Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

zwingen, die Sache genau zu kennen und zu bestimmen, ehe wir über
ihr Recht reden. Und so ist allerdings die folgende Entwicklung des
Begriffs vom Verein für uns so maßgebend für die ganze Lehre vom
Vereinsrecht, daß wir glauben müssen, die Richtigkeit eben dieses Be-
griffes sei durchaus entscheidend für alles, was wir als den rechtlichen
Inhalt des Vereinswesens weiter hinzuzufügen haben.

Eben darum wird man wohl zugeben, daß wir bei dieser Lehre
vom Vereinsrecht die Begründung des Begriffes etwas umfassender auf-
stellen. Wir verstatten uns, in diesem Sinne eine allgemeine Ein-
leitung
dem Systeme des Vereinsrechts vorauszusenden. Die Auf-
gabe des ersteren soll es eben sein, aus dem specifischen Begriffe des
Vereins die allgemeinen Principien des Vereinsrechts zu entwickeln,
während der letztere das innere Leben des Vereins und die Rechtsver-
hältnisse seiner Organe, so wie sein Verhältniß zum Staate im Ein-
zelnen aus dem übrigen Theile darzulegen hat.

Allgemeine Einleitung in das Vereinsrecht.
1) Begriff des Vereins. Unterschied von Gesellschaft und Verein.

Es bedarf keines Beweises, daß das, was wir Verein nennen,
zunächst eine bestimmte Form eines allgemeinen Begriffes ist. Dieser
Begriff ist der der Vereinigung im allgemeinsten Sinn des Wortes.
Es bedarf hier ferner keiner Nachweisung, daß die Vereinigung der
Persönlichkeiten zu gemeinsamem Wollen und Thun durch das Wesen
des persönlichen Lebens überhaupt gegeben ist. Allein diese Vereinigung
ist unter höchst verschiedenen Formen möglich; und eine dieser Formen
ist der Verein. Es kommt mithin darauf an, in der Entwicklung dieser
Vereinigung diejenige Form zu bezeichnen, welche wir den Verein nennen.

Indem ferner jede Berührung von Persönlichkeiten Recht erzeugt,
so folgt, daß auch jede Vereinigung Rechte enthält, und selbst dieses
Recht der Vereinigung im weitesten Sinn wird stets ein gewisses Maß
des Aufgebens der einzelnen Selbständigkeit der vereinten Persönlichkeiten
an die von ihnen gesetzte Gemeinschaft enthalten. Hat nun die letztere
verschiedene Gestalten, so wird jede derselben sich dieß Maß als aus
ihrer Natur folgend selber setzen; und so wird es so viele Grundformen
des Rechts der Vereinigung geben, als es Grundformen der letztern
selbst gibt. So schließt sich der Begriff des Vereinsrechts an den Be-
griff des Vereins selber an, und wird durch ihn bedingt und gesetzt,
und das erstere fordert daher den letztern als seine unbedingte Voraus-
setzung.


zwingen, die Sache genau zu kennen und zu beſtimmen, ehe wir über
ihr Recht reden. Und ſo iſt allerdings die folgende Entwicklung des
Begriffs vom Verein für uns ſo maßgebend für die ganze Lehre vom
Vereinsrecht, daß wir glauben müſſen, die Richtigkeit eben dieſes Be-
griffes ſei durchaus entſcheidend für alles, was wir als den rechtlichen
Inhalt des Vereinsweſens weiter hinzuzufügen haben.

Eben darum wird man wohl zugeben, daß wir bei dieſer Lehre
vom Vereinsrecht die Begründung des Begriffes etwas umfaſſender auf-
ſtellen. Wir verſtatten uns, in dieſem Sinne eine allgemeine Ein-
leitung
dem Syſteme des Vereinsrechts vorauszuſenden. Die Auf-
gabe des erſteren ſoll es eben ſein, aus dem ſpecifiſchen Begriffe des
Vereins die allgemeinen Principien des Vereinsrechts zu entwickeln,
während der letztere das innere Leben des Vereins und die Rechtsver-
hältniſſe ſeiner Organe, ſo wie ſein Verhältniß zum Staate im Ein-
zelnen aus dem übrigen Theile darzulegen hat.

Allgemeine Einleitung in das Vereinsrecht.
1) Begriff des Vereins. Unterſchied von Geſellſchaft und Verein.

