Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 76. Logisches und grammatisches Subject und Prädicat als Begriff und
Wort.

Lassen wir also Becker, und sehen, wie sich das logische
Subject und Prädicat vom grammatischen Subject und Prädicat
unterscheidet. Wir haben schon im Allgemeinen gezeigt, daß
nur die Wörter dieselben sind, daß aber beide Wissenschaften
unter denselben Namen nothwendig Verschiedenes verstehen müs-
sen. Betrachten wir nun das Auseinanderfallen, also die Ver-
schiedenheit des grammatischen Subjects und Prädicats von dem
logischen etwas näher. Wir folgen auch hier, wie bei allen un-
sern logischen Betrachtungen, Herbarts Darstellung der formalen
Logik und Trendelenburgs logischen Untersuchungen.

Hier stoßen wir nun sogleich bei Trendelenburg auf einen
Punkt, der einen bedeutenden Unterschied zwischen Grammatik
und Logik in ihrer Weise, Subject und Prädicat zu betrachten,
andeutet. Er sagt nämlich (II. S. 143): "Im weitern Sinne mag
man Subject und Prädicat, das eine und das andere, als Begriffe
bezeichnen. Im engern Sinne wird nur die allgemein aufge-
faßte Substanz, das geistig wiedererzeugte Ding, Begriff heißen,
und daher wird zunächst dem Subject der Begriff entsprechen.
Das Prädicat als Prädicat trägt noch das Zeichen des Unselbst-
ständigen an sich; es wird erst freier Begriff, wenn es die Form
der Substanz annimmt, und in dieser Form Subject werden
kann. Diese Umwandlung vollzieht die schöpferische Phantasie,
welche selbst noch der isolirenden Abstraction zur Seite geht.
Thätigkeiten werden als Dinge vorgestellt, Abstracta als Sub-
stanzen. Die Sprache zeigt diese Umwandlung namentlich im
Infinitiv." Was sagt wohl Becker dazu? Die Verba, die Prä-
dicate sind gar keine Begriffe, bloß die Substantiva sind Be-
griffe. Die Verba aber sind doch Wörter; und nun soll Wort
und Begriff eins und dasselbe sein! Man glaube auch nicht, daß
noch ein Ausweg gelassen sei. Man könnte meinen, im engern
Sinne sei allerdings die Thätigkeit kein Begriff, aber im weitern
Sinne. Aus der angeführten Stelle nämlich, und specieller II.
S. 150, geht hervor, daß die Thätigkeit nur dann Begriff ge-
worden ist, wenn sie nicht Prädicat, sondern selbst Subject ist,
als Infinitiv oder abstractes Substantiv; das Verbum aber --
und die Thätigkeit als Prädicat ist regelmäßig Verbum, und das
Verbum immer Prädicat -- ist kein Begriff.

Wir haben schon bemerkt, welch ein großer Unterschied

§. 76. Logisches und grammatisches Subject und Prädicat als Begriff und
Wort.

Lassen wir also Becker, und sehen, wie sich das logische
Subject und Prädicat vom grammatischen Subject und Prädicat
unterscheidet. Wir haben schon im Allgemeinen gezeigt, daß
nur die Wörter dieselben sind, daß aber beide Wissenschaften
unter denselben Namen nothwendig Verschiedenes verstehen müs-
sen. Betrachten wir nun das Auseinanderfallen, also die Ver-
schiedenheit des grammatischen Subjects und Prädicats von dem
logischen etwas näher. Wir folgen auch hier, wie bei allen un-
sern logischen Betrachtungen, Herbarts Darstellung der formalen
Logik und Trendelenburgs logischen Untersuchungen.

