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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem Rechte verletzt glaubt,
steht der Rechtsweg offen." Fast wörtlich übereinstimmen Kurhessen §. 35,
Schwarzburg-Sondershausen §. 176, Oldenburg Art. 48. Unbe-
stimmter wieder Hannover Gesetz vom 3. September 1848, §. 10. Dagegen
stellt Preußen den Satz auf: "Was nicht in den Privatrechtskreis des
Staats fällt, ist Regierungssache und der Zuständigkeit der Gerichte völlig ent-
zogen
," Rönne I. §. 56, S. 201. Gibt es neben solchen Widersprüchen in
den bestehenden Gesetzen noch ein deutsches Staatsrecht? Und was bedeutet
das, was Zöpfl II. §. 453 lehrt, mehr als ein pium desiderium? -- Faßt
man aber das bisher Gesagte zusammen, so muß man erkennen, daß das deutsche
Rechtsleben in einem offenbaren Uebergangsstadium sich befindet, aus welchem sich
mit der Zeit das wahre Recht entwickeln wird: die Gültigkeit des englischen
Grundsatzes für das Gebiet der Verhältnisse zwischen Gesetz und Verordnung
und des französischen für das Verhältniß zwischen Verordnung und Ver-
fügung. Nur müssen wir unsre Aengstlichkeit ablegen, um das erste, und unsere
historische Unklarheit, um das zweite zur richtigen Durchführung zu bringen.

III. Das Petitionsrecht.

Das Petitionsrecht, als ein allgemeines staatsbürgerliches Recht,
darf hier seinem allgemeinen Wesen nach als bekannt vorausgesetzt
werden. Dasselbe gehört aber nicht bloß in das Gebiet der Verfassung,
sondern es bildet gleichfalls ein wesentliches Element in dem Proceß,
der die verfassungsmäßige Verwaltung herstellt. Und zwar erscheint
dasselbe hier als diejenige Form des Beschwerde- und Gesuchsrechts,
welche, indem sie die Harmonie der Vollziehung mit der Gesetzgebung
voraussetzt, Uebelstände, die in der letzteren liegen, aber erst in der
ersteren zur Erscheinung kommen, durch einen gesetzgeberischen Akt be-
seitigt zu wissen wünscht, und sich deßhalb an das Staatsoberhaupt,
oder an die gesetzgebenden Organe wendet. Wir würden am besten
dieß die administrativen Petitionen nennen, die sich von den
legislativen in sofern unterscheiden, als die letzteren nicht wegen
des Mißverhältnisses der Gesetze zu den bestehenden Lebensverhält-
nissen, sondern zu den allgemeinen Lebensprincipien eine Thätigkeit der
Gesetzgebung sollicitiren. Der Unterschied scheint ein abstrakter; in der
That ist er aber sehr concret, und hat höchst positive Folgen, die man
bei der auch über das Petitionswesen herrschenden Unklarheit fast immer
gänzlich übersieht.

In der That nämlich hat das Petitionsrecht den wesentlichsten
Theil seiner Bedeutung darin gehabt, daß entweder der Grundsatz der
Verantwortlichkeit, oder der des Klag- und Beschwerderechts nicht ge-
hörig zur Geltung gelangt und anerkannt worden sind. Betrachtet man

der ſich durch einen Akt der Staatsgewalt in ſeinem Rechte verletzt glaubt,
ſteht der Rechtsweg offen.“ Faſt wörtlich übereinſtimmen Kurheſſen §. 35,
Schwarzburg-Sondershauſen §. 176, Oldenburg Art. 48. Unbe-
ſtimmter wieder Hannover Geſetz vom 3. September 1848, §. 10. Dagegen
ſtellt Preußen den Satz auf: „Was nicht in den Privatrechtskreis des
Staats fällt, iſt Regierungsſache und der Zuſtändigkeit der Gerichte völlig ent-
zogen
,“ Rönne I. §. 56, S. 201. Gibt es neben ſolchen Widerſprüchen in
den beſtehenden Geſetzen noch ein deutſches Staatsrecht? Und was bedeutet
das, was Zöpfl II. §. 453 lehrt, mehr als ein pium desiderium? — Faßt
man aber das bisher Geſagte zuſammen, ſo muß man erkennen, daß das deutſche
Rechtsleben in einem offenbaren Uebergangsſtadium ſich befindet, aus welchem ſich
mit der Zeit das wahre Recht entwickeln wird: die Gültigkeit des engliſchen
Grundſatzes für das Gebiet der Verhältniſſe zwiſchen Geſetz und Verordnung
und des franzöſiſchen für das Verhältniß zwiſchen Verordnung und Ver-
fügung. Nur müſſen wir unſre Aengſtlichkeit ablegen, um das erſte, und unſere
hiſtoriſche Unklarheit, um das zweite zur richtigen Durchführung zu bringen.

