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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Say, Cours complet V. 19. Verbote der Absperrung der Gränze durch die
Reichsstände (Reichsabsch. 1555. §. 14; vergl. Berg, Polizeirecht III. S. 493 ff.).
Ausfuhrprämien ebend. §. 108; privilegirte Handelsgesellschaften S. 255. Beginn
des Kampfes der Handelsfreiheit: schon Verbot der Monopole (Reichspolizei-
ordnung 1577). Klare Formulirung des Begriffes und Wesens der Handels-
freiheit schon bei Berg, Polizeirecht III. 490: "Handelsleitung ist Handels-
unterdrückung" und "die freyeste Thätigkeit des Handels sicher zu stellen,
ist Handelspolizei." Das neunzehnte Jahrhundert bringt dann die Entwicklung
des Systems der Handelspflege, von der jeder einzelne Theil wieder seine Ge-
schichte und sein Recht hat; s. das Folgende.

System der Handelsverwaltung.

Wenn nun auf diese Weise die Selbstthätigkeit des Einzelnen, die
Freiheit der Handelsunternehmung die Grundlage aller Entwicklung
des Handels ist, so empfängt dadurch die Aufgabe des Staats gegen-
über dem Handel auch im Einzelnen ihren speciellen Charakter. Der
Staat hat für dieselbe keine besondere Anstalten herzustellen, welche
ihm in seinen einzelnen Zweigen die Bedingungen seiner Entwicklung
bieten, sondern er schafft sich diese Anstalten selber, und muß
sie auch selber verwalten. Daher der große historische Satz, daß
der Handel die Völker frei macht; es gibt dem Volke in seiner Ver-
waltung gleichsam die Freiheit zurück, die er in der Handelsfreiheit
von ihnen empfängt. Daher die Thatsache, daß Handelsstaaten einen
tief republikanischen Charakter haben, und im Einzelnen das Polizei-
regiment hartnäckig abweisen. Von den großen Knotenpunkten des
Handels in Europa ist die staatliche Freiheit ausgegangen, in ihnen
die Selbstverwaltung erhalten, und durch sie das Vereinswesen erzeugt
worden. Und daher schließlich auch die Schwierigkeit für die Theorie,
der "Handelspolizei" oder Handelspflege einen selbständigen systemati-
schen Inhalt zu geben, ohne sie mit Gewerbe und Industrie zu ver-
schmelzen.

Damit nun ergibt sich, daß die Summe dessen, was die Verwal-
tung für den Handel im Besondern thun kann, sich in der Herstellung
der äußern und der innern Bedingungen dieser Freiheit zu-
zusammenfaßt. Die ersteren nun beziehen sich auf den Handel nach
Außen, die andern auf diejenigen innern Zustände und Verhältnisse,
die sich der Handel für seine eigene Entwicklung selber geschaffen hat.
Jene enthalten die Freiheit des internationalen Verkehrs, diese die
rechtliche Ordnung der Handelsbewegung im Ganzen und ihrer be-
sondern Formen. Beide aber werden vertreten und getragen durch den
Organismus des Handels, der seinerseits wieder die Aufgabe hat,

Say, Cours complet V. 19. Verbote der Abſperrung der Gränze durch die
Reichsſtände (Reichsabſch. 1555. §. 14; vergl. Berg, Polizeirecht III. S. 493 ff.).
Ausfuhrprämien ebend. §. 108; privilegirte Handelsgeſellſchaften S. 255. Beginn
des Kampfes der Handelsfreiheit: ſchon Verbot der Monopole (Reichspolizei-
ordnung 1577). Klare Formulirung des Begriffes und Weſens der Handels-
freiheit ſchon bei Berg, Polizeirecht III. 490: „Handelsleitung iſt Handels-
unterdrückung“ und „die freyeſte Thätigkeit des Handels ſicher zu ſtellen,
iſt Handelspolizei.“ Das neunzehnte Jahrhundert bringt dann die Entwicklung
des Syſtems der Handelspflege, von der jeder einzelne Theil wieder ſeine Ge-
ſchichte und ſein Recht hat; ſ. das Folgende.

Syſtem der Handelsverwaltung.

Wenn nun auf dieſe Weiſe die Selbſtthätigkeit des Einzelnen, die
Freiheit der Handelsunternehmung die Grundlage aller Entwicklung
des Handels iſt, ſo empfängt dadurch die Aufgabe des Staats gegen-
über dem Handel auch im Einzelnen ihren ſpeciellen Charakter. Der
Staat hat für dieſelbe keine beſondere Anſtalten herzuſtellen, welche
ihm in ſeinen einzelnen Zweigen die Bedingungen ſeiner Entwicklung
bieten, ſondern er ſchafft ſich dieſe Anſtalten ſelber, und muß
ſie auch ſelber verwalten. Daher der große hiſtoriſche Satz, daß
der Handel die Völker frei macht; es gibt dem Volke in ſeiner Ver-
waltung gleichſam die Freiheit zurück, die er in der Handelsfreiheit
von ihnen empfängt. Daher die Thatſache, daß Handelsſtaaten einen
tief republikaniſchen Charakter haben, und im Einzelnen das Polizei-
regiment hartnäckig abweiſen. Von den großen Knotenpunkten des
Handels in Europa iſt die ſtaatliche Freiheit ausgegangen, in ihnen
die Selbſtverwaltung erhalten, und durch ſie das Vereinsweſen erzeugt
worden. Und daher ſchließlich auch die Schwierigkeit für die Theorie,
der „Handelspolizei“ oder Handelspflege einen ſelbſtändigen ſyſtemati-
ſchen Inhalt zu geben, ohne ſie mit Gewerbe und Induſtrie zu ver-
ſchmelzen.

