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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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ergriffen. Das ist ein Beweis, daß die deutsche höhere Pädagogik
ganz dazu angethan ist, den Geist dieser englischen Institute sich an-
zueignen. Die Verfassung der Universitäten bei Gneist I. §. 142.
Warum hat er die Colleges nicht aufgenommen? Das Stat. 25. 26
Vict.
26 hat der Universität Oxford das Recht gegeben, für neue
Lehrkanzeln (Professorships) Regulations zu geben, die dann dem
Staatsrath (King in Council) zur Genehmigung vorgelegt werden. Wich-
tig, weil hier speciell die Nationalökonomie, Geologie und Chemie auf-
genommen sind (Austria 1864, S. 373). Die Darstellung der Colleges
nebst Studienplan bei Schöll a. a. O., S. 132 ff. Es gibt ihrer
zehn: die beiden ältesten sind Winchester (1387) und Eton (1441),
die gegenwärtig fortgeschrittenste ist wohl Rugby (seit 1567). "Was
Eton für den Adel und die höhere Mittelklasse, das ist Christs Ho-
spital
(seit 1552) für die Mittelklasse überhaupt und zum Theil für
die untere Klasse" (ebendas. S. 145). Leider hat Schöll die Universitäten
nicht berücksichtigt; die Beziehung auf die Verfassung fehlt auch ihm,
wie den meisten Pädagogen. Da hatten doch die "Constitutionellen"
wie Aretin, Zachariä u. A. im Anfange unseres Jahrhunderts, wenn
auch nicht richtiger, so doch weiter gesehen; nur entging ihnen wieder
der Einfluß der Selbstverwaltung, deren Einwirkung auf das Bildungs-
wesen wieder bei Gneist fehlt. Eine englische Literatur über das Univer-
sitätswesen scheint nicht zu existiren (Schöll S. 159).

IV. Das staatsbürgerliche Bildungswesen.

In der eben dargelegten Weise bestanden nur die alten ständischen
Grundformen der höheren Bildung fort, und bestehen sie noch gegen-
wärtig; und da der Staat keine Prüfungen braucht und keine Unter-
stützung gibt, so ist auch kein Anlaß, jene Ordnung zu ändern. Allein
daß dieselbe in unserer Zeit nicht genügt, ist wohl klar. Während
allerdings kein neues System von Seiten einer Schulbehörde kommen
kann, gelangt das Bedürfniß der feineren Gesellschaft namentlich auf
zwei Punkten zum Ausdruck. Einerseits nämlich zwang die Entwick-
lung des höheren gewerblichen Lebens die mittlere und niedere Bürger-
schaft, auch in England an eine Realbildung sowohl der besitzenden
als der nichtbesitzenden Gewerbsklassen zu denken, und andererseits
konnten jene wenigen historischen Schulen denn doch auch entfernt nicht
dem Bedürfniß der wissenschaftlichen Schulen entsprechen. Da nun das
Volk von seiner Regierung nichts fordern wollte und nichts zu erwarten
hatte, so schuf es sich selbst neben jenen ständischen Bildungsanstalten
ein eigenes, den Bedürfnissen der Zeit entsprechendes Bildungssystem,

ergriffen. Das iſt ein Beweis, daß die deutſche höhere Pädagogik
ganz dazu angethan iſt, den Geiſt dieſer engliſchen Inſtitute ſich an-
zueignen. Die Verfaſſung der Univerſitäten bei Gneiſt I. §. 142.
Warum hat er die Colleges nicht aufgenommen? Das Stat. 25. 26
Vict.
26 hat der Univerſität Oxford das Recht gegeben, für neue
Lehrkanzeln (Professorships) Regulations zu geben, die dann dem
Staatsrath (King in Council) zur Genehmigung vorgelegt werden. Wich-
tig, weil hier ſpeciell die Nationalökonomie, Geologie und Chemie auf-
genommen ſind (Auſtria 1864, S. 373). Die Darſtellung der Colleges
nebſt Studienplan bei Schöll a. a. O., S. 132 ff. Es gibt ihrer
zehn: die beiden älteſten ſind Wincheſter (1387) und Eton (1441),
die gegenwärtig fortgeſchrittenſte iſt wohl Rugby (ſeit 1567). „Was
Eton für den Adel und die höhere Mittelklaſſe, das iſt Christs Ho-
spital
(ſeit 1552) für die Mittelklaſſe überhaupt und zum Theil für
die untere Klaſſe“ (ebendaſ. S. 145). Leider hat Schöll die Univerſitäten
nicht berückſichtigt; die Beziehung auf die Verfaſſung fehlt auch ihm,
wie den meiſten Pädagogen. Da hatten doch die „Conſtitutionellen“
wie Aretin, Zachariä u. A. im Anfange unſeres Jahrhunderts, wenn
auch nicht richtiger, ſo doch weiter geſehen; nur entging ihnen wieder
der Einfluß der Selbſtverwaltung, deren Einwirkung auf das Bildungs-
weſen wieder bei Gneiſt fehlt. Eine engliſche Literatur über das Univer-
ſitätsweſen ſcheint nicht zu exiſtiren (Schöll S. 159).

