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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Capitales. Aus dem ersten geht dasjenige hervor, was wir das Grund-
buchswesen
nennen, aus dem zweiten das Vereinswesen des
Realcredits
, der die Organisirung des Realcredits enthält und
daher auch wohl das Realcreditwesen im eigentlichen Sinne heißt.

Vor allem mangelt auch hier die einheitliche Auffassung in der bisherigen
Literatur; aus naheliegenden Gründen haben Nationalökonomie und Volks-
wirthschaftspflege sich fast nur mit dem eigentlichen Realcredit beschäftigt, und
das Grundbuchswesen der strengen Jurisprudenz überlassen. Es ist klar, daß
dieß falsch ist; das Grundbuchswesen beruht in allen Punkten auf öffentlichem
Interesse und nicht auf Privatrecht; mit Recht interpretirt die Jurisprudenz
seine gesetzlichen Bestimmungen, aber verstehen kann es nur die Verwaltungs-
lehre durch Verständniß der Gründe, welche es selbst erzeugt haben. Bericht
des volkswirthschaftlichen Congresses zu Cöln über die Zustände des Real-
credits
(Sachsen und Oesterreich) 1866.

I. Das Grundbuchswesen.

Unterschied vom Pfandrecht.

Es ist allerdings kein Zweifel, daß jedes Darlehen auf Hypothek
als Kauf des Werthes eines unbeweglichen Gutes zunächst ein bürger-
licher Vertrag ist, der alle Voraussetzungen und Rechte eines solchen
enthält. An sich ist es daher Sache jedes Einzelnen, sich aller juristi-
schen und wirthschaftlichen Bedingungen des Eigenthumserwerbes an
dem Werthe des Immobile zu vergewissern, nicht anders wie bei jedem
andern Kaufvertrage. Es ist seine Sache, die Bedingungen für
sein Darlehen sowohl in juristischer als wirthschaftlicher Beziehung so
zu stellen, wie er es für nöthig hält; die Verwaltung hat ihn in
diesem seinem Rechte nur so weit zu schützen, wie in jedem andern;
sie hat zunächst für das Kaufrecht des Werthes kein anderes Recht
aufzustellen, als für jedes andere; das Darlehen ist ein gewöhnliches
Geschäft, das Gericht wahrt dasselbe, so weit es erworben ist, aber
Sicherheit, Gewinn und Verlust und wirthschaftliche Folgen gehen die
Verwaltung auf diesem Punkte gar nichts an. Die Gesammtheit aller
Rechtsverhältnisse, die sich daraus ergeben, bilden das, was die Juris-
prudenz das Pfandrecht nennt.

So wie aber mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft
der selbständig werdende Werth seine Funktion beginnt, beginnen auch die
Bedingungen, unter denen der Einzelne ein Darlehen auf Immobilien
gibt, eine öffentliche Bedeutung zu gewinnen. Und jetzt entsteht daher
die Frage, zuerst welches diese Bedingungen sind, und zweitens ob
und was die Gesetzgebung und Verwaltung dafür thun kann, um sie
in so weit herzustellen, als der Einzelne selbst es nicht vermag.

Capitales. Aus dem erſten geht dasjenige hervor, was wir das Grund-
buchsweſen
nennen, aus dem zweiten das Vereinsweſen des
Realcredits
, der die Organiſirung des Realcredits enthält und
daher auch wohl das Realcreditweſen im eigentlichen Sinne heißt.

Vor allem mangelt auch hier die einheitliche Auffaſſung in der bisherigen
Literatur; aus naheliegenden Gründen haben Nationalökonomie und Volks-
wirthſchaftspflege ſich faſt nur mit dem eigentlichen Realcredit beſchäftigt, und
das Grundbuchsweſen der ſtrengen Jurisprudenz überlaſſen. Es iſt klar, daß
dieß falſch iſt; das Grundbuchsweſen beruht in allen Punkten auf öffentlichem
Intereſſe und nicht auf Privatrecht; mit Recht interpretirt die Jurisprudenz
ſeine geſetzlichen Beſtimmungen, aber verſtehen kann es nur die Verwaltungs-
lehre durch Verſtändniß der Gründe, welche es ſelbſt erzeugt haben. Bericht
des volkswirthſchaftlichen Congreſſes zu Cöln über die Zuſtände des Real-
credits
(Sachſen und Oeſterreich) 1866.

I. Das Grundbuchsweſen.

Unterſchied vom Pfandrecht.

