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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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sowohl angeordnet als ausgeführt werden. Daher fallen höchstens die
erstern unter eine spezielle Vergleichung, während bei den letztern die
Aufstellung der allgemeinen Kategorie genügen kann.


Es ergibt sich von selbst daraus, daß die Quellen dieses Rechts
hauptsächlich in den Verwaltungsgesetzkunden der einzelnen Länder zu
suchen sind, die dieß Gebiet mit um so mehr Liebe und Umständlichkeit
behandeln, als in ihm sich die Verwaltungsthätigkeit der niedersten
Organe am meisten bewegt.

I. Persönliche niedere Sicherheitspolizei.

Die Grundlage der persönlichen niedern Sicherheitspolizei sind die-
jenigen Zustände und Lebensverhältnisse der Individuen, welche wie sie
selbst dauernd sind, auch eine dauernde Gefährdung der Gemeinschaft
durch solche Persönlichkeiten enthalten. Diese Lebensverhältnisse erscheinen
nun in zwei Hauptformen, den Vagabunden und Bettlern einer-
seits, und den entlassenen Sträflingen andererseits. Es ist wohl
kein Zweifel, daß bei beiden die Art und Weise, wie sie Gefahr bringen,
vielfach gleich ist. Allein der ethische sowohl als der wirthschaftliche
Grund dieser Gefahr ist wesentlich verschieden, und daher ist auch das
Polizeiverfahren und das Polizeirecht bei beiden ein nicht minder ver-
schiedenes. Sie fordern daher eine besondere Darstellung, wie denn
das betreffende Verwaltungsrecht beider nicht gleichzeitig entstanden ist.

a) Polizei des Bettler- und Vagabundenthums.

Die tiefe, dem germanischen Leben vorzugsweise eigenthümliche Ab-
neigung gegen das Bettler- und Vagabundenthum beruht im Allgemeinen
auf der Grundanschauung der Geschlechterordnung, welche das Angehören
des Einzelnen an ein Geschlecht, und damit die Seßhaftigkeit als Basis
der gesammten öffentlichen Rechtszustände anerkennt. Der Unseßhafte,
nicht unter dem Recht des örtlichen Geschlechterkörpers stehend, ist ihm
gegenüber rechtlos. Der Bettler aber wird, da in der Geschlechterordnung
das Geschlecht seine Armen ernährt, ein Vorwurf gegen die Seinen.
Beide sind daher im Widerspruche mit dem gesammten öffentlichen Rechts-
zustande. Daher erscheint sowohl das Bettler- als das Vagabunden-
thum als ein Unrecht, das an und für sich als Vergehen bestraft werden
muß. Die ständische Ordnung schärft diese Auffassung für Vagabunden,
da sie fordert, daß jeder einer ständischen Grundherrlichkeit angehören
soll, während das kirchliche Almosen die Bettelei umgekehrt fördert.

Stein, die Verwaltungslehre. IV. 11

ſowohl angeordnet als ausgeführt werden. Daher fallen höchſtens die
erſtern unter eine ſpezielle Vergleichung, während bei den letztern die
Aufſtellung der allgemeinen Kategorie genügen kann.


Es ergibt ſich von ſelbſt daraus, daß die Quellen dieſes Rechts
hauptſächlich in den Verwaltungsgeſetzkunden der einzelnen Länder zu
ſuchen ſind, die dieß Gebiet mit um ſo mehr Liebe und Umſtändlichkeit
behandeln, als in ihm ſich die Verwaltungsthätigkeit der niederſten
Organe am meiſten bewegt.

I. Perſönliche niedere Sicherheitspolizei.

Die Grundlage der perſönlichen niedern Sicherheitspolizei ſind die-
jenigen Zuſtände und Lebensverhältniſſe der Individuen, welche wie ſie
ſelbſt dauernd ſind, auch eine dauernde Gefährdung der Gemeinſchaft
durch ſolche Perſönlichkeiten enthalten. Dieſe Lebensverhältniſſe erſcheinen
nun in zwei Hauptformen, den Vagabunden und Bettlern einer-
ſeits, und den entlaſſenen Sträflingen andererſeits. Es iſt wohl
kein Zweifel, daß bei beiden die Art und Weiſe, wie ſie Gefahr bringen,
vielfach gleich iſt. Allein der ethiſche ſowohl als der wirthſchaftliche
Grund dieſer Gefahr iſt weſentlich verſchieden, und daher iſt auch das
Polizeiverfahren und das Polizeirecht bei beiden ein nicht minder ver-
ſchiedenes. Sie fordern daher eine beſondere Darſtellung, wie denn
das betreffende Verwaltungsrecht beider nicht gleichzeitig entſtanden iſt.

a) Polizei des Bettler- und Vagabundenthums.