Es bedarf keines Beweiſes, daß das, was wir Verein nennen,
zunächſt eine beſtimmte Form eines allgemeinen Begriffes iſt. Dieſer
Begriff iſt der der Vereinigung im allgemeinſten Sinn des Wortes.
Es bedarf hier ferner keiner Nachweiſung, daß die Vereinigung der
Perſönlichkeiten zu gemeinſamem Wollen und Thun durch das Weſen
des perſönlichen Lebens überhaupt gegeben iſt. Allein dieſe Vereinigung
iſt unter höchſt verſchiedenen Formen möglich; und eine dieſer Formen
iſt der Verein. Es kommt mithin darauf an, in der Entwicklung dieſer
Vereinigung diejenige Form zu bezeichnen, welche wir den Verein nennen.

Indem ferner jede Berührung von Perſönlichkeiten Recht erzeugt,
ſo folgt, daß auch jede Vereinigung Rechte enthält, und ſelbſt dieſes
Recht der Vereinigung im weiteſten Sinn wird ſtets ein gewiſſes Maß
des Aufgebens der einzelnen Selbſtändigkeit der vereinten Perſönlichkeiten
an die von ihnen geſetzte Gemeinſchaft enthalten. Hat nun die letztere
verſchiedene Geſtalten, ſo wird jede derſelben ſich dieß Maß als aus
ihrer Natur folgend ſelber ſetzen; und ſo wird es ſo viele Grundformen
des Rechts der Vereinigung geben, als es Grundformen der letztern
ſelbſt gibt. So ſchließt ſich der Begriff des Vereinsrechts an den Be-
griff des Vereins ſelber an, und wird durch ihn bedingt und geſetzt,
und das erſtere fordert daher den letztern als ſeine unbedingte Voraus-
ſetzung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0591" n="567"/>
zwingen, die Sache genau zu kennen und zu be&#x017F;timmen, ehe wir über<lb/>
ihr Recht reden. Und &#x017F;o i&#x017F;t allerdings die folgende Entwicklung des<lb/>
Begriffs vom Verein für uns &#x017F;o maßgebend für die ganze Lehre vom<lb/>
Vereinsrecht, daß wir glauben mü&#x017F;&#x017F;en, die Richtigkeit eben die&#x017F;es Be-<lb/>
griffes &#x017F;ei durchaus ent&#x017F;cheidend für alles, was wir als den rechtlichen<lb/>
Inhalt des Vereinswe&#x017F;ens weiter hinzuzufügen haben.</p><lb/>
            <p>Eben darum wird man wohl zugeben, daß wir bei die&#x017F;er Lehre<lb/>
vom Vereinsrecht die Begründung des Begriffes etwas umfa&#x017F;&#x017F;ender auf-<lb/>
&#x017F;tellen. Wir ver&#x017F;tatten uns, in die&#x017F;em Sinne eine <hi rendition="#g">allgemeine Ein-<lb/>
leitung</hi> dem Sy&#x017F;teme des Vereinsrechts vorauszu&#x017F;enden. Die Auf-<lb/>
gabe des er&#x017F;teren &#x017F;oll es eben &#x017F;ein, aus dem &#x017F;pecifi&#x017F;chen Begriffe des<lb/>
Vereins die allgemeinen Principien des Vereinsrechts zu entwickeln,<lb/>
während der letztere das innere Leben des Vereins und die Rechtsver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer Organe, &#x017F;o wie &#x017F;ein Verhältniß zum Staate im Ein-<lb/>
zelnen aus dem übrigen Theile darzulegen hat.</p><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#g">Allgemeine Einleitung in das Vereinsrecht</hi>.</head><lb/>
              <div n="5">
                <head>1) <hi rendition="#g">Begriff des Vereins. Unter&#x017F;chied von Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und Verein</hi>.</head><lb/>
                <p>Es bedarf keines Bewei&#x017F;es, daß das, was wir Verein nennen,<lb/>
zunäch&#x017F;t eine be&#x017F;timmte Form eines allgemeinen Begriffes i&#x017F;t. Die&#x017F;er<lb/>
Begriff i&#x017F;t der der <hi rendition="#g">Vereinigung</hi> im allgemein&#x017F;ten Sinn des Wortes.<lb/>
Es bedarf hier ferner keiner Nachwei&#x017F;ung, daß die Vereinigung der<lb/>
Per&#x017F;önlichkeiten zu gemein&#x017F;amem Wollen und Thun durch das We&#x017F;en<lb/>
des per&#x017F;önlichen Lebens überhaupt gegeben i&#x017F;t. Allein die&#x017F;e Vereinigung<lb/>
i&#x017F;t unter höch&#x017F;t ver&#x017F;chiedenen Formen möglich; und eine die&#x017F;er Formen<lb/>
i&#x017F;t der Verein. Es kommt mithin darauf an, in der Entwicklung die&#x017F;er<lb/>
