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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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mit dem allgemeinen Bildungswesen den großen Proceß der Hebung
der niedern Klassen
überhaupt, speziell aber den der Erhebung
derselben zu dem geistigen Leben der höhern bedeuten. Es ist daher
ohne eine wohl organisirte Elementarbildung gar kein wahrer socialer
Fortschritt
möglich; wo derselbe dagegen fehlt, fehlt das große ver-
mittelnde geistige Glied für den Uebergang von einer Klasse zur andern,
mit ihm das Element der Ausgleichung der Klassengegensätze, und der
sociale Kampf wird daher ein roher und gewaltsamer, der die Vernich-
tung der Wohlfahrt zum Inhalt und die Despotie zur Folge hat. Nur
der tüchtige und allgemeine Elementarunterricht kann das ändern, fast
mehr noch durch sein Princip als durch seinen Inhalt. Wo eine gute
und fortschreitende Elementarbildung vorhanden ist, da ist einerseits
zwar der sociale Fortschritt der niedern Klasse ein unaufhaltsamer,
aber da wird mit der steigenden Bildung auch die gewaltsame Revo-
lution mehr und mehr unmöglich. Der innere und lebendige Zusammen-
hang des geistigen und wirthschaftlichen Lebens mit dem gesellschaftlichen
ist ein so unzweifelhafter, daß diese Sätze keines Beweises bedürfen,
ja daß die gegenseitige Einwirkung und der sociale Proceß nicht einmal
eines Bewußtseins von Seiten des Unterrichts bedarf; er vollzieht sich
von selbst. Aber die Verwaltungslehre muß ihn kennen, weil auf ihm
das öffentliche Recht des Elementarunterrichts überhaupt beruht.

II. Das Volksschulwesen. -- Die Principien seines Rechts und seiner Ver-
waltung.

Aus dem Elementarunterricht, welcher der Pädagogik gehört, ent-
steht nun das Volksschulwesen, indem der Elementarunterricht
Gegenstand der Verwaltung und des öffentlichen Rechts wird.
Das Volksschulwesen ist daher der durch die Verwaltung principiell
als nothwendig anerkannte und durch die Anstalten der Verwaltung
(im weitesten Sinn) öffentlich dargebotene Elementarunterricht.

Die Lehre vom Volksschulwesen ist daher eine ganz andere als die
Lehre vom Elementarunterricht, sowohl in ihrem Inhalt als in ihrer
Geschichte, obwohl die erstere natürlich die letztere zu Voraussetzung
hat. Während die letztere mit dem Wesen der Bildung an sich zu thun
hat, hat die erstere es mit dem Staate zu thun; während die letztere ihre
Grundlagen aus der Psychologie und Pädagogik nimmt, muß die erstere
sie aus der Verwaltung nehmen. Alles richtige Verständniß wird daher
gefährdet, so wie man beide Standpunkte, Begriffe und Aufgaben
vermengt.

Die Elemente des Volksschulwesens in dieser Scheidung vom Elemen-
tarunterricht sind nun folgende:

mit dem allgemeinen Bildungsweſen den großen Proceß der Hebung
der niedern Klaſſen
überhaupt, ſpeziell aber den der Erhebung
derſelben zu dem geiſtigen Leben der höhern bedeuten. Es iſt daher
ohne eine wohl organiſirte Elementarbildung gar kein wahrer ſocialer
Fortſchritt
möglich; wo derſelbe dagegen fehlt, fehlt das große ver-
mittelnde geiſtige Glied für den Uebergang von einer Klaſſe zur andern,
mit ihm das Element der Ausgleichung der Klaſſengegenſätze, und der
ſociale Kampf wird daher ein roher und gewaltſamer, der die Vernich-
tung der Wohlfahrt zum Inhalt und die Deſpotie zur Folge hat. Nur
der tüchtige und allgemeine Elementarunterricht kann das ändern, faſt
mehr noch durch ſein Princip als durch ſeinen Inhalt. Wo eine gute
und fortſchreitende Elementarbildung vorhanden iſt, da iſt einerſeits
zwar der ſociale Fortſchritt der niedern Klaſſe ein unaufhaltſamer,
aber da wird mit der ſteigenden Bildung auch die gewaltſame Revo-
lution mehr und mehr unmöglich. Der innere und lebendige Zuſammen-
hang des geiſtigen und wirthſchaftlichen Lebens mit dem geſellſchaftlichen
iſt ein ſo unzweifelhafter, daß dieſe Sätze keines Beweiſes bedürfen,
ja daß die gegenſeitige Einwirkung und der ſociale Proceß nicht einmal
eines Bewußtſeins von Seiten des Unterrichts bedarf; er vollzieht ſich
von ſelbſt. Aber die Verwaltungslehre muß ihn kennen, weil auf ihm
das öffentliche Recht des Elementarunterrichts überhaupt beruht.