Die tiefe, dem germaniſchen Leben vorzugsweiſe eigenthümliche Ab-
neigung gegen das Bettler- und Vagabundenthum beruht im Allgemeinen
auf der Grundanſchauung der Geſchlechterordnung, welche das Angehören
des Einzelnen an ein Geſchlecht, und damit die Seßhaftigkeit als Baſis
der geſammten öffentlichen Rechtszuſtände anerkennt. Der Unſeßhafte,
nicht unter dem Recht des örtlichen Geſchlechterkörpers ſtehend, iſt ihm
gegenüber rechtlos. Der Bettler aber wird, da in der Geſchlechterordnung
das Geſchlecht ſeine Armen ernährt, ein Vorwurf gegen die Seinen.
Beide ſind daher im Widerſpruche mit dem geſammten öffentlichen Rechts-
zuſtande. Daher erſcheint ſowohl das Bettler- als das Vagabunden-
thum als ein Unrecht, das an und für ſich als Vergehen beſtraft werden
muß. Die ſtändiſche Ordnung ſchärft dieſe Auffaſſung für Vagabunden,
da ſie fordert, daß jeder einer ſtändiſchen Grundherrlichkeit angehören
ſoll, während das kirchliche Almoſen die Bettelei umgekehrt fördert.

Stein, die Verwaltungslehre. IV. 11
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[161/0183] ſowohl angeordnet als ausgeführt werden. Daher fallen höchſtens die erſtern unter eine ſpezielle Vergleichung, während bei den letztern die Aufſtellung der allgemeinen Kategorie genügen kann. Es ergibt ſich von ſelbſt daraus, daß die Quellen dieſes Rechts hauptſächlich in den Verwaltungsgeſetzkunden der einzelnen Länder zu ſuchen ſind, die dieß Gebiet mit um ſo mehr Liebe und Umſtändlichkeit behandeln, als in ihm ſich die Verwaltungsthätigkeit der niederſten Organe am meiſten bewegt. I. Perſönliche niedere Sicherheitspolizei. Die Grundlage der perſönlichen niedern Sicherheitspolizei ſind die- jenigen Zuſtände und Lebensverhältniſſe der Individuen, welche wie ſie ſelbſt dauernd ſind, auch eine dauernde Gefährdung der Gemeinſchaft durch ſolche Perſönlichkeiten enthalten. Dieſe Lebensverhältniſſe erſcheinen nun in zwei Hauptformen, den Vagabunden und Bettlern einer- ſeits, und den entlaſſenen Sträflingen andererſeits. Es iſt wohl kein Zweifel, daß bei beiden die Art und Weiſe, wie ſie Gefahr bringen, vielfach gleich iſt. Allein der ethiſche ſowohl als der wirthſchaftliche Grund dieſer Gefahr iſt weſentlich verſchieden, und daher iſt auch das Polizeiverfahren und das Polizeirecht bei beiden ein nicht minder ver- ſchiedenes. Sie fordern daher eine beſondere Darſtellung, wie denn das betreffende Verwaltungsrecht beider nicht gleichzeitig entſtanden iſt. a) Polizei des Bettler- und Vagabundenthums. Die tiefe, dem germaniſchen Leben vorzugsweiſe eigenthümliche Ab- neigung gegen das Bettler- und Vagabundenthum beruht im Allgemeinen auf der Grundanſchauung der Geſchlechterordnung, welche das Angehören des Einzelnen an ein Geſchlecht, und damit die Seßhaftigkeit als Baſis der geſammten öffentlichen Rechtszuſtände anerkennt. Der Unſeßhafte, nicht unter dem Recht des örtlichen Geſchlechterkörpers ſtehend, iſt ihm gegenüber rechtlos. Der Bettler aber wird, da in der Geſchlechterordnung das Geſchlecht ſeine Armen ernährt, ein Vorwurf gegen die Seinen. Beide ſind daher im Widerſpruche mit dem geſammten öffentlichen Rechts- zuſtande. Daher erſcheint ſowohl das Bettler- als das Vagabunden- thum als ein Unrecht, das an und für ſich als Vergehen beſtraft werden muß. Die ſtändiſche Ordnung ſchärft dieſe Auffaſſung für Vagabunden, da ſie fordert, daß jeder einer ſtändiſchen Grundherrlichkeit angehören ſoll, während das kirchliche Almoſen die Bettelei umgekehrt fördert. Stein, die Verwaltungslehre. IV. 11

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/183>, abgerufen am 28.03.2024.