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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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möglich ist, entsteht die Volkswirthschaftspflege als dasjenige
große Gebiet der inneren Verwaltung, dessen Aufgabe die Entwicklung
und Vollendung der Volkswirthschaft durch die organisirte Thätigkeit
der Gemeinschaft für diejenigen materiellen Voraussetzungen ist, ohne
welche der Einzelne seine wirthschaftliche Bestimmung nicht erreichen
kann. Wir nennen sie deßhalb die wirthschaftliche Verwaltung.

Die hohe Bedeutung dieser wirthschaftlichen Verwaltung liegt zu-
nächst in der Gewalt, welche Besitz und Arbeit über das persönliche
Leben haben, und deren Ausdruck der Satz ist, daß die wirthschaft-
liche Unabhängigkeit den Körper der Freiheit und die
Grundlage alles Fortschrittes bildet
. Die organische Lehre
der Nationalökonomie zeigt aber anderseits, daß die Bedingung des
Erwerbes des Einen stets die Fähigkeit des Andern ist gleichfalls zu
erwerben; indem die Verwaltung daher für jeden Einzelnen sorgt, sorgt
sie zugleich für alle; so wird diese wirthschaftliche Verwaltung die orga-
nische Verwirklichung der Idee der Harmonie der Interessen,
und mit ihr erscheint daher die Verkörperung der großen, die Zukunft
beherrschenden Wahrheit, daß die Harmonie das Interesse, die
Verwirklichung alles Fortschrittes und aller Freiheit
ent-
hält. Erst von diesem höchsten Standpunkte entfaltet sich die Volks-
wirthschaftspflege zu ihrer ganzen Bedeutung für das Leben der Mensch-
heit, und ihr Inhalt wird auch in seinen einzelnsten, materiellsten
Theilen zu einer der großartigsten Aufgaben der Wissenschaft.

Die geschichtliche Entwicklung derselben.

Eben deßhalb ist die Grundlage der geschichtlichen Entwicklung der
wirthschaftlichen Verwaltung das allmälige Entstehen des Verständnisses
dieser Idee derselben, der freien und gleichen Bestimmung aller wirth-
schaftlichen Bewegung. Die Geschlechterordnung entbehrt darum der-
selben ganz. Die ständische Ordnung löst ihr wirthschaftliches Leben
in die Sonderinteressen der einzelnen Stände und ihrer Körperschaften
und in den auch wirthschaftlichen Kampf derselben untereinander auf.
Erst mit dem Siege der Staatsidee entsteht der Gedanke und der Ver-
such einer wirthschaftlichen Verwaltung.

Diese selbst entfaltet sich nun aus ihrer ursprünglichen Einfachheit
nur allmälig zu einer, das gesammte Leben mit vollem Bewußtsein
ihrer Aufgabe umfassenden Thätigkeit. Den Ausdruck der Standpunkte,
welche die Verwaltung nach einander seit dem sechzehnten Jahrhundert
einnimmt, bilden zunächst die drei sogenannten Schulen der National-
ökonomie, die in der That wesentlich Principien und Systeme der

möglich iſt, entſteht die Volkswirthſchaftspflege als dasjenige
große Gebiet der inneren Verwaltung, deſſen Aufgabe die Entwicklung
und Vollendung der Volkswirthſchaft durch die organiſirte Thätigkeit
der Gemeinſchaft für diejenigen materiellen Vorausſetzungen iſt, ohne
welche der Einzelne ſeine wirthſchaftliche Beſtimmung nicht erreichen
kann. Wir nennen ſie deßhalb die wirthſchaftliche Verwaltung.

Die hohe Bedeutung dieſer wirthſchaftlichen Verwaltung liegt zu-
nächſt in der Gewalt, welche Beſitz und Arbeit über das perſönliche
Leben haben, und deren Ausdruck der Satz iſt, daß die wirthſchaft-
liche Unabhängigkeit den Körper der Freiheit und die
Grundlage alles Fortſchrittes bildet
. Die organiſche Lehre
der Nationalökonomie zeigt aber anderſeits, daß die Bedingung des
Erwerbes des Einen ſtets die Fähigkeit des Andern iſt gleichfalls zu
erwerben; indem die Verwaltung daher für jeden Einzelnen ſorgt, ſorgt
ſie zugleich für alle; ſo wird dieſe wirthſchaftliche Verwaltung die orga-
niſche Verwirklichung der Idee der Harmonie der Intereſſen,
und mit ihr erſcheint daher die Verkörperung der großen, die Zukunft
beherrſchenden Wahrheit, daß die Harmonie das Intereſſe, die
Verwirklichung alles Fortſchrittes und aller Freiheit
ent-
hält. Erſt von dieſem höchſten Standpunkte entfaltet ſich die Volks-
wirthſchaftspflege zu ihrer ganzen Bedeutung für das Leben der Menſch-
heit, und ihr Inhalt wird auch in ſeinen einzelnſten, materiellſten
Theilen zu einer der großartigſten Aufgaben der Wiſſenſchaft.

