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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Stein S. 299. Specialanstalten ebend. S. 307. -- In England mangelt
alles allgemeine Recht; jede Berufsbildungsanstalt beruht theils auf dem alten
rein ständischen Recht, sogar mit eigener wirthschaftlicher Verwaltung, wie die
Universities und die meisten alten Colleges, theils sind sie Vereinsanstalten
oder Unternehmungen. Recht: Gneist I. S. 141. Huber, Engl. Universi-
täten II. Bd. Stein S. 328 ff.

C. Die allgemeine Bildung.
Wesen und System derselben.

Die allgemeine Bildung ist nun diejenige geistige Entwicklung aller
Einzelnen, welche nicht mehr einen bestimmten Zweck, sondern die ge-
sammte geistige Entwicklung des Einzelnen zum Inhalt hat. Sie ist
daher das geistige Leben der Gemeinschaft als solches; sie ist zugleich
Ergebniß und Grundlage jeder besonderen Bildung; sie ist die geistige
Gesittung der Menschheit, und in ihrer nationalen Gestalt die höchste
Individualität jedes Volkes. Aber ihr Lebenselement ist die Idee der
gleichen und gemeinsamen Bestimmung aller Menschen. Es ent-
steht daher auch eine allgemeine Bildung in den beiden Gesellschafts-
ordnungen, welche auf der rechtlichen und socialen Ungleichheit der
Menschen beruhen; allein in der Geschlechter- und Ständeordnung ist
sie nur das natürliche Resultat der geistigen Einzelarbeiten. Das höchste
Kennzeichen der staatsbürgerlichen Gesellschaft ist dagegen, daß hier
das Wesen und der Werth der allgemeinen Bildung zuerst zum Be-
wußtsein kommt, und dann in den höheren Stadien Gegenstand der
selbständigen Arbeit der Gemeinschaft wird. Auch diese Arbeit
bleibt nicht bei allgemeinen Thatsachen stehen, sondern nimmt allmählig
bekannte Formen an, die ihrerseits sich wieder mit bestimmten Rechten
umgeben; auf dem Verständniß dieser Formen beruht dann die Wissen-
schaft der allgemeinen Bildung, als organischer Theil des Bildungs-
wesens; und so entsteht das, was wir das System des allgemeinen
Bildungswesens nennen.

Das System wird nun von dem Princip beherrscht, daß jede all-
gemeine Bildung eine freie ist. Freiheit heißt hier, daß jeder sich
die allgemeine Bildung selbstthätig aneigne, und daß jeder dafür in
seiner Weise arbeite. Diese Thätigkeit für die allgemeine Bildung,
diese Thätigkeit für dieselbe vertheilt sich daher an den Organismus des
Lebens, und so entstehen die Grundformen derselben.

Die Aufgabe des Staates ist dabei die, die öffentlichen Gefähr-
dungen der Gesittung zu bekämpfen; die Aufgabe der Selbstverwaltung
und des Vereinswesens ist es, die Mittel für dieselbe herzustellen und

Stein S. 299. Specialanſtalten ebend. S. 307. — In England mangelt
alles allgemeine Recht; jede Berufsbildungsanſtalt beruht theils auf dem alten
rein ſtändiſchen Recht, ſogar mit eigener wirthſchaftlicher Verwaltung, wie die
Universities und die meiſten alten Colleges, theils ſind ſie Vereinsanſtalten
oder Unternehmungen. Recht: Gneiſt I. S. 141. Huber, Engl. Univerſi-
täten II. Bd. Stein S. 328 ff.

C. Die allgemeine Bildung.
Weſen und Syſtem derſelben.

Die allgemeine Bildung iſt nun diejenige geiſtige Entwicklung aller
Einzelnen, welche nicht mehr einen beſtimmten Zweck, ſondern die ge-
ſammte geiſtige Entwicklung des Einzelnen zum Inhalt hat. Sie iſt
daher das geiſtige Leben der Gemeinſchaft als ſolches; ſie iſt zugleich
Ergebniß und Grundlage jeder beſonderen Bildung; ſie iſt die geiſtige
Geſittung der Menſchheit, und in ihrer nationalen Geſtalt die höchſte
Individualität jedes Volkes. Aber ihr Lebenselement iſt die Idee der
gleichen und gemeinſamen Beſtimmung aller Menſchen. Es ent-
ſteht daher auch eine allgemeine Bildung in den beiden Geſellſchafts-
ordnungen, welche auf der rechtlichen und ſocialen Ungleichheit der
Menſchen beruhen; allein in der Geſchlechter- und Ständeordnung iſt
ſie nur das natürliche Reſultat der geiſtigen Einzelarbeiten. Das höchſte
Kennzeichen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft iſt dagegen, daß hier
das Weſen und der Werth der allgemeinen Bildung zuerſt zum Be-
wußtſein kommt, und dann in den höheren Stadien Gegenſtand der
ſelbſtändigen Arbeit der Gemeinſchaft wird. Auch dieſe Arbeit
bleibt nicht bei allgemeinen Thatſachen ſtehen, ſondern nimmt allmählig
bekannte Formen an, die ihrerſeits ſich wieder mit beſtimmten Rechten
umgeben; auf dem Verſtändniß dieſer Formen beruht dann die Wiſſen-
ſchaft der allgemeinen Bildung, als organiſcher Theil des Bildungs-
weſens; und ſo entſteht das, was wir das Syſtem des allgemeinen
Bildungsweſens nennen.

