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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Rede, wo man seiner bloß deshalb erwähnt, um die mögliche
Anknüpfung eines Prädicats an dasselbe zu untersuchen"; aber
eben darum liegt auch in dem Urtheil A ist B nicht das hypothe-
tische Verhältniß: wenn A ist, so ist es B. Hier ist weder
grammatische Hypothesis, denn sie ist im Ausdrucke nicht ge-
geben, noch auch logische, denn das Verhältniß des Begriffs
zum Sein, ob das Gedachte wirkliche Existenz hat, kümmert
die Logik nicht. In dem Sinne, wie Herbart das kategorische
Urtheil hypothetisch nennt, nannten wir vielmehr die ganze Lo-
gik hypothetisch.

Auch Trendelenburg legt wenig Gewicht auf die Unter-
scheidung des kategorischen und hypothetischen Urtheils, und
alles was er für die etwanige Aufrechthaltung desselben sagt
(II, S. 181), läuft am Ende doch nur auf sprachliche Bestim-
mungen hinaus, auf Verschiedenheit der Darstellung; alles was
er hierüber bemerkt, ist fein gedacht und scharf aufgefaßt.
Worauf es uns aber am Ende hier ankommt, ist nur der Unter-
schied zwischen grammatischen und logischen Verhältnissen, und
nicht nur Herbart hat ihn eingestanden, sondern auch Trende-
lenburg läßt sich hier (S. 182) die Bemerkung entreißen: "Der
grammatische Ausdruck ist im Logischen nur Kenn-
zeichen und keine entscheidende Bestimmung
." Ent-
scheidend müßte aber die Grammatik für die Logik absolut sein,
wenn die Sprache der organische Ausdruck des Gedankens wäre,
der Satz das lautgewordene Urtheil.

Wir sehen hier, daß Satz und Urtheil sich nicht decken.
Dieses und daß auch Wort und Begriff nicht dasselbe sind,
geht nun auch daraus hervor, daß gelegentlich ein bloßer Be-
griff zum Satze wird, was ja eben in den hypothetischen Sätzen
geschieht; wie auch umgekehrt, daß ein Urtheil zum Wort zu-
sammenschmilzt, wie in den disjunctiven Fällen.

§. 68. Eintheilung der Urtheile.

Wenn nicht einmal Satz und Urtheil übereinstimmen, so
kann auch die Eintheilung der Urtheile nicht mit der der Sätze
zusammenfallen. Die wichtigste logische Eintheilung der Ur-
theile ist die nach der Qualität in bejahende und vernei-
nende
. Die Grammatik kennt diesen Unterschied nicht. A ist
nicht gut, A ist sehr gut
, oder A ist oft B, A ist nicht B, das
ist der Grammatik gleich. "Nicht" ist für die Grammatik ein

Rede, wo man seiner bloß deshalb erwähnt, um die mögliche
Anknüpfung eines Prädicats an dasselbe zu untersuchen“; aber
eben darum liegt auch in dem Urtheil A ist B nicht das hypothe-
tische Verhältniß: wenn A ist, so ist es B. Hier ist weder
grammatische Hypothesis, denn sie ist im Ausdrucke nicht ge-
geben, noch auch logische, denn das Verhältniß des Begriffs
zum Sein, ob das Gedachte wirkliche Existenz hat, kümmert
die Logik nicht. In dem Sinne, wie Herbart das kategorische
Urtheil hypothetisch nennt, nannten wir vielmehr die ganze Lo-
gik hypothetisch.

Auch Trendelenburg legt wenig Gewicht auf die Unter-
scheidung des kategorischen und hypothetischen Urtheils, und
alles was er für die etwanige Aufrechthaltung desselben sagt
(II, S. 181), läuft am Ende doch nur auf sprachliche Bestim-
mungen hinaus, auf Verschiedenheit der Darstellung; alles was
er hierüber bemerkt, ist fein gedacht und scharf aufgefaßt.
Worauf es uns aber am Ende hier ankommt, ist nur der Unter-
schied zwischen grammatischen und logischen Verhältnissen, und
nicht nur Herbart hat ihn eingestanden, sondern auch Trende-
lenburg läßt sich hier (S. 182) die Bemerkung entreißen: „Der
grammatische Ausdruck ist im Logischen nur Kenn-
zeichen und keine entscheidende Bestimmung
.“ Ent-
scheidend müßte aber die Grammatik für die Logik absolut sein,
wenn die Sprache der organische Ausdruck des Gedankens wäre,
der Satz das lautgewordene Urtheil.