II. Das Volksſchulweſen. — Die Principien ſeines Rechts und ſeiner Ver-
waltung.

Aus dem Elementarunterricht, welcher der Pädagogik gehört, ent-
ſteht nun das Volksſchulweſen, indem der Elementarunterricht
Gegenſtand der Verwaltung und des öffentlichen Rechts wird.
Das Volksſchulweſen iſt daher der durch die Verwaltung principiell
als nothwendig anerkannte und durch die Anſtalten der Verwaltung
(im weiteſten Sinn) öffentlich dargebotene Elementarunterricht.

Die Lehre vom Volksſchulweſen iſt daher eine ganz andere als die
Lehre vom Elementarunterricht, ſowohl in ihrem Inhalt als in ihrer
Geſchichte, obwohl die erſtere natürlich die letztere zu Vorausſetzung
hat. Während die letztere mit dem Weſen der Bildung an ſich zu thun
hat, hat die erſtere es mit dem Staate zu thun; während die letztere ihre
Grundlagen aus der Pſychologie und Pädagogik nimmt, muß die erſtere
ſie aus der Verwaltung nehmen. Alles richtige Verſtändniß wird daher
gefährdet, ſo wie man beide Standpunkte, Begriffe und Aufgaben
vermengt.

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[73/0101] mit dem allgemeinen Bildungsweſen den großen Proceß der Hebung der niedern Klaſſen überhaupt, ſpeziell aber den der Erhebung derſelben zu dem geiſtigen Leben der höhern bedeuten. Es iſt daher ohne eine wohl organiſirte Elementarbildung gar kein wahrer ſocialer Fortſchritt möglich; wo derſelbe dagegen fehlt, fehlt das große ver- mittelnde geiſtige Glied für den Uebergang von einer Klaſſe zur andern, mit ihm das Element der Ausgleichung der Klaſſengegenſätze, und der ſociale Kampf wird daher ein roher und gewaltſamer, der die Vernich- tung der Wohlfahrt zum Inhalt und die Deſpotie zur Folge hat. Nur der tüchtige und allgemeine Elementarunterricht kann das ändern, faſt mehr noch durch ſein Princip als durch ſeinen Inhalt. Wo eine gute und fortſchreitende Elementarbildung vorhanden iſt, da iſt einerſeits zwar der ſociale Fortſchritt der niedern Klaſſe ein unaufhaltſamer, aber da wird mit der ſteigenden Bildung auch die gewaltſame Revo- lution mehr und mehr unmöglich. Der innere und lebendige Zuſammen- hang des geiſtigen und wirthſchaftlichen Lebens mit dem geſellſchaftlichen iſt ein ſo unzweifelhafter, daß dieſe Sätze keines Beweiſes bedürfen, ja daß die gegenſeitige Einwirkung und der ſociale Proceß nicht einmal eines Bewußtſeins von Seiten des Unterrichts bedarf; er vollzieht ſich von ſelbſt. Aber die Verwaltungslehre muß ihn kennen, weil auf ihm das öffentliche Recht des Elementarunterrichts überhaupt beruht. II. Das Volksſchulweſen. — Die Principien ſeines Rechts und ſeiner Ver- waltung. Aus dem Elementarunterricht, welcher der Pädagogik gehört, ent- ſteht nun das Volksſchulweſen, indem der Elementarunterricht Gegenſtand der Verwaltung und des öffentlichen Rechts wird. Das Volksſchulweſen iſt daher der durch die Verwaltung principiell als nothwendig anerkannte und durch die Anſtalten der Verwaltung (im weiteſten Sinn) öffentlich dargebotene Elementarunterricht. Die Lehre vom Volksſchulweſen iſt daher eine ganz andere als die Lehre vom Elementarunterricht, ſowohl in ihrem Inhalt als in ihrer Geſchichte, obwohl die erſtere natürlich die letztere zu Vorausſetzung hat. Während die letztere mit dem Weſen der Bildung an ſich zu thun hat, hat die erſtere es mit dem Staate zu thun; während die letztere ihre Grundlagen aus der Pſychologie und Pädagogik nimmt, muß die erſtere ſie aus der Verwaltung nehmen. Alles richtige Verſtändniß wird daher gefährdet, ſo wie man beide Standpunkte, Begriffe und Aufgaben vermengt. Die Elemente des Volksſchulweſens in dieſer Scheidung vom Elemen- tarunterricht ſind nun folgende:

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/101>, abgerufen am 28.03.2024.