Das Syſtem wird nun von dem Princip beherrſcht, daß jede all-
gemeine Bildung eine freie iſt. Freiheit heißt hier, daß jeder ſich
die allgemeine Bildung ſelbſtthätig aneigne, und daß jeder dafür in
ſeiner Weiſe arbeite. Dieſe Thätigkeit für die allgemeine Bildung,
dieſe Thätigkeit für dieſelbe vertheilt ſich daher an den Organismus des
Lebens, und ſo entſtehen die Grundformen derſelben.

Die Aufgabe des Staates iſt dabei die, die öffentlichen Gefähr-
dungen der Geſittung zu bekämpfen; die Aufgabe der Selbſtverwaltung
und des Vereinsweſens iſt es, die Mittel für dieſelbe herzuſtellen und

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[134/0158] Stein S. 299. Specialanſtalten ebend. S. 307. — In England mangelt alles allgemeine Recht; jede Berufsbildungsanſtalt beruht theils auf dem alten rein ſtändiſchen Recht, ſogar mit eigener wirthſchaftlicher Verwaltung, wie die Universities und die meiſten alten Colleges, theils ſind ſie Vereinsanſtalten oder Unternehmungen. Recht: Gneiſt I. S. 141. Huber, Engl. Univerſi- täten II. Bd. Stein S. 328 ff. C. Die allgemeine Bildung. Weſen und Syſtem derſelben. Die allgemeine Bildung iſt nun diejenige geiſtige Entwicklung aller Einzelnen, welche nicht mehr einen beſtimmten Zweck, ſondern die ge- ſammte geiſtige Entwicklung des Einzelnen zum Inhalt hat. Sie iſt daher das geiſtige Leben der Gemeinſchaft als ſolches; ſie iſt zugleich Ergebniß und Grundlage jeder beſonderen Bildung; ſie iſt die geiſtige Geſittung der Menſchheit, und in ihrer nationalen Geſtalt die höchſte Individualität jedes Volkes. Aber ihr Lebenselement iſt die Idee der gleichen und gemeinſamen Beſtimmung aller Menſchen. Es ent- ſteht daher auch eine allgemeine Bildung in den beiden Geſellſchafts- ordnungen, welche auf der rechtlichen und ſocialen Ungleichheit der Menſchen beruhen; allein in der Geſchlechter- und Ständeordnung iſt ſie nur das natürliche Reſultat der geiſtigen Einzelarbeiten. Das höchſte Kennzeichen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft iſt dagegen, daß hier das Weſen und der Werth der allgemeinen Bildung zuerſt zum Be- wußtſein kommt, und dann in den höheren Stadien Gegenſtand der ſelbſtändigen Arbeit der Gemeinſchaft wird. Auch dieſe Arbeit bleibt nicht bei allgemeinen Thatſachen ſtehen, ſondern nimmt allmählig bekannte Formen an, die ihrerſeits ſich wieder mit beſtimmten Rechten umgeben; auf dem Verſtändniß dieſer Formen beruht dann die Wiſſen- ſchaft der allgemeinen Bildung, als organiſcher Theil des Bildungs- weſens; und ſo entſteht das, was wir das Syſtem des allgemeinen Bildungsweſens nennen. Das Syſtem wird nun von dem Princip beherrſcht, daß jede all- gemeine Bildung eine freie iſt. Freiheit heißt hier, daß jeder ſich die allgemeine Bildung ſelbſtthätig aneigne, und daß jeder dafür in ſeiner Weiſe arbeite. Dieſe Thätigkeit für die allgemeine Bildung, dieſe Thätigkeit für dieſelbe vertheilt ſich daher an den Organismus des Lebens, und ſo entſtehen die Grundformen derſelben. Die Aufgabe des Staates iſt dabei die, die öffentlichen Gefähr- dungen der Geſittung zu bekämpfen; die Aufgabe der Selbſtverwaltung und des Vereinsweſens iſt es, die Mittel für dieſelbe herzuſtellen und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/158>, abgerufen am 19.04.2024.