Wir sehen hier, daß Satz und Urtheil sich nicht decken.
Dieses und daß auch Wort und Begriff nicht dasselbe sind,
geht nun auch daraus hervor, daß gelegentlich ein bloßer Be-
griff zum Satze wird, was ja eben in den hypothetischen Sätzen
geschieht; wie auch umgekehrt, daß ein Urtheil zum Wort zu-
sammenschmilzt, wie in den disjunctiven Fällen.

§. 68. Eintheilung der Urtheile.

Wenn nicht einmal Satz und Urtheil übereinstimmen, so
kann auch die Eintheilung der Urtheile nicht mit der der Sätze
zusammenfallen. Die wichtigste logische Eintheilung der Ur-
theile ist die nach der Qualität in bejahende und vernei-
nende
. Die Grammatik kennt diesen Unterschied nicht. A ist
nicht gut, A ist sehr gut
, oder A ist oft B, A ist nicht B, das
ist der Grammatik gleich. „Nicht“ ist für die Grammatik ein

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[175/0213] Rede, wo man seiner bloß deshalb erwähnt, um die mögliche Anknüpfung eines Prädicats an dasselbe zu untersuchen“; aber eben darum liegt auch in dem Urtheil A ist B nicht das hypothe- tische Verhältniß: wenn A ist, so ist es B. Hier ist weder grammatische Hypothesis, denn sie ist im Ausdrucke nicht ge- geben, noch auch logische, denn das Verhältniß des Begriffs zum Sein, ob das Gedachte wirkliche Existenz hat, kümmert die Logik nicht. In dem Sinne, wie Herbart das kategorische Urtheil hypothetisch nennt, nannten wir vielmehr die ganze Lo- gik hypothetisch. Auch Trendelenburg legt wenig Gewicht auf die Unter- scheidung des kategorischen und hypothetischen Urtheils, und alles was er für die etwanige Aufrechthaltung desselben sagt (II, S. 181), läuft am Ende doch nur auf sprachliche Bestim- mungen hinaus, auf Verschiedenheit der Darstellung; alles was er hierüber bemerkt, ist fein gedacht und scharf aufgefaßt. Worauf es uns aber am Ende hier ankommt, ist nur der Unter- schied zwischen grammatischen und logischen Verhältnissen, und nicht nur Herbart hat ihn eingestanden, sondern auch Trende- lenburg läßt sich hier (S. 182) die Bemerkung entreißen: „Der grammatische Ausdruck ist im Logischen nur Kenn- zeichen und keine entscheidende Bestimmung.“ Ent- scheidend müßte aber die Grammatik für die Logik absolut sein, wenn die Sprache der organische Ausdruck des Gedankens wäre, der Satz das lautgewordene Urtheil. Wir sehen hier, daß Satz und Urtheil sich nicht decken. Dieses und daß auch Wort und Begriff nicht dasselbe sind, geht nun auch daraus hervor, daß gelegentlich ein bloßer Be- griff zum Satze wird, was ja eben in den hypothetischen Sätzen geschieht; wie auch umgekehrt, daß ein Urtheil zum Wort zu- sammenschmilzt, wie in den disjunctiven Fällen. §. 68. Eintheilung der Urtheile. Wenn nicht einmal Satz und Urtheil übereinstimmen, so kann auch die Eintheilung der Urtheile nicht mit der der Sätze zusammenfallen. Die wichtigste logische Eintheilung der Ur- theile ist die nach der Qualität in bejahende und vernei- nende. Die Grammatik kennt diesen Unterschied nicht. A ist nicht gut, A ist sehr gut, oder A ist oft B, A ist nicht B, das ist der Grammatik gleich. „Nicht“ ist für die Grammatik ein

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/213>, abgerufen am 19.04.2024.