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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Aufnahme der ganzen Land Clauses Act in eine solche Concession, wenn
sie durch den board of trade geschieht (incorporation of the land clauses
act with the certificate),
geschehen ist, wird genau bestimmt, daß alle
Grundsätze, welche die Land Clauses Act über die Enteignung enthält
(Art. 16--68), nicht in das Certificate aufgenommen sein sollen (Art. 23).

Dieß ist der Standpunkt des englischen Enteignungsrechts. Da die
speciellen Grundsätze wesentlich mit dem französischen übereinstimmen,
so können wir sie einfach in das folgende System aufnehmen, Es ist
aber kein Vorzug für England, daß es auch hier seinen gesetzgebenden
Körper mit solchen verwaltungsrechtlichen Functionen betraut hat; nicht
bloß daß die Klagen über die unerhörten Kosten der Concessionserwerbung
in derselben unvernünftigen Weise sich steigern, wie bei den Gemeinheits-
theilungen, auch das ganze Eisenbahnwesen leidet unter diesen Verhält-
nissen, wie wir später bei der Darstellung des Communicationswesens
zeigen werden.

V. Frankreichs Expropriationsgesetzgebung.

Es ist nun wohl gar kein Zweifel, daß, während Deutschland zuerst
das allgemeine Princip der Enteignung anerkannt und es bereits im
18. Jahrhundert formulirt, Frankreichs Gesetzgebung nicht bloß zuerst
dem Enteignungswesen sein verfassungsmäßiges Recht, sondern auch seine
erste organische Gesetzgebung gegeben hat. Der Gang dieser französischen
Gesetzgebung auf diesem Gebiet aber bietet mehrfaches, nicht geringes
Interesse.

Nachdem bereits die Declaration des droits den Grundsatz der
Heiligkeit des Eigenthums neben dem der Enteignung auf gesetzlichem
Wege ausgesprochen, formulirte der Code civ. das eigentliche Ent-
eignungsrecht im Art. 545 bekanntlich dahin: "Nul ne peut etre con-
traint de ceder sa propriete, si ce n'est pour cause d'utilite publi-
que, et moyennant une indemnite prealable."
Das große Gesetz vom
16. September 1807 entwickelte diesen Grundsatz zuerst zu einer förm-
lichen Gesetzgebung über das ganze Enteignungswesen; jedoch ist das
letztere hier noch nicht ein eigenes, selbständiges Gebiet des Verwaltungs-
rechts. Das Gesetz vom 16. September 1807 ist vielmehr das eigentliche
Landescultur-Gesetz des Kaiserreiches, und in ihm erscheint die Ent-
eignung im T. XI als eine Maßregel der Landescultur, namentlich
bei Entwässerungen, Eindeichungen, selbst bei Mühlen und Werkstätten;
zugleich wird die Enteignung zum Zweck der Anlage von Wegen, Sand-
und Kiesgräben zum öffentlichen Gebrauch u. s. w. als Grund der Ent-
eignung anerkannt. Es ist dieß Gesetz der erste große Versuch, sich

Aufnahme der ganzen Land Clauses Act in eine ſolche Conceſſion, wenn
ſie durch den board of trade geſchieht (incorporation of the land clauses
act with the certificate),
geſchehen iſt, wird genau beſtimmt, daß alle
Grundſätze, welche die Land Clauses Act über die Enteignung enthält
(Art. 16—68), nicht in das Certificate aufgenommen ſein ſollen (Art. 23).

Dieß iſt der Standpunkt des engliſchen Enteignungsrechts. Da die
ſpeciellen Grundſätze weſentlich mit dem franzöſiſchen übereinſtimmen,
ſo können wir ſie einfach in das folgende Syſtem aufnehmen, Es iſt
aber kein Vorzug für England, daß es auch hier ſeinen geſetzgebenden
Körper mit ſolchen verwaltungsrechtlichen Functionen betraut hat; nicht
bloß daß die Klagen über die unerhörten Koſten der Conceſſionserwerbung
in derſelben unvernünftigen Weiſe ſich ſteigern, wie bei den Gemeinheits-
theilungen, auch das ganze Eiſenbahnweſen leidet unter dieſen Verhält-
niſſen, wie wir ſpäter bei der Darſtellung des Communicationsweſens
zeigen werden.

V. Frankreichs Expropriationsgeſetzgebung.

Es iſt nun wohl gar kein Zweifel, daß, während Deutſchland zuerſt
das allgemeine Princip der Enteignung anerkannt und es bereits im
18. Jahrhundert formulirt, Frankreichs Geſetzgebung nicht bloß zuerſt
dem Enteignungsweſen ſein verfaſſungsmäßiges Recht, ſondern auch ſeine
erſte organiſche Geſetzgebung gegeben hat. Der Gang dieſer franzöſiſchen
Geſetzgebung auf dieſem Gebiet aber bietet mehrfaches, nicht geringes
Intereſſe.