IV. Das ſtaatsbürgerliche Bildungsweſen.

In der eben dargelegten Weiſe beſtanden nur die alten ſtändiſchen
Grundformen der höheren Bildung fort, und beſtehen ſie noch gegen-
wärtig; und da der Staat keine Prüfungen braucht und keine Unter-
ſtützung gibt, ſo iſt auch kein Anlaß, jene Ordnung zu ändern. Allein
daß dieſelbe in unſerer Zeit nicht genügt, iſt wohl klar. Während
allerdings kein neues Syſtem von Seiten einer Schulbehörde kommen
kann, gelangt das Bedürfniß der feineren Geſellſchaft namentlich auf
zwei Punkten zum Ausdruck. Einerſeits nämlich zwang die Entwick-
lung des höheren gewerblichen Lebens die mittlere und niedere Bürger-
ſchaft, auch in England an eine Realbildung ſowohl der beſitzenden
als der nichtbeſitzenden Gewerbsklaſſen zu denken, und andererſeits
konnten jene wenigen hiſtoriſchen Schulen denn doch auch entfernt nicht
dem Bedürfniß der wiſſenſchaftlichen Schulen entſprechen. Da nun das
Volk von ſeiner Regierung nichts fordern wollte und nichts zu erwarten
hatte, ſo ſchuf es ſich ſelbſt neben jenen ſtändiſchen Bildungsanſtalten
ein eigenes, den Bedürfniſſen der Zeit entſprechendes Bildungsſyſtem,

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[331/0359] ergriffen. Das iſt ein Beweis, daß die deutſche höhere Pädagogik ganz dazu angethan iſt, den Geiſt dieſer engliſchen Inſtitute ſich an- zueignen. Die Verfaſſung der Univerſitäten bei Gneiſt I. §. 142. Warum hat er die Colleges nicht aufgenommen? Das Stat. 25. 26 Vict. 26 hat der Univerſität Oxford das Recht gegeben, für neue Lehrkanzeln (Professorships) Regulations zu geben, die dann dem Staatsrath (King in Council) zur Genehmigung vorgelegt werden. Wich- tig, weil hier ſpeciell die Nationalökonomie, Geologie und Chemie auf- genommen ſind (Auſtria 1864, S. 373). Die Darſtellung der Colleges nebſt Studienplan bei Schöll a. a. O., S. 132 ff. Es gibt ihrer zehn: die beiden älteſten ſind Wincheſter (1387) und Eton (1441), die gegenwärtig fortgeſchrittenſte iſt wohl Rugby (ſeit 1567). „Was Eton für den Adel und die höhere Mittelklaſſe, das iſt Christs Ho- spital (ſeit 1552) für die Mittelklaſſe überhaupt und zum Theil für die untere Klaſſe“ (ebendaſ. S. 145). Leider hat Schöll die Univerſitäten nicht berückſichtigt; die Beziehung auf die Verfaſſung fehlt auch ihm, wie den meiſten Pädagogen. Da hatten doch die „Conſtitutionellen“ wie Aretin, Zachariä u. A. im Anfange unſeres Jahrhunderts, wenn auch nicht richtiger, ſo doch weiter geſehen; nur entging ihnen wieder der Einfluß der Selbſtverwaltung, deren Einwirkung auf das Bildungs- weſen wieder bei Gneiſt fehlt. Eine engliſche Literatur über das Univer- ſitätsweſen ſcheint nicht zu exiſtiren (Schöll S. 159). IV. Das ſtaatsbürgerliche Bildungsweſen. In der eben dargelegten Weiſe beſtanden nur die alten ſtändiſchen Grundformen der höheren Bildung fort, und beſtehen ſie noch gegen- wärtig; und da der Staat keine Prüfungen braucht und keine Unter- ſtützung gibt, ſo iſt auch kein Anlaß, jene Ordnung zu ändern. Allein daß dieſelbe in unſerer Zeit nicht genügt, iſt wohl klar. Während allerdings kein neues Syſtem von Seiten einer Schulbehörde kommen kann, gelangt das Bedürfniß der feineren Geſellſchaft namentlich auf zwei Punkten zum Ausdruck. Einerſeits nämlich zwang die Entwick- lung des höheren gewerblichen Lebens die mittlere und niedere Bürger- ſchaft, auch in England an eine Realbildung ſowohl der beſitzenden als der nichtbeſitzenden Gewerbsklaſſen zu denken, und andererſeits konnten jene wenigen hiſtoriſchen Schulen denn doch auch entfernt nicht dem Bedürfniß der wiſſenſchaftlichen Schulen entſprechen. Da nun das Volk von ſeiner Regierung nichts fordern wollte und nichts zu erwarten hatte, ſo ſchuf es ſich ſelbſt neben jenen ſtändiſchen Bildungsanſtalten ein eigenes, den Bedürfniſſen der Zeit entſprechendes Bildungsſyſtem,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/359>, abgerufen am 18.04.2024.