Hier stoßen wir nun sogleich bei Trendelenburg auf einen
Punkt, der einen bedeutenden Unterschied zwischen Grammatik
und Logik in ihrer Weise, Subject und Prädicat zu betrachten,
andeutet. Er sagt nämlich (II. S. 143): „Im weitern Sinne mag
man Subject und Prädicat, das eine und das andere, als Begriffe
bezeichnen. Im engern Sinne wird nur die allgemein aufge-
faßte Substanz, das geistig wiedererzeugte Ding, Begriff heißen,
und daher wird zunächst dem Subject der Begriff entsprechen.
Das Prädicat als Prädicat trägt noch das Zeichen des Unselbst-
ständigen an sich; es wird erst freier Begriff, wenn es die Form
der Substanz annimmt, und in dieser Form Subject werden
kann. Diese Umwandlung vollzieht die schöpferische Phantasie,
welche selbst noch der isolirenden Abstraction zur Seite geht.
Thätigkeiten werden als Dinge vorgestellt, Abstracta als Sub-
stanzen. Die Sprache zeigt diese Umwandlung namentlich im
Infinitiv.“ Was sagt wohl Becker dazu? Die Verba, die Prä-
dicate sind gar keine Begriffe, bloß die Substantiva sind Be-
griffe. Die Verba aber sind doch Wörter; und nun soll Wort
und Begriff eins und dasselbe sein! Man glaube auch nicht, daß
noch ein Ausweg gelassen sei. Man könnte meinen, im engern
Sinne sei allerdings die Thätigkeit kein Begriff, aber im weitern
Sinne. Aus der angeführten Stelle nämlich, und specieller II.
S. 150, geht hervor, daß die Thätigkeit nur dann Begriff ge-
worden ist, wenn sie nicht Prädicat, sondern selbst Subject ist,
als Infinitiv oder abstractes Substantiv; das Verbum aber —
und die Thätigkeit als Prädicat ist regelmäßig Verbum, und das
Verbum immer Prädicat — ist kein Begriff.

