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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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bis 9 Uhr Abends. Diese Bestimmungen sind im Wesentlichen zwar
dieselben wie in Frankreich, das den Anstoß dazu gab; allein das Gesetz
vom 16. Mai 1853 hat sie wesentlich erweitert. Dasselbe führte nament-
lich die Arbeitsbücher ein mit einer Rubrik über die Schulverhältnisse
der Kinder; die darauf erlassene Verfügung vom 18. August 1853 hat
dann eine strenge Statistik der Arbeitskinder, und eine anständige Ober-
aufsicht derselben eingeführt, die sich auf die baulichen Verhältnisse
der Fabriken bezieht. Durch diese Bestimmungen ist die preußische Ge-
setzgebung der französischen wieder vorausgeschritten und es ist wohl
nicht zu bezweifeln, daß sie gegenwärtig die beste in Europa ist. (Voll-
ständig bei Horn, Medicinalwesen I. 101--107. Vgl. Rönne, Staats-
recht II. 361). In andern Staaten finde ich weiter nichts. Die neueste
Verordnung vom 11. November 1864 in Braunschweig über die Ar-
beitsbücher enthält keine Bestimmungen über die Arbeitsverhältnisse der
Kinder.

Der Turnunterricht ist trotz seiner unendlichen Wichtigkeit in
England und Frankreich gar kein Gegenstand der Gesetzgebung, in
Deutschland nur organisch ausgeführt im preußischen Unterrichts-
wesen. Erst verboten 1819; dann erlaubt 1834; dann befohlen 1842;
zuerst nur für höhere Schulen, dann auch für niedere. Die Geschichte
dieser Verordnung bei Rönne, Staatsrecht II. 444 und Rönne, Unter-
richtswesen I. 706. -- Frühere Anerkennung seiner Wichtigkeit: Aretin,
Constit. Staatsrecht II. 1. Abth. S. 44 ff.

C. Die niedere Gesundheitspolizei.
Begriff.

Während die höhere Gesundheitspolizei es mit den Gefährdungen
der allgemeinen Gesundheit zu thun hat, entsteht die niedere Ge-
sundheitspolizei
, indem die Verwaltung den Einzelnen und sein
körperliches Wohlsein gegen Gefahren schützt, welche derselbe nicht mit
eigener Kraft von sich abwenden kann.

Das Gebiet der niederen Gesundheitspolizei umfaßt drei Theile,
die nicht bloß an sich sehr verschieden sind, sondern auch ein sehr ver-
schiedenes Recht erzeugt haben. Der erste betrifft die aus natürlichen
Ursachen entstehenden Gefährdungen, der zweite die aus persönlichem
Verhalten hervorgehenden, von denen jetzt nur noch die Syphilis
Gegenstand des öffentlichen Rechts ist, der dritte die Gefahren, welche
durch den Betrieb der Gewerbe bestehen. Gemeinschaftlich ist aller-
dings allen diesen Bestimmungen, daß sie zugleich der Sicherheitspolizei

bis 9 Uhr Abends. Dieſe Beſtimmungen ſind im Weſentlichen zwar
dieſelben wie in Frankreich, das den Anſtoß dazu gab; allein das Geſetz
vom 16. Mai 1853 hat ſie weſentlich erweitert. Daſſelbe führte nament-
lich die Arbeitsbücher ein mit einer Rubrik über die Schulverhältniſſe
der Kinder; die darauf erlaſſene Verfügung vom 18. Auguſt 1853 hat
dann eine ſtrenge Statiſtik der Arbeitskinder, und eine anſtändige Ober-
aufſicht derſelben eingeführt, die ſich auf die baulichen Verhältniſſe
der Fabriken bezieht. Durch dieſe Beſtimmungen iſt die preußiſche Ge-
ſetzgebung der franzöſiſchen wieder vorausgeſchritten und es iſt wohl
nicht zu bezweifeln, daß ſie gegenwärtig die beſte in Europa iſt. (Voll-
ſtändig bei Horn, Medicinalweſen I. 101—107. Vgl. Rönne, Staats-
recht II. 361). In andern Staaten finde ich weiter nichts. Die neueſte
Verordnung vom 11. November 1864 in Braunſchweig über die Ar-
beitsbücher enthält keine Beſtimmungen über die Arbeitsverhältniſſe der
Kinder.

Der Turnunterricht iſt trotz ſeiner unendlichen Wichtigkeit in
England und Frankreich gar kein Gegenſtand der Geſetzgebung, in
Deutſchland nur organiſch ausgeführt im preußiſchen Unterrichts-
weſen. Erſt verboten 1819; dann erlaubt 1834; dann befohlen 1842;
zuerſt nur für höhere Schulen, dann auch für niedere. Die Geſchichte
dieſer Verordnung bei Rönne, Staatsrecht II. 444 und Rönne, Unter-
richtsweſen I. 706. — Frühere Anerkennung ſeiner Wichtigkeit: Aretin,
Conſtit. Staatsrecht II. 1. Abth. S. 44 ff.

