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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Wir halten daran fest, daß es ein solches gibt. Nur wird es
selbst erst dann in Wirksamkeit treten, wo einerseits die ganze innere
Staatsordnung als eine feste besteht, und wo anderseits der Wissen-
schaft ihre wahre Berechtigung eingeräumt wird.

Da nämlich nach dem Wesen des Verordnungsrechts überhaupt
dasselbe sich den gegebenen und damit wechselnden Verhältnissen des
wirklichen Lebens anpassen soll, während das Gesetzesrecht den über
dieselben erhabenen objektiven Willen des Staats enthält, so folgt wohl
leicht, daß, so lange die Verhältnisse des Lebens, auf welche das Ver-
waltungsrecht sich bezieht, sich noch nicht consolidirt haben, die Ver-
ordnung
mit ihrer Thätigkeit zur Rechtsbildung berufen ist, während
da, wo bereits feststehende Verhältnisse vorhanden sind oder als vor-
handen angenommen werden, die Gesetzgebung eintritt. Allein die
Frage bleibt, welches das Criterium für diese objektive Festigkeit ist.
Und hier glauben wir, daß es nur Einen Weg gibt, im Allgemeinen
zu einem Abschlusse zu gelangen. Jenes Criterium liegt nämlich nie
in äußern Merkmalen. Es liegt darin, daß ein Lebensverhältniß erst
dann als ein festes, ein Bedürfniß als Objekt der Verwaltungsthätig-
keit erst dann als ein bestimmt gegebenes anerkannt werden muß, wenn
dasselbe wissenschaftlich in einen bestimmten Begriff gebracht werden
kann, und wenn dieser Begriff für das ganze Volk ein gemeinver-
ständlicher
ist; so zwar, daß mit dem Worte, der ihn bezeichnet, eine
für alle ziemlich gleichmäßig klare Vorstellung von demjenigen ver-
bindet, was dasselbe bedeutet; wie z. B. Schulwesen, Bankwesen,
Grundbuchswesen, Vormundschaftswesen u. a. m. So wie dieß der
Fall ist, sind die darauf bezüglichen Verhältnisse ein äußeres und zu-
gleich ein inneres Ganzes, und dann tritt der Zeitpunkt ein, wo die
Rechtbildung für dasselbe durch die bloße Verordnung nicht mehr aus-
reicht, sondern ein fester Halt an einem Gesetze gesucht wird und gegeben
werden muß. Weiter läßt sich schwerlich im Allgemeinen kommen. Es
ist aber Sache der Initiative, zu finden, ob dieß der Fall ist oder
nicht; und je nachdem das Verständniß der Regierung hier richtig und
zeitgemäß ist oder nicht, wird auch diese Initiative zum Ziele führen.

4) Der Charakter der Bildung des positiven Verwaltungs-
rechts in England, Frankreich und Deutschland
.

Auf dieser Grundlage nun möge es uns verstattet sein, einige Be-
merkungen über die Besonderheit der Bildung des positiven Verwaltungs-
rechts in den drei großen Culturvölkern Europa's hier hinzuzufügen,
Bemerkungen, deren Voraussetzungen allerdings, wie man sogleich

Wir halten daran feſt, daß es ein ſolches gibt. Nur wird es
ſelbſt erſt dann in Wirkſamkeit treten, wo einerſeits die ganze innere
Staatsordnung als eine feſte beſteht, und wo anderſeits der Wiſſen-
ſchaft ihre wahre Berechtigung eingeräumt wird.

Da nämlich nach dem Weſen des Verordnungsrechts überhaupt
daſſelbe ſich den gegebenen und damit wechſelnden Verhältniſſen des
wirklichen Lebens anpaſſen ſoll, während das Geſetzesrecht den über
dieſelben erhabenen objektiven Willen des Staats enthält, ſo folgt wohl
leicht, daß, ſo lange die Verhältniſſe des Lebens, auf welche das Ver-
waltungsrecht ſich bezieht, ſich noch nicht conſolidirt haben, die Ver-
ordnung
mit ihrer Thätigkeit zur Rechtsbildung berufen iſt, während
da, wo bereits feſtſtehende Verhältniſſe vorhanden ſind oder als vor-
handen angenommen werden, die Geſetzgebung eintritt. Allein die
Frage bleibt, welches das Criterium für dieſe objektive Feſtigkeit iſt.
Und hier glauben wir, daß es nur Einen Weg gibt, im Allgemeinen
zu einem Abſchluſſe zu gelangen. Jenes Criterium liegt nämlich nie
in äußern Merkmalen. Es liegt darin, daß ein Lebensverhältniß erſt
dann als ein feſtes, ein Bedürfniß als Objekt der Verwaltungsthätig-
keit erſt dann als ein beſtimmt gegebenes anerkannt werden muß, wenn
daſſelbe wiſſenſchaftlich in einen beſtimmten Begriff gebracht werden
kann, und wenn dieſer Begriff für das ganze Volk ein gemeinver-
ſtändlicher
iſt; ſo zwar, daß mit dem Worte, der ihn bezeichnet, eine
für alle ziemlich gleichmäßig klare Vorſtellung von demjenigen ver-
bindet, was daſſelbe bedeutet; wie z. B. Schulweſen, Bankweſen,
Grundbuchsweſen, Vormundſchaftsweſen u. a. m. So wie dieß der
Fall iſt, ſind die darauf bezüglichen Verhältniſſe ein äußeres und zu-
gleich ein inneres Ganzes, und dann tritt der Zeitpunkt ein, wo die
Rechtbildung für daſſelbe durch die bloße Verordnung nicht mehr aus-
reicht, ſondern ein feſter Halt an einem Geſetze geſucht wird und gegeben
werden muß. Weiter läßt ſich ſchwerlich im Allgemeinen kommen. Es
iſt aber Sache der Initiative, zu finden, ob dieß der Fall iſt oder
nicht; und je nachdem das Verſtändniß der Regierung hier richtig und
zeitgemäß iſt oder nicht, wird auch dieſe Initiative zum Ziele führen.

