ D d d 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/403>, abgerufen am 28.03.2024.