Damit nun ergibt ſich, daß die Summe deſſen, was die Verwal-
tung für den Handel im Beſondern thun kann, ſich in der Herſtellung
der äußern und der innern Bedingungen dieſer Freiheit zu-
zuſammenfaßt. Die erſteren nun beziehen ſich auf den Handel nach
Außen, die andern auf diejenigen innern Zuſtände und Verhältniſſe,
die ſich der Handel für ſeine eigene Entwicklung ſelber geſchaffen hat.
Jene enthalten die Freiheit des internationalen Verkehrs, dieſe die
rechtliche Ordnung der Handelsbewegung im Ganzen und ihrer be-
ſondern Formen. Beide aber werden vertreten und getragen durch den
Organismus des Handels, der ſeinerſeits wieder die Aufgabe hat,

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[368/0392] Say, Cours complet V. 19. Verbote der Abſperrung der Gränze durch die Reichsſtände (Reichsabſch. 1555. §. 14; vergl. Berg, Polizeirecht III. S. 493 ff.). Ausfuhrprämien ebend. §. 108; privilegirte Handelsgeſellſchaften S. 255. Beginn des Kampfes der Handelsfreiheit: ſchon Verbot der Monopole (Reichspolizei- ordnung 1577). Klare Formulirung des Begriffes und Weſens der Handels- freiheit ſchon bei Berg, Polizeirecht III. 490: „Handelsleitung iſt Handels- unterdrückung“ und „die freyeſte Thätigkeit des Handels ſicher zu ſtellen, iſt Handelspolizei.“ Das neunzehnte Jahrhundert bringt dann die Entwicklung des Syſtems der Handelspflege, von der jeder einzelne Theil wieder ſeine Ge- ſchichte und ſein Recht hat; ſ. das Folgende. Syſtem der Handelsverwaltung. Wenn nun auf dieſe Weiſe die Selbſtthätigkeit des Einzelnen, die Freiheit der Handelsunternehmung die Grundlage aller Entwicklung des Handels iſt, ſo empfängt dadurch die Aufgabe des Staats gegen- über dem Handel auch im Einzelnen ihren ſpeciellen Charakter. Der Staat hat für dieſelbe keine beſondere Anſtalten herzuſtellen, welche ihm in ſeinen einzelnen Zweigen die Bedingungen ſeiner Entwicklung bieten, ſondern er ſchafft ſich dieſe Anſtalten ſelber, und muß ſie auch ſelber verwalten. Daher der große hiſtoriſche Satz, daß der Handel die Völker frei macht; es gibt dem Volke in ſeiner Ver- waltung gleichſam die Freiheit zurück, die er in der Handelsfreiheit von ihnen empfängt. Daher die Thatſache, daß Handelsſtaaten einen tief republikaniſchen Charakter haben, und im Einzelnen das Polizei- regiment hartnäckig abweiſen. Von den großen Knotenpunkten des Handels in Europa iſt die ſtaatliche Freiheit ausgegangen, in ihnen die Selbſtverwaltung erhalten, und durch ſie das Vereinsweſen erzeugt worden. Und daher ſchließlich auch die Schwierigkeit für die Theorie, der „Handelspolizei“ oder Handelspflege einen ſelbſtändigen ſyſtemati- ſchen Inhalt zu geben, ohne ſie mit Gewerbe und Induſtrie zu ver- ſchmelzen. Damit nun ergibt ſich, daß die Summe deſſen, was die Verwal- tung für den Handel im Beſondern thun kann, ſich in der Herſtellung der äußern und der innern Bedingungen dieſer Freiheit zu- zuſammenfaßt. Die erſteren nun beziehen ſich auf den Handel nach Außen, die andern auf diejenigen innern Zuſtände und Verhältniſſe, die ſich der Handel für ſeine eigene Entwicklung ſelber geſchaffen hat. Jene enthalten die Freiheit des internationalen Verkehrs, dieſe die rechtliche Ordnung der Handelsbewegung im Ganzen und ihrer be- ſondern Formen. Beide aber werden vertreten und getragen durch den Organismus des Handels, der ſeinerſeits wieder die Aufgabe hat,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/392>, abgerufen am 28.03.2024.