Vereinigung diejenige Form zu bezeichnen, welche wir den Verein nennen.</p><lb/>
                <p>Indem ferner jede Berührung von Per&#x017F;önlichkeiten Recht erzeugt,<lb/>
&#x017F;o folgt, daß auch jede Vereinigung Rechte enthält, und &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;es<lb/>
Recht der Vereinigung im weite&#x017F;ten Sinn wird &#x017F;tets ein gewi&#x017F;&#x017F;es Maß<lb/>
des Aufgebens der einzelnen Selb&#x017F;tändigkeit der vereinten Per&#x017F;önlichkeiten<lb/>
an die von ihnen ge&#x017F;etzte Gemein&#x017F;chaft enthalten. Hat nun die letztere<lb/>
ver&#x017F;chiedene Ge&#x017F;talten, &#x017F;o wird jede der&#x017F;elben &#x017F;ich dieß Maß als aus<lb/>
ihrer Natur folgend &#x017F;elber &#x017F;etzen; und &#x017F;o wird es &#x017F;o viele Grundformen<lb/>
des Rechts der Vereinigung geben, als es Grundformen der letztern<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t gibt. So &#x017F;chließt &#x017F;ich der Begriff des Vereinsrechts an den Be-<lb/>
griff des Vereins &#x017F;elber an, und wird durch ihn bedingt und ge&#x017F;etzt,<lb/>
und das er&#x017F;tere fordert daher den letztern als &#x017F;eine unbedingte Voraus-<lb/>
&#x017F;etzung.</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[567/0591] zwingen, die Sache genau zu kennen und zu beſtimmen, ehe wir über ihr Recht reden. Und ſo iſt allerdings die folgende Entwicklung des Begriffs vom Verein für uns ſo maßgebend für die ganze Lehre vom Vereinsrecht, daß wir glauben müſſen, die Richtigkeit eben dieſes Be- griffes ſei durchaus entſcheidend für alles, was wir als den rechtlichen Inhalt des Vereinsweſens weiter hinzuzufügen haben. Eben darum wird man wohl zugeben, daß wir bei dieſer Lehre vom Vereinsrecht die Begründung des Begriffes etwas umfaſſender auf- ſtellen. Wir verſtatten uns, in dieſem Sinne eine allgemeine Ein- leitung dem Syſteme des Vereinsrechts vorauszuſenden. Die Auf- gabe des erſteren ſoll es eben ſein, aus dem ſpecifiſchen Begriffe des Vereins die allgemeinen Principien des Vereinsrechts zu entwickeln, während der letztere das innere Leben des Vereins und die Rechtsver- hältniſſe ſeiner Organe, ſo wie ſein Verhältniß zum Staate im Ein- zelnen aus dem übrigen Theile darzulegen hat. Allgemeine Einleitung in das Vereinsrecht. 1) Begriff des Vereins. Unterſchied von Geſellſchaft und Verein. Es bedarf keines Beweiſes, daß das, was wir Verein nennen, zunächſt eine beſtimmte Form eines allgemeinen Begriffes iſt. Dieſer Begriff iſt der der Vereinigung im allgemeinſten Sinn des Wortes. Es bedarf hier ferner keiner Nachweiſung, daß die Vereinigung der Perſönlichkeiten zu gemeinſamem Wollen und Thun durch das Weſen des perſönlichen Lebens überhaupt gegeben iſt. Allein dieſe Vereinigung iſt unter höchſt verſchiedenen Formen möglich; und eine dieſer Formen iſt der Verein. Es kommt mithin darauf an, in der Entwicklung dieſer Vereinigung diejenige Form zu bezeichnen, welche wir den Verein nennen. Indem ferner jede Berührung von Perſönlichkeiten Recht erzeugt, ſo folgt, daß auch jede Vereinigung Rechte enthält, und ſelbſt dieſes Recht der Vereinigung im weiteſten Sinn wird ſtets ein gewiſſes Maß des Aufgebens der einzelnen Selbſtändigkeit der vereinten Perſönlichkeiten an die von ihnen geſetzte Gemeinſchaft enthalten. Hat nun die letztere verſchiedene Geſtalten, ſo wird jede derſelben ſich dieß Maß als aus ihrer Natur folgend ſelber ſetzen; und ſo wird es ſo viele Grundformen des Rechts der Vereinigung geben, als es Grundformen der letztern ſelbſt gibt. So ſchließt ſich der Begriff des Vereinsrechts an den Be- griff des Vereins ſelber an, und wird durch ihn bedingt und geſetzt, und das erſtere fordert daher den letztern als ſeine unbedingte Voraus- ſetzung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/591
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/591>, abgerufen am 20.04.2024.