Wir haben schon bemerkt, welch ein großer Unterschied

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0229" n="191"/>
            <div n="4">
              <head>§. 76. Logisches und grammatisches Subject und Prädicat als Begriff und<lb/>
Wort.</head><lb/>
              <p>Lassen wir also Becker, und sehen, wie sich das logische<lb/>
Subject und Prädicat vom grammatischen Subject und Prädicat<lb/>
unterscheidet. Wir haben schon im Allgemeinen gezeigt, daß<lb/>
nur die Wörter dieselben sind, daß aber beide Wissenschaften<lb/>
unter denselben Namen nothwendig Verschiedenes verstehen müs-<lb/>
sen. Betrachten wir nun das Auseinanderfallen, also die Ver-<lb/>
schiedenheit des grammatischen Subjects und Prädicats von dem<lb/>
logischen etwas näher. Wir folgen auch hier, wie bei allen un-<lb/>
sern logischen Betrachtungen, Herbarts Darstellung der formalen<lb/>
Logik und Trendelenburgs logischen Untersuchungen.</p><lb/>
              <p>Hier stoßen wir nun sogleich bei Trendelenburg auf einen<lb/>
Punkt, der einen bedeutenden Unterschied zwischen Grammatik<lb/>
und Logik in ihrer Weise, Subject und Prädicat zu betrachten,<lb/>
andeutet. Er sagt nämlich (II. S. 143): &#x201E;Im weitern Sinne mag<lb/>
man Subject und Prädicat, das eine und das andere, als Begriffe<lb/>
bezeichnen. Im <hi rendition="#g">engern</hi> Sinne wird nur die allgemein aufge-<lb/>
faßte Substanz, das geistig wiedererzeugte Ding, Begriff heißen,<lb/>
und daher wird zunächst dem Subject der Begriff entsprechen.<lb/>
Das Prädicat als Prädicat trägt noch das Zeichen des Unselbst-<lb/>
ständigen an sich; es wird erst freier Begriff, wenn es die Form<lb/>
der Substanz annimmt, und in dieser Form Subject werden<lb/>
kann. Diese Umwandlung vollzieht die schöpferische Phantasie,<lb/>
welche selbst noch der isolirenden Abstraction zur Seite geht.<lb/>
Thätigkeiten werden als Dinge vorgestellt, Abstracta als Sub-<lb/>
stanzen. Die Sprache zeigt diese Umwandlung namentlich im<lb/>
Infinitiv.&#x201C; Was sagt wohl Becker dazu? Die Verba, die Prä-<lb/>
dicate sind gar keine Begriffe, bloß die Substantiva sind Be-<lb/>
griffe. Die Verba aber sind doch Wörter; und nun soll Wort<lb/>
und Begriff eins und dasselbe sein! Man glaube auch nicht, daß<lb/>
noch ein Ausweg gelassen sei. Man könnte meinen, im engern<lb/>
Sinne sei allerdings die Thätigkeit kein Begriff, aber im weitern<lb/>
Sinne. Aus der angeführten Stelle nämlich, und specieller II.<lb/>
S. 150, geht hervor, daß die Thätigkeit nur dann Begriff ge-<lb/>
worden ist, wenn sie nicht Prädicat, sondern selbst Subject ist,<lb/>
als Infinitiv oder abstractes Substantiv; das Verbum aber &#x2014;<lb/>
und die Thätigkeit als Prädicat ist regelmäßig Verbum, und das<lb/>
Verbum immer Prädicat &#x2014; ist kein Begriff.</p><lb/>
              <p>Wir haben schon bemerkt, welch ein großer Unterschied<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0229] §. 76. Logisches und grammatisches Subject und Prädicat als Begriff und Wort. Lassen wir also Becker, und sehen, wie sich das logische Subject und Prädicat vom grammatischen Subject und Prädicat unterscheidet. Wir haben schon im Allgemeinen gezeigt, daß nur die Wörter dieselben sind, daß aber beide Wissenschaften unter denselben Namen nothwendig Verschiedenes verstehen müs- sen. Betrachten wir nun das Auseinanderfallen, also die Ver- schiedenheit des grammatischen Subjects und Prädicats von dem logischen etwas näher. Wir folgen auch hier, wie bei allen un- sern logischen Betrachtungen, Herbarts Darstellung der formalen Logik und Trendelenburgs logischen Untersuchungen. Hier stoßen wir nun sogleich bei Trendelenburg auf einen Punkt, der einen bedeutenden Unterschied zwischen Grammatik und Logik in ihrer Weise, Subject und Prädicat zu betrachten, andeutet. Er sagt nämlich (II. S. 143): „Im weitern Sinne mag man Subject und Prädicat, das eine und das andere, als Begriffe bezeichnen. Im engern Sinne wird nur die allgemein aufge- faßte Substanz, das geistig wiedererzeugte Ding, Begriff heißen, und daher wird zunächst dem Subject der Begriff entsprechen. Das Prädicat als Prädicat trägt noch das Zeichen des Unselbst- ständigen an sich; es wird erst freier Begriff, wenn es die Form der Substanz annimmt, und in dieser Form Subject werden kann. Diese Umwandlung vollzieht die schöpferische Phantasie, welche selbst noch der isolirenden Abstraction zur Seite geht. Thätigkeiten werden als Dinge vorgestellt, Abstracta als Sub- stanzen. Die Sprache zeigt diese Umwandlung namentlich im Infinitiv.“ Was sagt wohl Becker dazu? Die Verba, die Prä- dicate sind gar keine Begriffe, bloß die Substantiva sind Be- griffe. Die Verba aber sind doch Wörter; und nun soll Wort und Begriff eins und dasselbe sein! Man glaube auch nicht, daß noch ein Ausweg gelassen sei. Man könnte meinen, im engern Sinne sei allerdings die Thätigkeit kein Begriff, aber im weitern Sinne. Aus der angeführten Stelle nämlich, und specieller II. S. 150, geht hervor, daß die Thätigkeit nur dann Begriff ge- worden ist, wenn sie nicht Prädicat, sondern selbst Subject ist, als Infinitiv oder abstractes Substantiv; das Verbum aber — und die Thätigkeit als Prädicat ist regelmäßig Verbum, und das Verbum immer Prädicat — ist kein Begriff. Wir haben schon bemerkt, welch ein großer Unterschied

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/229
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/229>, abgerufen am 28.03.2024.