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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Das Verhältniß der Hospitäler ist in den verschiedenen Staaten sehr ver-
schieden, und ermangelt einer Behandlung im Ganzen. England hat gar keine
allgemeine Gesetzgebung. Frankreich: Hospitäler sind Staatsanstalten, werden
zum Theil durch eigene Steuern erhalten, nur auf Genehmigung errichtet, und
streng administrativ verwaltet; daher mangelt gänzlich das Institut der Armen-
ärzte. Grundlage ist das Gesetz vom 16. Vend. an V (1796); später den
Behörden unterworfen, wie alle Selbstverwaltung in Frankreich; es vertritt
das Heimathsrecht des Armen. In Deutschland Grundlage: Armenhospitäler,
Universitätskliniken und Armenärzte; in Oesterreich wenig, in Preußen gut
geordnet (vergl. Stein S. 124 ff).

b) Das Irrenwesen.

Das Irrenwesen ist überhaupt erst mit dem öffentlichen Gesund-
heitswesen entstanden, und daher gleich von Anfang an als Gegen-
stand der Verwaltung behandelt. Seine Aufgabe ist eine doppelte.
Zuerst das Irrenheilwesen, dem der große Gedanke der physischen
Heilbarkeit geistiger Krankheiten zum Grunde liegt. Dann das Irren-
recht, weil die Geisteskrankheit das Aufhören der Rechtsfähigkeit mit
sich bringt. Das Irrenwesen, nach beiden Richtungen hin erst mit
unserem Jahrhundert ausgebildet, ist in jeder Beziehung als ein
Triumph der neueren Civilisation anzuerkennen; die ärztliche Behand-
lung hat hier niemals das Bewußtsein der Wichtigkeit des öffentlich
rechtlichen Elementes verloren, und namentlich verdient das, was in
dieser Beziehung von den Deutschen geleistet wird, die höchste Achtung,
da Deutschland hier wenigstens auf dem Gebiet der Wissenschaft Allen
voransteht.

Statt der Literatur im Einzelnen, die in den verschiedenen Staats- und
Verwaltungsrechten enthalten ist, verweisen wir auf die treffliche Sammlung
aller europäischen Gesetzgebungen in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie
Bd. XIX. Suppl. von 1862; mit Scheidung in Civil-, Straf- und Polizei-
recht. S. schon Gerando, Bienf. publ. IV. 394 ff. (1839). England:
Lunacy-Regul. Act. 25. 26. Vict. 86 (1862). Vergl. dazu Nasse, Vorschläge
zur Irrengesetzgebung (1850). Stein S. 128--130.

c) Gebär- und Ammenanstalten.

Erste Andeutung in Paris seit 1715; spätere Ausbildung nur in
den Kliniken; namentlich geringe Beachtung des Ammenwesens; auch
das ist eine der künftigen wichtigen Aufgaben der Selbstverwaltung.

Literatur seit Frank gering; in Frankreich Gesetz vom 10. Januar 1849.
Ordnung in Deutschland meist örtlich. Stein S. 131.

Das Verhältniß der Hoſpitäler iſt in den verſchiedenen Staaten ſehr ver-
ſchieden, und ermangelt einer Behandlung im Ganzen. England hat gar keine
allgemeine Geſetzgebung. Frankreich: Hoſpitäler ſind Staatsanſtalten, werden
zum Theil durch eigene Steuern erhalten, nur auf Genehmigung errichtet, und
ſtreng adminiſtrativ verwaltet; daher mangelt gänzlich das Inſtitut der Armen-
ärzte. Grundlage iſt das Geſetz vom 16. Vend. an V (1796); ſpäter den
Behörden unterworfen, wie alle Selbſtverwaltung in Frankreich; es vertritt
das Heimathsrecht des Armen. In Deutſchland Grundlage: Armenhoſpitäler,
Univerſitätskliniken und Armenärzte; in Oeſterreich wenig, in Preußen gut
geordnet (vergl. Stein S. 124 ff).

b) Das Irrenweſen.

Das Irrenweſen iſt überhaupt erſt mit dem öffentlichen Geſund-
heitsweſen entſtanden, und daher gleich von Anfang an als Gegen-
ſtand der Verwaltung behandelt. Seine Aufgabe iſt eine doppelte.
Zuerſt das Irrenheilweſen, dem der große Gedanke der phyſiſchen
Heilbarkeit geiſtiger Krankheiten zum Grunde liegt. Dann das Irren-
recht, weil die Geiſteskrankheit das Aufhören der Rechtsfähigkeit mit
ſich bringt. Das Irrenweſen, nach beiden Richtungen hin erſt mit
unſerem Jahrhundert ausgebildet, iſt in jeder Beziehung als ein
Triumph der neueren Civiliſation anzuerkennen; die ärztliche Behand-
lung hat hier niemals das Bewußtſein der Wichtigkeit des öffentlich
rechtlichen Elementes verloren, und namentlich verdient das, was in
dieſer Beziehung von den Deutſchen geleiſtet wird, die höchſte Achtung,
da Deutſchland hier wenigſtens auf dem Gebiet der Wiſſenſchaft Allen
voranſteht.

