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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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besitzes erzeugen, welche vermöge der gesellschaftlichen Rechtsbildung
den Charakter eines Privatrechts annehmen. Ihre Aufgabe ist es,
durch die Entwährung dieses Privatrechts die Freiheit des Grundbesitzes
herzustellen, und damit die Principien der staatsbürgerlichen Gesell-
schaft für ländliche Selbstverwaltung und Landwirthschaft zur Geltung
zu bringen.

Sie theilen sich daher in zwei große Gebiete. Das erste ist das
der Grundentlastungen, das auf der Grundherrlichkeit beruht; das
zweite das der Gemeinheitstheilungen, das mit dem Eigenthums-
verhältniß der alten Geschlechterdörfer zu thun hat. Die Aufhebung
der unfreien Arbeit gehört allerdings demselben historischen Proceß,
aber nicht der Entwährung und zwar deßhalb nicht, weil bei ihnen
keine Entschädigung vorkommt, da kein wirthschaftlicher Werth des auf-
gehobenen Vorrechts nachgewiesen werden kann. Die Aufhebung der
Bann- und Realrechte bildet daher den Uebergang von der Befreiung der
gewerblichen Arbeit durch die Gewerbefreiheit zu den Grundentlastungen.

1) Die Grundentlastungen umfassen daher eine mehr als zwei-
hundertjährige Arbeit der Geschichte theils auf dem Gebiete der Wissen-
schaft, theils auf dem der Gesetzgebung, theils auf dem der Verwaltung.
In der ersten Epoche derselben handelt es sich um die Aufhebung der
Leibeigenschaft, in der zweiten um die Regulirung der Frohnden und
Zehnten, in der dritten, der eigentlichen Periode der Grundentlastung,
um die volle Entwährung derselben. Die Wissenschaft hat in diesem
Processe das Princip der Freiheit, ihre höhere Nothwendigkeit und
ihren wirthschaftlichen Werth, die Gesetzgebung die rechtliche Ordnung
der Entwährung und die Verwaltung die Umgestaltung der Grund-
herrlichkeit in amtliche und Selbstverwaltung der Gemeinde zu vertreten.
Natürlich gehen diese Verhältnisse vielfach durcheinander. Doch kann
man im Allgemeinen sagen, daß das achtzehnte Jahrhundert die Noth-
wendigkeit der Befreiung des Bauernstandes zu erkennen beginnt, die
erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit derselben anfängt und
erst die zweite Hälfte sie auf Grundlage der Entwährung zum Princip
des öffentlichen Rechts gemacht hat. Die Epoche derselben ist daher
im Großen und Ganzen als abgeschlossen zu betrachten.

2) Die Gemeinheitstheilungen und Ablösungen haben
dagegen einen ganz andern Charakter. Sie erscheinen von Anfang an
nicht als ein socialer Proceß, sondern als eine volkswirthschaftliche
Maßregel, da das Gemeindegut (Almend, Hutweide etc.) so wenig als
die Weide- und Holzservituten den Ausdruck der Herrschaft einer Classe
über die andere enthalten. Daher ist auch ihre Geschichte eine ganz
andere. Während sie im achtzehnten Jahrhundert im Namen der Volks-

beſitzes erzeugen, welche vermöge der geſellſchaftlichen Rechtsbildung
den Charakter eines Privatrechts annehmen. Ihre Aufgabe iſt es,
durch die Entwährung dieſes Privatrechts die Freiheit des Grundbeſitzes
herzuſtellen, und damit die Principien der ſtaatsbürgerlichen Geſell-
ſchaft für ländliche Selbſtverwaltung und Landwirthſchaft zur Geltung
zu bringen.

Sie theilen ſich daher in zwei große Gebiete. Das erſte iſt das
der Grundentlaſtungen, das auf der Grundherrlichkeit beruht; das
zweite das der Gemeinheitstheilungen, das mit dem Eigenthums-
verhältniß der alten Geſchlechterdörfer zu thun hat. Die Aufhebung
der unfreien Arbeit gehört allerdings demſelben hiſtoriſchen Proceß,
aber nicht der Entwährung und zwar deßhalb nicht, weil bei ihnen
keine Entſchädigung vorkommt, da kein wirthſchaftlicher Werth des auf-
gehobenen Vorrechts nachgewieſen werden kann. Die Aufhebung der
Bann- und Realrechte bildet daher den Uebergang von der Befreiung der
gewerblichen Arbeit durch die Gewerbefreiheit zu den Grundentlaſtungen.