Es iſt allerdings kein Zweifel, daß jedes Darlehen auf Hypothek
als Kauf des Werthes eines unbeweglichen Gutes zunächſt ein bürger-
licher Vertrag iſt, der alle Vorausſetzungen und Rechte eines ſolchen
enthält. An ſich iſt es daher Sache jedes Einzelnen, ſich aller juriſti-
ſchen und wirthſchaftlichen Bedingungen des Eigenthumserwerbes an
dem Werthe des Immobile zu vergewiſſern, nicht anders wie bei jedem
andern Kaufvertrage. Es iſt ſeine Sache, die Bedingungen für
ſein Darlehen ſowohl in juriſtiſcher als wirthſchaftlicher Beziehung ſo
zu ſtellen, wie er es für nöthig hält; die Verwaltung hat ihn in
dieſem ſeinem Rechte nur ſo weit zu ſchützen, wie in jedem andern;
ſie hat zunächſt für das Kaufrecht des Werthes kein anderes Recht
aufzuſtellen, als für jedes andere; das Darlehen iſt ein gewöhnliches
Geſchäft, das Gericht wahrt daſſelbe, ſo weit es erworben iſt, aber
Sicherheit, Gewinn und Verluſt und wirthſchaftliche Folgen gehen die
Verwaltung auf dieſem Punkte gar nichts an. Die Geſammtheit aller
Rechtsverhältniſſe, die ſich daraus ergeben, bilden das, was die Juris-
prudenz das Pfandrecht nennt.

So wie aber mit dem Auftreten der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft
der ſelbſtändig werdende Werth ſeine Funktion beginnt, beginnen auch die
Bedingungen, unter denen der Einzelne ein Darlehen auf Immobilien
gibt, eine öffentliche Bedeutung zu gewinnen. Und jetzt entſteht daher
die Frage, zuerſt welches dieſe Bedingungen ſind, und zweitens ob
und was die Geſetzgebung und Verwaltung dafür thun kann, um ſie
in ſo weit herzuſtellen, als der Einzelne ſelbſt es nicht vermag.

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[260/0284] Capitales. Aus dem erſten geht dasjenige hervor, was wir das Grund- buchsweſen nennen, aus dem zweiten das Vereinsweſen des Realcredits, der die Organiſirung des Realcredits enthält und daher auch wohl das Realcreditweſen im eigentlichen Sinne heißt. Vor allem mangelt auch hier die einheitliche Auffaſſung in der bisherigen Literatur; aus naheliegenden Gründen haben Nationalökonomie und Volks- wirthſchaftspflege ſich faſt nur mit dem eigentlichen Realcredit beſchäftigt, und das Grundbuchsweſen der ſtrengen Jurisprudenz überlaſſen. Es iſt klar, daß dieß falſch iſt; das Grundbuchsweſen beruht in allen Punkten auf öffentlichem Intereſſe und nicht auf Privatrecht; mit Recht interpretirt die Jurisprudenz ſeine geſetzlichen Beſtimmungen, aber verſtehen kann es nur die Verwaltungs- lehre durch Verſtändniß der Gründe, welche es ſelbſt erzeugt haben. Bericht des volkswirthſchaftlichen Congreſſes zu Cöln über die Zuſtände des Real- credits (Sachſen und Oeſterreich) 1866. I. Das Grundbuchsweſen. Unterſchied vom Pfandrecht. Es iſt allerdings kein Zweifel, daß jedes Darlehen auf Hypothek als Kauf des Werthes eines unbeweglichen Gutes zunächſt ein bürger- licher Vertrag iſt, der alle Vorausſetzungen und Rechte eines ſolchen enthält. An ſich iſt es daher Sache jedes Einzelnen, ſich aller juriſti- ſchen und wirthſchaftlichen Bedingungen des Eigenthumserwerbes an dem Werthe des Immobile zu vergewiſſern, nicht anders wie bei jedem andern Kaufvertrage. Es iſt ſeine Sache, die Bedingungen für ſein Darlehen ſowohl in juriſtiſcher als wirthſchaftlicher Beziehung ſo zu ſtellen, wie er es für nöthig hält; die Verwaltung hat ihn in dieſem ſeinem Rechte nur ſo weit zu ſchützen, wie in jedem andern; ſie hat zunächſt für das Kaufrecht des Werthes kein anderes Recht aufzuſtellen, als für jedes andere; das Darlehen iſt ein gewöhnliches Geſchäft, das Gericht wahrt daſſelbe, ſo weit es erworben iſt, aber Sicherheit, Gewinn und Verluſt und wirthſchaftliche Folgen gehen die Verwaltung auf dieſem Punkte gar nichts an. Die Geſammtheit aller Rechtsverhältniſſe, die ſich daraus ergeben, bilden das, was die Juris- prudenz das Pfandrecht nennt. So wie aber mit dem Auftreten der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft der ſelbſtändig werdende Werth ſeine Funktion beginnt, beginnen auch die Bedingungen, unter denen der Einzelne ein Darlehen auf Immobilien gibt, eine öffentliche Bedeutung zu gewinnen. Und jetzt entſteht daher die Frage, zuerſt welches dieſe Bedingungen ſind, und zweitens ob und was die Geſetzgebung und Verwaltung dafür thun kann, um ſie in ſo weit herzuſtellen, als der Einzelne ſelbſt es nicht vermag.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/284>, abgerufen am 28.03.2024.