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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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gegeben ist, und in welchem das Einholen eines solchen auch nicht möglich
ist. Es ist klar, daß in diesen Fällen die Polizei nach eigenem Er-
messen vorgehen muß, und daß das Recht dieser eigentlichen, oder sicher-
heitspolizeilichen Funktion in den Strafproceß- und gerichtlichen Polizei-
ordnungen nicht gegeben ist. Dennoch war ein solches Recht eben so
nothwendig, als das gerichtliche Polizeirecht. Und hier müssen wir nun
sagen, daß die Gesetzgebungen Europa's nicht vollständig, und da, wo
sie es sind, nicht immer klar sind, da sie fast durchstehend den An-
forderungen dieses Rechts durch die bereits angeführten Bestimmungen
zu genügen glaubten, nach denen die Polizei namentlich in Verhaftungs-
fällen die Verhafteten an das gerichtliche Verfahren zu überliefern habe.
Zugleich rief die zum Theil sehr genaue Ausführung der gerichtlichen
Polizei einerseits, und der Mangel einer selbständigen wissenschaftlichen
Bearbeitung des Polizeirechts anderseits eine sehr einseitige strafproceßliche
Auffassung des ganzen Verhältnisses bei den Criminalisten hervor, und
wir sind daher auch auf dem Gebiete der Einzelpolizei nicht zu einem
rechtlichen theoretischen Systeme gekommen, das allerdings in der crimi-
nalistischen Jurisprudenz keine Stelle hatte, da diese immer erst bei
dem gerichtlichen Befehle und seinen Folgen anfängt.

Daß nun eine solche selbständige Behandlung des Einzelpolizei-
rechts nothwendig ist, wird wohl niemand bezweifeln; eben so wenig,
daß sie einen unabweisbaren Theil des Verwaltungsrecht im Allgemeinen,
des Sicherheitspolizeirechts im Besondern bildet. Wir wollen daher ver-
suchen, die Elemente derselben hier darzulegen, indem wir die vielfach ge-
gebenen, aber zerstreuten Bestimmungen und Ansichten auf ein bestimmtes
System zurückführen. Es darf demnach als Resultat des Bisherigen der
Satz festgehalten werden, daß das Recht der Einzelpolizei das Recht der-
jenigen polizeilichen Eingriffe in die persönliche Freiheit des Einzelnen
ist, welche für die Verfolgung von Verbrechen oder für die Erhaltung
der öffentlichen Sicherheit von der Polizei vorgenommen werden, ohne
daß dieselben auf Grund einer richterlichen Anordnung
geschehen
, indem wir die letztere nunmehr definitiv als eigentliche
gerichtliche Polizei in das Gebiet des Strafprocesses verweisen.

Dieß Recht der Einzelpolizei hat nun wieder einen allgemeinen
Theil, und vier besondere Fälle, in denen die Grundsätze dieses allge-
meinen Theils zur besonderen Anwendung gelangen.

II. Allgemeine Principien des Rechts der eigentlichen Einzelpolizei.

Die eigentliche Einzelpolizei hat nun ihrerseits, als eine von der
gerichtlichen Polizei selbständig geschiedene Funktion, zwei Hauptauf-

gegeben iſt, und in welchem das Einholen eines ſolchen auch nicht möglich
iſt. Es iſt klar, daß in dieſen Fällen die Polizei nach eigenem Er-
meſſen vorgehen muß, und daß das Recht dieſer eigentlichen, oder ſicher-
heitspolizeilichen Funktion in den Strafproceß- und gerichtlichen Polizei-
ordnungen nicht gegeben iſt. Dennoch war ein ſolches Recht eben ſo
nothwendig, als das gerichtliche Polizeirecht. Und hier müſſen wir nun
ſagen, daß die Geſetzgebungen Europa’s nicht vollſtändig, und da, wo
ſie es ſind, nicht immer klar ſind, da ſie faſt durchſtehend den An-
forderungen dieſes Rechts durch die bereits angeführten Beſtimmungen
zu genügen glaubten, nach denen die Polizei namentlich in Verhaftungs-
fällen die Verhafteten an das gerichtliche Verfahren zu überliefern habe.
Zugleich rief die zum Theil ſehr genaue Ausführung der gerichtlichen
Polizei einerſeits, und der Mangel einer ſelbſtändigen wiſſenſchaftlichen
Bearbeitung des Polizeirechts anderſeits eine ſehr einſeitige ſtrafproceßliche
Auffaſſung des ganzen Verhältniſſes bei den Criminaliſten hervor, und
wir ſind daher auch auf dem Gebiete der Einzelpolizei nicht zu einem
rechtlichen theoretiſchen Syſteme gekommen, das allerdings in der crimi-
naliſtiſchen Jurisprudenz keine Stelle hatte, da dieſe immer erſt bei
dem gerichtlichen Befehle und ſeinen Folgen anfängt.