Statt der Literatur im Einzelnen, die in den verſchiedenen Staats- und
Verwaltungsrechten enthalten iſt, verweiſen wir auf die treffliche Sammlung
aller europäiſchen Geſetzgebungen in der Allgemeinen Zeitſchrift für Pſychiatrie
Bd. XIX. Suppl. von 1862; mit Scheidung in Civil-, Straf- und Polizei-
recht. S. ſchon Gerando, Bienf. publ. IV. 394 ff. (1839). England:
Lunacy-Regul. Act. 25. 26. Vict. 86 (1862). Vergl. dazu Naſſe, Vorſchläge
zur Irrengeſetzgebung (1850). Stein S. 128—130.

c) Gebär- und Ammenanſtalten.

Erſte Andeutung in Paris ſeit 1715; ſpätere Ausbildung nur in
den Kliniken; namentlich geringe Beachtung des Ammenweſens; auch
das iſt eine der künftigen wichtigen Aufgaben der Selbſtverwaltung.

Literatur ſeit Frank gering; in Frankreich Geſetz vom 10. Januar 1849.
Ordnung in Deutſchland meiſt örtlich. Stein S. 131.

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[94/0118] Das Verhältniß der Hoſpitäler iſt in den verſchiedenen Staaten ſehr ver- ſchieden, und ermangelt einer Behandlung im Ganzen. England hat gar keine allgemeine Geſetzgebung. Frankreich: Hoſpitäler ſind Staatsanſtalten, werden zum Theil durch eigene Steuern erhalten, nur auf Genehmigung errichtet, und ſtreng adminiſtrativ verwaltet; daher mangelt gänzlich das Inſtitut der Armen- ärzte. Grundlage iſt das Geſetz vom 16. Vend. an V (1796); ſpäter den Behörden unterworfen, wie alle Selbſtverwaltung in Frankreich; es vertritt das Heimathsrecht des Armen. In Deutſchland Grundlage: Armenhoſpitäler, Univerſitätskliniken und Armenärzte; in Oeſterreich wenig, in Preußen gut geordnet (vergl. Stein S. 124 ff). b) Das Irrenweſen. Das Irrenweſen iſt überhaupt erſt mit dem öffentlichen Geſund- heitsweſen entſtanden, und daher gleich von Anfang an als Gegen- ſtand der Verwaltung behandelt. Seine Aufgabe iſt eine doppelte. Zuerſt das Irrenheilweſen, dem der große Gedanke der phyſiſchen Heilbarkeit geiſtiger Krankheiten zum Grunde liegt. Dann das Irren- recht, weil die Geiſteskrankheit das Aufhören der Rechtsfähigkeit mit ſich bringt. Das Irrenweſen, nach beiden Richtungen hin erſt mit unſerem Jahrhundert ausgebildet, iſt in jeder Beziehung als ein Triumph der neueren Civiliſation anzuerkennen; die ärztliche Behand- lung hat hier niemals das Bewußtſein der Wichtigkeit des öffentlich rechtlichen Elementes verloren, und namentlich verdient das, was in dieſer Beziehung von den Deutſchen geleiſtet wird, die höchſte Achtung, da Deutſchland hier wenigſtens auf dem Gebiet der Wiſſenſchaft Allen voranſteht. Statt der Literatur im Einzelnen, die in den verſchiedenen Staats- und Verwaltungsrechten enthalten iſt, verweiſen wir auf die treffliche Sammlung aller europäiſchen Geſetzgebungen in der Allgemeinen Zeitſchrift für Pſychiatrie Bd. XIX. Suppl. von 1862; mit Scheidung in Civil-, Straf- und Polizei- recht. S. ſchon Gerando, Bienf. publ. IV. 394 ff. (1839). England: Lunacy-Regul. Act. 25. 26. Vict. 86 (1862). Vergl. dazu Naſſe, Vorſchläge zur Irrengeſetzgebung (1850). Stein S. 128—130. c) Gebär- und Ammenanſtalten. Erſte Andeutung in Paris ſeit 1715; ſpätere Ausbildung nur in den Kliniken; namentlich geringe Beachtung des Ammenweſens; auch das iſt eine der künftigen wichtigen Aufgaben der Selbſtverwaltung. Literatur ſeit Frank gering; in Frankreich Geſetz vom 10. Januar 1849. Ordnung in Deutſchland meiſt örtlich. Stein S. 131.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/118>, abgerufen am 28.03.2024.