4) Der Charakter der Bildung des poſitiven Verwaltungs-
rechts in England, Frankreich und Deutſchland
.

Auf dieſer Grundlage nun möge es uns verſtattet ſein, einige Be-
merkungen über die Beſonderheit der Bildung des poſitiven Verwaltungs-
rechts in den drei großen Culturvölkern Europa’s hier hinzuzufügen,
Bemerkungen, deren Vorausſetzungen allerdings, wie man ſogleich

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[85/0107] Wir halten daran feſt, daß es ein ſolches gibt. Nur wird es ſelbſt erſt dann in Wirkſamkeit treten, wo einerſeits die ganze innere Staatsordnung als eine feſte beſteht, und wo anderſeits der Wiſſen- ſchaft ihre wahre Berechtigung eingeräumt wird. Da nämlich nach dem Weſen des Verordnungsrechts überhaupt daſſelbe ſich den gegebenen und damit wechſelnden Verhältniſſen des wirklichen Lebens anpaſſen ſoll, während das Geſetzesrecht den über dieſelben erhabenen objektiven Willen des Staats enthält, ſo folgt wohl leicht, daß, ſo lange die Verhältniſſe des Lebens, auf welche das Ver- waltungsrecht ſich bezieht, ſich noch nicht conſolidirt haben, die Ver- ordnung mit ihrer Thätigkeit zur Rechtsbildung berufen iſt, während da, wo bereits feſtſtehende Verhältniſſe vorhanden ſind oder als vor- handen angenommen werden, die Geſetzgebung eintritt. Allein die Frage bleibt, welches das Criterium für dieſe objektive Feſtigkeit iſt. Und hier glauben wir, daß es nur Einen Weg gibt, im Allgemeinen zu einem Abſchluſſe zu gelangen. Jenes Criterium liegt nämlich nie in äußern Merkmalen. Es liegt darin, daß ein Lebensverhältniß erſt dann als ein feſtes, ein Bedürfniß als Objekt der Verwaltungsthätig- keit erſt dann als ein beſtimmt gegebenes anerkannt werden muß, wenn daſſelbe wiſſenſchaftlich in einen beſtimmten Begriff gebracht werden kann, und wenn dieſer Begriff für das ganze Volk ein gemeinver- ſtändlicher iſt; ſo zwar, daß mit dem Worte, der ihn bezeichnet, eine für alle ziemlich gleichmäßig klare Vorſtellung von demjenigen ver- bindet, was daſſelbe bedeutet; wie z. B. Schulweſen, Bankweſen, Grundbuchsweſen, Vormundſchaftsweſen u. a. m. So wie dieß der Fall iſt, ſind die darauf bezüglichen Verhältniſſe ein äußeres und zu- gleich ein inneres Ganzes, und dann tritt der Zeitpunkt ein, wo die Rechtbildung für daſſelbe durch die bloße Verordnung nicht mehr aus- reicht, ſondern ein feſter Halt an einem Geſetze geſucht wird und gegeben werden muß. Weiter läßt ſich ſchwerlich im Allgemeinen kommen. Es iſt aber Sache der Initiative, zu finden, ob dieß der Fall iſt oder nicht; und je nachdem das Verſtändniß der Regierung hier richtig und zeitgemäß iſt oder nicht, wird auch dieſe Initiative zum Ziele führen. 4) Der Charakter der Bildung des poſitiven Verwaltungs- rechts in England, Frankreich und Deutſchland. Auf dieſer Grundlage nun möge es uns verſtattet ſein, einige Be- merkungen über die Beſonderheit der Bildung des poſitiven Verwaltungs- rechts in den drei großen Culturvölkern Europa’s hier hinzuzufügen, Bemerkungen, deren Vorausſetzungen allerdings, wie man ſogleich

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/107>, abgerufen am 28.03.2024.