III. Das Petitionsrecht.

Das Petitionsrecht, als ein allgemeines ſtaatsbürgerliches Recht,
darf hier ſeinem allgemeinen Weſen nach als bekannt vorausgeſetzt
werden. Daſſelbe gehört aber nicht bloß in das Gebiet der Verfaſſung,
ſondern es bildet gleichfalls ein weſentliches Element in dem Proceß,
der die verfaſſungsmäßige Verwaltung herſtellt. Und zwar erſcheint
daſſelbe hier als diejenige Form des Beſchwerde- und Geſuchsrechts,
welche, indem ſie die Harmonie der Vollziehung mit der Geſetzgebung
vorausſetzt, Uebelſtände, die in der letzteren liegen, aber erſt in der
erſteren zur Erſcheinung kommen, durch einen geſetzgeberiſchen Akt be-
ſeitigt zu wiſſen wünſcht, und ſich deßhalb an das Staatsoberhaupt,
oder an die geſetzgebenden Organe wendet. Wir würden am beſten
dieß die adminiſtrativen Petitionen nennen, die ſich von den
legislativen in ſofern unterſcheiden, als die letzteren nicht wegen
des Mißverhältniſſes der Geſetze zu den beſtehenden Lebensverhält-
niſſen, ſondern zu den allgemeinen Lebensprincipien eine Thätigkeit der
Geſetzgebung ſollicitiren. Der Unterſchied ſcheint ein abſtrakter; in der
That iſt er aber ſehr concret, und hat höchſt poſitive Folgen, die man
bei der auch über das Petitionsweſen herrſchenden Unklarheit faſt immer
gänzlich überſieht.

In der That nämlich hat das Petitionsrecht den weſentlichſten
Theil ſeiner Bedeutung darin gehabt, daß entweder der Grundſatz der
Verantwortlichkeit, oder der des Klag- und Beſchwerderechts nicht ge-
hörig zur Geltung gelangt und anerkannt worden ſind. Betrachtet man

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[148/0172] der ſich durch einen Akt der Staatsgewalt in ſeinem Rechte verletzt glaubt, ſteht der Rechtsweg offen.“ Faſt wörtlich übereinſtimmen Kurheſſen §. 35, Schwarzburg-Sondershauſen §. 176, Oldenburg Art. 48. Unbe- ſtimmter wieder Hannover Geſetz vom 3. September 1848, §. 10. Dagegen ſtellt Preußen den Satz auf: „Was nicht in den Privatrechtskreis des Staats fällt, iſt Regierungsſache und der Zuſtändigkeit der Gerichte völlig ent- zogen,“ Rönne I. §. 56, S. 201. Gibt es neben ſolchen Widerſprüchen in den beſtehenden Geſetzen noch ein deutſches Staatsrecht? Und was bedeutet das, was Zöpfl II. §. 453 lehrt, mehr als ein pium desiderium? — Faßt man aber das bisher Geſagte zuſammen, ſo muß man erkennen, daß das deutſche Rechtsleben in einem offenbaren Uebergangsſtadium ſich befindet, aus welchem ſich mit der Zeit das wahre Recht entwickeln wird: die Gültigkeit des engliſchen Grundſatzes für das Gebiet der Verhältniſſe zwiſchen Geſetz und Verordnung und des franzöſiſchen für das Verhältniß zwiſchen Verordnung und Ver- fügung. Nur müſſen wir unſre Aengſtlichkeit ablegen, um das erſte, und unſere hiſtoriſche Unklarheit, um das zweite zur richtigen Durchführung zu bringen. III. Das Petitionsrecht. Das Petitionsrecht, als ein allgemeines ſtaatsbürgerliches Recht, darf hier ſeinem allgemeinen Weſen nach als bekannt vorausgeſetzt werden. Daſſelbe gehört aber nicht bloß in das Gebiet der Verfaſſung, ſondern es bildet gleichfalls ein weſentliches Element in dem Proceß, der die verfaſſungsmäßige Verwaltung herſtellt. Und zwar erſcheint daſſelbe hier als diejenige Form des Beſchwerde- und Geſuchsrechts, welche, indem ſie die Harmonie der Vollziehung mit der Geſetzgebung vorausſetzt, Uebelſtände, die in der letzteren liegen, aber erſt in der erſteren zur Erſcheinung kommen, durch einen geſetzgeberiſchen Akt be- ſeitigt zu wiſſen wünſcht, und ſich deßhalb an das Staatsoberhaupt, oder an die geſetzgebenden Organe wendet. Wir würden am beſten dieß die adminiſtrativen Petitionen nennen, die ſich von den legislativen in ſofern unterſcheiden, als die letzteren nicht wegen des Mißverhältniſſes der Geſetze zu den beſtehenden Lebensverhält- niſſen, ſondern zu den allgemeinen Lebensprincipien eine Thätigkeit der Geſetzgebung ſollicitiren. Der Unterſchied ſcheint ein abſtrakter; in der That iſt er aber ſehr concret, und hat höchſt poſitive Folgen, die man bei der auch über das Petitionsweſen herrſchenden Unklarheit faſt immer gänzlich überſieht. In der That nämlich hat das Petitionsrecht den weſentlichſten Theil ſeiner Bedeutung darin gehabt, daß entweder der Grundſatz der Verantwortlichkeit, oder der des Klag- und Beſchwerderechts nicht ge- hörig zur Geltung gelangt und anerkannt worden ſind. Betrachtet man

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/172>, abgerufen am 29.03.2024.