Daß nun eine ſolche ſelbſtändige Behandlung des Einzelpolizei-
rechts nothwendig iſt, wird wohl niemand bezweifeln; eben ſo wenig,
daß ſie einen unabweisbaren Theil des Verwaltungsrecht im Allgemeinen,
des Sicherheitspolizeirechts im Beſondern bildet. Wir wollen daher ver-
ſuchen, die Elemente derſelben hier darzulegen, indem wir die vielfach ge-
gebenen, aber zerſtreuten Beſtimmungen und Anſichten auf ein beſtimmtes
Syſtem zurückführen. Es darf demnach als Reſultat des Bisherigen der
Satz feſtgehalten werden, daß das Recht der Einzelpolizei das Recht der-
jenigen polizeilichen Eingriffe in die perſönliche Freiheit des Einzelnen
iſt, welche für die Verfolgung von Verbrechen oder für die Erhaltung
der öffentlichen Sicherheit von der Polizei vorgenommen werden, ohne
daß dieſelben auf Grund einer richterlichen Anordnung
geſchehen
, indem wir die letztere nunmehr definitiv als eigentliche
gerichtliche Polizei in das Gebiet des Strafproceſſes verweiſen.

Dieß Recht der Einzelpolizei hat nun wieder einen allgemeinen
Theil, und vier beſondere Fälle, in denen die Grundſätze dieſes allge-
meinen Theils zur beſonderen Anwendung gelangen.

II. Allgemeine Principien des Rechts der eigentlichen Einzelpolizei.

Die eigentliche Einzelpolizei hat nun ihrerſeits, als eine von der
gerichtlichen Polizei ſelbſtändig geſchiedene Funktion, zwei Hauptauf-

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[137/0159] gegeben iſt, und in welchem das Einholen eines ſolchen auch nicht möglich iſt. Es iſt klar, daß in dieſen Fällen die Polizei nach eigenem Er- meſſen vorgehen muß, und daß das Recht dieſer eigentlichen, oder ſicher- heitspolizeilichen Funktion in den Strafproceß- und gerichtlichen Polizei- ordnungen nicht gegeben iſt. Dennoch war ein ſolches Recht eben ſo nothwendig, als das gerichtliche Polizeirecht. Und hier müſſen wir nun ſagen, daß die Geſetzgebungen Europa’s nicht vollſtändig, und da, wo ſie es ſind, nicht immer klar ſind, da ſie faſt durchſtehend den An- forderungen dieſes Rechts durch die bereits angeführten Beſtimmungen zu genügen glaubten, nach denen die Polizei namentlich in Verhaftungs- fällen die Verhafteten an das gerichtliche Verfahren zu überliefern habe. Zugleich rief die zum Theil ſehr genaue Ausführung der gerichtlichen Polizei einerſeits, und der Mangel einer ſelbſtändigen wiſſenſchaftlichen Bearbeitung des Polizeirechts anderſeits eine ſehr einſeitige ſtrafproceßliche Auffaſſung des ganzen Verhältniſſes bei den Criminaliſten hervor, und wir ſind daher auch auf dem Gebiete der Einzelpolizei nicht zu einem rechtlichen theoretiſchen Syſteme gekommen, das allerdings in der crimi- naliſtiſchen Jurisprudenz keine Stelle hatte, da dieſe immer erſt bei dem gerichtlichen Befehle und ſeinen Folgen anfängt. Daß nun eine ſolche ſelbſtändige Behandlung des Einzelpolizei- rechts nothwendig iſt, wird wohl niemand bezweifeln; eben ſo wenig, daß ſie einen unabweisbaren Theil des Verwaltungsrecht im Allgemeinen, des Sicherheitspolizeirechts im Beſondern bildet. Wir wollen daher ver- ſuchen, die Elemente derſelben hier darzulegen, indem wir die vielfach ge- gebenen, aber zerſtreuten Beſtimmungen und Anſichten auf ein beſtimmtes Syſtem zurückführen. Es darf demnach als Reſultat des Bisherigen der Satz feſtgehalten werden, daß das Recht der Einzelpolizei das Recht der- jenigen polizeilichen Eingriffe in die perſönliche Freiheit des Einzelnen iſt, welche für die Verfolgung von Verbrechen oder für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit von der Polizei vorgenommen werden, ohne daß dieſelben auf Grund einer richterlichen Anordnung geſchehen, indem wir die letztere nunmehr definitiv als eigentliche gerichtliche Polizei in das Gebiet des Strafproceſſes verweiſen. Dieß Recht der Einzelpolizei hat nun wieder einen allgemeinen Theil, und vier beſondere Fälle, in denen die Grundſätze dieſes allge- meinen Theils zur beſonderen Anwendung gelangen. II. Allgemeine Principien des Rechts der eigentlichen Einzelpolizei. Die eigentliche Einzelpolizei hat nun ihrerſeits, als eine von der gerichtlichen Polizei ſelbſtändig geſchiedene Funktion, zwei Hauptauf-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/159>, abgerufen am 28.03.2024.