Nachdem bereits die Déclaration des droits den Grundſatz der
Heiligkeit des Eigenthums neben dem der Enteignung auf geſetzlichem
Wege ausgeſprochen, formulirte der Code civ. das eigentliche Ent-
eignungsrecht im Art. 545 bekanntlich dahin: „Nul ne peut être con-
traint de céder sa propriété, si ce n’est pour cause d’utilité publi-
que, et moyennant une indemnité préalable.“
Das große Geſetz vom
16. September 1807 entwickelte dieſen Grundſatz zuerſt zu einer förm-
lichen Geſetzgebung über das ganze Enteignungsweſen; jedoch iſt das
letztere hier noch nicht ein eigenes, ſelbſtändiges Gebiet des Verwaltungs-
rechts. Das Geſetz vom 16. September 1807 iſt vielmehr das eigentliche
Landescultur-Geſetz des Kaiſerreiches, und in ihm erſcheint die Ent-
eignung im T. XI als eine Maßregel der Landescultur, namentlich
bei Entwäſſerungen, Eindeichungen, ſelbſt bei Mühlen und Werkſtätten;
zugleich wird die Enteignung zum Zweck der Anlage von Wegen, Sand-
und Kiesgräben zum öffentlichen Gebrauch u. ſ. w. als Grund der Ent-
eignung anerkannt. Es iſt dieß Geſetz der erſte große Verſuch, ſich

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[312/0330] Aufnahme der ganzen Land Clauses Act in eine ſolche Conceſſion, wenn ſie durch den board of trade geſchieht (incorporation of the land clauses act with the certificate), geſchehen iſt, wird genau beſtimmt, daß alle Grundſätze, welche die Land Clauses Act über die Enteignung enthält (Art. 16—68), nicht in das Certificate aufgenommen ſein ſollen (Art. 23). Dieß iſt der Standpunkt des engliſchen Enteignungsrechts. Da die ſpeciellen Grundſätze weſentlich mit dem franzöſiſchen übereinſtimmen, ſo können wir ſie einfach in das folgende Syſtem aufnehmen, Es iſt aber kein Vorzug für England, daß es auch hier ſeinen geſetzgebenden Körper mit ſolchen verwaltungsrechtlichen Functionen betraut hat; nicht bloß daß die Klagen über die unerhörten Koſten der Conceſſionserwerbung in derſelben unvernünftigen Weiſe ſich ſteigern, wie bei den Gemeinheits- theilungen, auch das ganze Eiſenbahnweſen leidet unter dieſen Verhält- niſſen, wie wir ſpäter bei der Darſtellung des Communicationsweſens zeigen werden. V. Frankreichs Expropriationsgeſetzgebung. Es iſt nun wohl gar kein Zweifel, daß, während Deutſchland zuerſt das allgemeine Princip der Enteignung anerkannt und es bereits im 18. Jahrhundert formulirt, Frankreichs Geſetzgebung nicht bloß zuerſt dem Enteignungsweſen ſein verfaſſungsmäßiges Recht, ſondern auch ſeine erſte organiſche Geſetzgebung gegeben hat. Der Gang dieſer franzöſiſchen Geſetzgebung auf dieſem Gebiet aber bietet mehrfaches, nicht geringes Intereſſe. Nachdem bereits die Déclaration des droits den Grundſatz der Heiligkeit des Eigenthums neben dem der Enteignung auf geſetzlichem Wege ausgeſprochen, formulirte der Code civ. das eigentliche Ent- eignungsrecht im Art. 545 bekanntlich dahin: „Nul ne peut être con- traint de céder sa propriété, si ce n’est pour cause d’utilité publi- que, et moyennant une indemnité préalable.“ Das große Geſetz vom 16. September 1807 entwickelte dieſen Grundſatz zuerſt zu einer förm- lichen Geſetzgebung über das ganze Enteignungsweſen; jedoch iſt das letztere hier noch nicht ein eigenes, ſelbſtändiges Gebiet des Verwaltungs- rechts. Das Geſetz vom 16. September 1807 iſt vielmehr das eigentliche Landescultur-Geſetz des Kaiſerreiches, und in ihm erſcheint die Ent- eignung im T. XI als eine Maßregel der Landescultur, namentlich bei Entwäſſerungen, Eindeichungen, ſelbſt bei Mühlen und Werkſtätten; zugleich wird die Enteignung zum Zweck der Anlage von Wegen, Sand- und Kiesgräben zum öffentlichen Gebrauch u. ſ. w. als Grund der Ent- eignung anerkannt. Es iſt dieß Geſetz der erſte große Verſuch, ſich

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/330>, abgerufen am 28.03.2024.