Die geſchichtliche Entwicklung derſelben.

Eben deßhalb iſt die Grundlage der geſchichtlichen Entwicklung der
wirthſchaftlichen Verwaltung das allmälige Entſtehen des Verſtändniſſes
dieſer Idee derſelben, der freien und gleichen Beſtimmung aller wirth-
ſchaftlichen Bewegung. Die Geſchlechterordnung entbehrt darum der-
ſelben ganz. Die ſtändiſche Ordnung löst ihr wirthſchaftliches Leben
in die Sonderintereſſen der einzelnen Stände und ihrer Körperſchaften
und in den auch wirthſchaftlichen Kampf derſelben untereinander auf.
Erſt mit dem Siege der Staatsidee entſteht der Gedanke und der Ver-
ſuch einer wirthſchaftlichen Verwaltung.

Dieſe ſelbſt entfaltet ſich nun aus ihrer urſprünglichen Einfachheit
nur allmälig zu einer, das geſammte Leben mit vollem Bewußtſein
ihrer Aufgabe umfaſſenden Thätigkeit. Den Ausdruck der Standpunkte,
welche die Verwaltung nach einander ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert
einnimmt, bilden zunächſt die drei ſogenannten Schulen der National-
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[141/0165] möglich iſt, entſteht die Volkswirthſchaftspflege als dasjenige große Gebiet der inneren Verwaltung, deſſen Aufgabe die Entwicklung und Vollendung der Volkswirthſchaft durch die organiſirte Thätigkeit der Gemeinſchaft für diejenigen materiellen Vorausſetzungen iſt, ohne welche der Einzelne ſeine wirthſchaftliche Beſtimmung nicht erreichen kann. Wir nennen ſie deßhalb die wirthſchaftliche Verwaltung. Die hohe Bedeutung dieſer wirthſchaftlichen Verwaltung liegt zu- nächſt in der Gewalt, welche Beſitz und Arbeit über das perſönliche Leben haben, und deren Ausdruck der Satz iſt, daß die wirthſchaft- liche Unabhängigkeit den Körper der Freiheit und die Grundlage alles Fortſchrittes bildet. Die organiſche Lehre der Nationalökonomie zeigt aber anderſeits, daß die Bedingung des Erwerbes des Einen ſtets die Fähigkeit des Andern iſt gleichfalls zu erwerben; indem die Verwaltung daher für jeden Einzelnen ſorgt, ſorgt ſie zugleich für alle; ſo wird dieſe wirthſchaftliche Verwaltung die orga- niſche Verwirklichung der Idee der Harmonie der Intereſſen, und mit ihr erſcheint daher die Verkörperung der großen, die Zukunft beherrſchenden Wahrheit, daß die Harmonie das Intereſſe, die Verwirklichung alles Fortſchrittes und aller Freiheit ent- hält. Erſt von dieſem höchſten Standpunkte entfaltet ſich die Volks- wirthſchaftspflege zu ihrer ganzen Bedeutung für das Leben der Menſch- heit, und ihr Inhalt wird auch in ſeinen einzelnſten, materiellſten Theilen zu einer der großartigſten Aufgaben der Wiſſenſchaft. Die geſchichtliche Entwicklung derſelben. Eben deßhalb iſt die Grundlage der geſchichtlichen Entwicklung der wirthſchaftlichen Verwaltung das allmälige Entſtehen des Verſtändniſſes dieſer Idee derſelben, der freien und gleichen Beſtimmung aller wirth- ſchaftlichen Bewegung. Die Geſchlechterordnung entbehrt darum der- ſelben ganz. Die ſtändiſche Ordnung löst ihr wirthſchaftliches Leben in die Sonderintereſſen der einzelnen Stände und ihrer Körperſchaften und in den auch wirthſchaftlichen Kampf derſelben untereinander auf. Erſt mit dem Siege der Staatsidee entſteht der Gedanke und der Ver- ſuch einer wirthſchaftlichen Verwaltung. Dieſe ſelbſt entfaltet ſich nun aus ihrer urſprünglichen Einfachheit nur allmälig zu einer, das geſammte Leben mit vollem Bewußtſein ihrer Aufgabe umfaſſenden Thätigkeit. Den Ausdruck der Standpunkte, welche die Verwaltung nach einander ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert einnimmt, bilden zunächſt die drei ſogenannten Schulen der National- ökonomie, die in der That weſentlich Principien und Syſteme der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/165>, abgerufen am 23.04.2024.