C. Die niedere Geſundheitspolizei.
Begriff.

Während die höhere Geſundheitspolizei es mit den Gefährdungen
der allgemeinen Geſundheit zu thun hat, entſteht die niedere Ge-
ſundheitspolizei
, indem die Verwaltung den Einzelnen und ſein
körperliches Wohlſein gegen Gefahren ſchützt, welche derſelbe nicht mit
eigener Kraft von ſich abwenden kann.

Das Gebiet der niederen Geſundheitspolizei umfaßt drei Theile,
die nicht bloß an ſich ſehr verſchieden ſind, ſondern auch ein ſehr ver-
ſchiedenes Recht erzeugt haben. Der erſte betrifft die aus natürlichen
Urſachen entſtehenden Gefährdungen, der zweite die aus perſönlichem
Verhalten hervorgehenden, von denen jetzt nur noch die Syphilis
Gegenſtand des öffentlichen Rechts iſt, der dritte die Gefahren, welche
durch den Betrieb der Gewerbe beſtehen. Gemeinſchaftlich iſt aller-
dings allen dieſen Beſtimmungen, daß ſie zugleich der Sicherheitspolizei

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[76/0092] bis 9 Uhr Abends. Dieſe Beſtimmungen ſind im Weſentlichen zwar dieſelben wie in Frankreich, das den Anſtoß dazu gab; allein das Geſetz vom 16. Mai 1853 hat ſie weſentlich erweitert. Daſſelbe führte nament- lich die Arbeitsbücher ein mit einer Rubrik über die Schulverhältniſſe der Kinder; die darauf erlaſſene Verfügung vom 18. Auguſt 1853 hat dann eine ſtrenge Statiſtik der Arbeitskinder, und eine anſtändige Ober- aufſicht derſelben eingeführt, die ſich auf die baulichen Verhältniſſe der Fabriken bezieht. Durch dieſe Beſtimmungen iſt die preußiſche Ge- ſetzgebung der franzöſiſchen wieder vorausgeſchritten und es iſt wohl nicht zu bezweifeln, daß ſie gegenwärtig die beſte in Europa iſt. (Voll- ſtändig bei Horn, Medicinalweſen I. 101—107. Vgl. Rönne, Staats- recht II. 361). In andern Staaten finde ich weiter nichts. Die neueſte Verordnung vom 11. November 1864 in Braunſchweig über die Ar- beitsbücher enthält keine Beſtimmungen über die Arbeitsverhältniſſe der Kinder. Der Turnunterricht iſt trotz ſeiner unendlichen Wichtigkeit in England und Frankreich gar kein Gegenſtand der Geſetzgebung, in Deutſchland nur organiſch ausgeführt im preußiſchen Unterrichts- weſen. Erſt verboten 1819; dann erlaubt 1834; dann befohlen 1842; zuerſt nur für höhere Schulen, dann auch für niedere. Die Geſchichte dieſer Verordnung bei Rönne, Staatsrecht II. 444 und Rönne, Unter- richtsweſen I. 706. — Frühere Anerkennung ſeiner Wichtigkeit: Aretin, Conſtit. Staatsrecht II. 1. Abth. S. 44 ff. C. Die niedere Geſundheitspolizei. Begriff. Während die höhere Geſundheitspolizei es mit den Gefährdungen der allgemeinen Geſundheit zu thun hat, entſteht die niedere Ge- ſundheitspolizei, indem die Verwaltung den Einzelnen und ſein körperliches Wohlſein gegen Gefahren ſchützt, welche derſelbe nicht mit eigener Kraft von ſich abwenden kann. Das Gebiet der niederen Geſundheitspolizei umfaßt drei Theile, die nicht bloß an ſich ſehr verſchieden ſind, ſondern auch ein ſehr ver- ſchiedenes Recht erzeugt haben. Der erſte betrifft die aus natürlichen Urſachen entſtehenden Gefährdungen, der zweite die aus perſönlichem Verhalten hervorgehenden, von denen jetzt nur noch die Syphilis Gegenſtand des öffentlichen Rechts iſt, der dritte die Gefahren, welche durch den Betrieb der Gewerbe beſtehen. Gemeinſchaftlich iſt aller- dings allen dieſen Beſtimmungen, daß ſie zugleich der Sicherheitspolizei

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/92>, abgerufen am 19.04.2024.