1) Die Grundentlaſtungen umfaſſen daher eine mehr als zwei-
hundertjährige Arbeit der Geſchichte theils auf dem Gebiete der Wiſſen-
ſchaft, theils auf dem der Geſetzgebung, theils auf dem der Verwaltung.
In der erſten Epoche derſelben handelt es ſich um die Aufhebung der
Leibeigenſchaft, in der zweiten um die Regulirung der Frohnden und
Zehnten, in der dritten, der eigentlichen Periode der Grundentlaſtung,
um die volle Entwährung derſelben. Die Wiſſenſchaft hat in dieſem
Proceſſe das Princip der Freiheit, ihre höhere Nothwendigkeit und
ihren wirthſchaftlichen Werth, die Geſetzgebung die rechtliche Ordnung
der Entwährung und die Verwaltung die Umgeſtaltung der Grund-
herrlichkeit in amtliche und Selbſtverwaltung der Gemeinde zu vertreten.
Natürlich gehen dieſe Verhältniſſe vielfach durcheinander. Doch kann
man im Allgemeinen ſagen, daß das achtzehnte Jahrhundert die Noth-
wendigkeit der Befreiung des Bauernſtandes zu erkennen beginnt, die
erſte Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit derſelben anfängt und
erſt die zweite Hälfte ſie auf Grundlage der Entwährung zum Princip
des öffentlichen Rechts gemacht hat. Die Epoche derſelben iſt daher
im Großen und Ganzen als abgeſchloſſen zu betrachten.

2) Die Gemeinheitstheilungen und Ablöſungen haben
dagegen einen ganz andern Charakter. Sie erſcheinen von Anfang an
nicht als ein ſocialer Proceß, ſondern als eine volkswirthſchaftliche
Maßregel, da das Gemeindegut (Almend, Hutweide ꝛc.) ſo wenig als
die Weide- und Holzſervituten den Ausdruck der Herrſchaft einer Claſſe
über die andere enthalten. Daher iſt auch ihre Geſchichte eine ganz
andere. Während ſie im achtzehnten Jahrhundert im Namen der Volks-

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[146/0170] beſitzes erzeugen, welche vermöge der geſellſchaftlichen Rechtsbildung den Charakter eines Privatrechts annehmen. Ihre Aufgabe iſt es, durch die Entwährung dieſes Privatrechts die Freiheit des Grundbeſitzes herzuſtellen, und damit die Principien der ſtaatsbürgerlichen Geſell- ſchaft für ländliche Selbſtverwaltung und Landwirthſchaft zur Geltung zu bringen. Sie theilen ſich daher in zwei große Gebiete. Das erſte iſt das der Grundentlaſtungen, das auf der Grundherrlichkeit beruht; das zweite das der Gemeinheitstheilungen, das mit dem Eigenthums- verhältniß der alten Geſchlechterdörfer zu thun hat. Die Aufhebung der unfreien Arbeit gehört allerdings demſelben hiſtoriſchen Proceß, aber nicht der Entwährung und zwar deßhalb nicht, weil bei ihnen keine Entſchädigung vorkommt, da kein wirthſchaftlicher Werth des auf- gehobenen Vorrechts nachgewieſen werden kann. Die Aufhebung der Bann- und Realrechte bildet daher den Uebergang von der Befreiung der gewerblichen Arbeit durch die Gewerbefreiheit zu den Grundentlaſtungen. 1) Die Grundentlaſtungen umfaſſen daher eine mehr als zwei- hundertjährige Arbeit der Geſchichte theils auf dem Gebiete der Wiſſen- ſchaft, theils auf dem der Geſetzgebung, theils auf dem der Verwaltung. In der erſten Epoche derſelben handelt es ſich um die Aufhebung der Leibeigenſchaft, in der zweiten um die Regulirung der Frohnden und Zehnten, in der dritten, der eigentlichen Periode der Grundentlaſtung, um die volle Entwährung derſelben. Die Wiſſenſchaft hat in dieſem Proceſſe das Princip der Freiheit, ihre höhere Nothwendigkeit und ihren wirthſchaftlichen Werth, die Geſetzgebung die rechtliche Ordnung der Entwährung und die Verwaltung die Umgeſtaltung der Grund- herrlichkeit in amtliche und Selbſtverwaltung der Gemeinde zu vertreten. Natürlich gehen dieſe Verhältniſſe vielfach durcheinander. Doch kann man im Allgemeinen ſagen, daß das achtzehnte Jahrhundert die Noth- wendigkeit der Befreiung des Bauernſtandes zu erkennen beginnt, die erſte Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit derſelben anfängt und erſt die zweite Hälfte ſie auf Grundlage der Entwährung zum Princip des öffentlichen Rechts gemacht hat. Die Epoche derſelben iſt daher im Großen und Ganzen als abgeſchloſſen zu betrachten. 2) Die Gemeinheitstheilungen und Ablöſungen haben dagegen einen ganz andern Charakter. Sie erſcheinen von Anfang an nicht als ein ſocialer Proceß, ſondern als eine volkswirthſchaftliche Maßregel, da das Gemeindegut (Almend, Hutweide ꝛc.) ſo wenig als die Weide- und Holzſervituten den Ausdruck der Herrſchaft einer Claſſe über die andere enthalten. Daher iſt auch ihre Geſchichte eine ganz andere. Während ſie im achtzehnten Jahrhundert im Namen der Volks-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/170>, abgerufen am 25.04.2024.