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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Man kann also z. B. erstlich nach den Begriffen den
Wortschatz der Sprache in zwölf Classen eintheilen: 1) in sol-
che welche gehen, 2) welche leuchten, 3) welche lauten u. s. w.
bedeuten, ohne Rücksicht auf den Laut; oder zweitens man
kann die Wörter eintheilen in solche: 1) welche aus bloßem
Vocal bestehen, 2) aus anlautendem Vocal mit auslautendem
Kehllaut, 3) aus anlautendem Vocal mit auslautendem Zungen-
laut u. s. w. ohne Rücksicht auf die Bedeutung. So hätten wir
in Beckers drittem Abschnitt die beiden Theile wieder, welche
den beiden ersten Abschnitten entsprechen und der ganzen lo-
gischen, unorganischen Dichotomie Beckers angemessen sind.
Becker hat aber diese beiden Classificationsweisen, deren jede
er richtig als künstlich erkannte, nicht besonders gegeben; son-
dern, nach einer organisch-natürlichen strebend, hat er beide in
einander geschoben. Er hat nämlich zuerst alle Wörter nach
der Bedeutung in zwölf Classen getheilt, also rein logisch-meta-
physisch; innerhalb jeder Classe aber hat er die Wörter nach
dem Laute zusammengestellt. Hiermit ist er nicht über eine
mechanische Verbindung beider Classificationsweisen hinausge-
kommen, wie sein Wort nur die mechanische Verbindung von
Laut und Begriff ist; er hat also keine organische Classification
gegeben und durch die Verflechtung der beiden künstlichen, lo-
gischen Weisen hat er nichts weiter erreicht, als die unvollkom-
mene Durchführung eines jeden der beiden Eintheilungsprincipe;
nun hat man weder die verwandten Begriffe, noch die verwand-
ten Laute zusammen. Das mechanische Nebeneinander aber von
Begriff und Laut in Beckers Auffassung kann nicht deutlicher
zu Tage kommen, als hier geschieht.

§. 27. Grammatische Formen.

Eben so wie es sich hier mit dem Wortvorrath gezeigt hat,
verhält es sich mit den Wortformen, wie sie die bisherige Gram-
matik, Becker eingeschlossen, darstellt. Sie führt die Begriffs-
formen, d. h. die allgemeinen Verhältnisse der Begriffe zu den
Kategorien und zu einander auf, also die Redetheile und Flexions-
formen. Die innere Seite des Wortes ist ja der Begriff; wie
könnten also die Verhältnisse und Formen des Wortes nach
dieser innern Seite andere sein, als eben die des Begriffes, der
Logik und Metaphysik selbst? die Formen der Sprache sind
eben gerade die des Denkens. Substanz, Qualität, Bewegung,
Sein u. s. w., d. h. die wesentlichsten Punkte der Metaphysik und

Man kann also z. B. erstlich nach den Begriffen den
Wortschatz der Sprache in zwölf Classen eintheilen: 1) in sol-
che welche gehen, 2) welche leuchten, 3) welche lauten u. s. w.
bedeuten, ohne Rücksicht auf den Laut; oder zweitens man
kann die Wörter eintheilen in solche: 1) welche aus bloßem
Vocal bestehen, 2) aus anlautendem Vocal mit auslautendem
Kehllaut, 3) aus anlautendem Vocal mit auslautendem Zungen-
laut u. s. w. ohne Rücksicht auf die Bedeutung. So hätten wir
in Beckers drittem Abschnitt die beiden Theile wieder, welche
den beiden ersten Abschnitten entsprechen und der ganzen lo-
gischen, unorganischen Dichotomie Beckers angemessen sind.
Becker hat aber diese beiden Classificationsweisen, deren jede
er richtig als künstlich erkannte, nicht besonders gegeben; son-
dern, nach einer organisch-natürlichen strebend, hat er beide in
einander geschoben. Er hat nämlich zuerst alle Wörter nach
der Bedeutung in zwölf Classen getheilt, also rein logisch-meta-
physisch; innerhalb jeder Classe aber hat er die Wörter nach
dem Laute zusammengestellt. Hiermit ist er nicht über eine
mechanische Verbindung beider Classificationsweisen hinausge-
kommen, wie sein Wort nur die mechanische Verbindung von
Laut und Begriff ist; er hat also keine organische Classification
gegeben und durch die Verflechtung der beiden künstlichen, lo-
gischen Weisen hat er nichts weiter erreicht, als die unvollkom-
mene Durchführung eines jeden der beiden Eintheilungsprincipe;
nun hat man weder die verwandten Begriffe, noch die verwand-
ten Laute zusammen. Das mechanische Nebeneinander aber von
Begriff und Laut in Beckers Auffassung kann nicht deutlicher
zu Tage kommen, als hier geschieht.

§. 27. Grammatische Formen.

Eben so wie es sich hier mit dem Wortvorrath gezeigt hat,
verhält es sich mit den Wortformen, wie sie die bisherige Gram-
matik, Becker eingeschlossen, darstellt. Sie führt die Begriffs-
formen, d. h. die allgemeinen Verhältnisse der Begriffe zu den
Kategorien und zu einander auf, also die Redetheile und Flexions-
formen. Die innere Seite des Wortes ist ja der Begriff; wie
könnten also die Verhältnisse und Formen des Wortes nach
dieser innern Seite andere sein, als eben die des Begriffes, der
Logik und Metaphysik selbst? die Formen der Sprache sind
eben gerade die des Denkens. Substanz, Qualität, Bewegung,
Sein u. s. w., d. h. die wesentlichsten Punkte der Metaphysik und

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[61/0099] Man kann also z. B. erstlich nach den Begriffen den Wortschatz der Sprache in zwölf Classen eintheilen: 1) in sol- che welche gehen, 2) welche leuchten, 3) welche lauten u. s. w. bedeuten, ohne Rücksicht auf den Laut; oder zweitens man kann die Wörter eintheilen in solche: 1) welche aus bloßem Vocal bestehen, 2) aus anlautendem Vocal mit auslautendem Kehllaut, 3) aus anlautendem Vocal mit auslautendem Zungen- laut u. s. w. ohne Rücksicht auf die Bedeutung. So hätten wir in Beckers drittem Abschnitt die beiden Theile wieder, welche den beiden ersten Abschnitten entsprechen und der ganzen lo- gischen, unorganischen Dichotomie Beckers angemessen sind. Becker hat aber diese beiden Classificationsweisen, deren jede er richtig als künstlich erkannte, nicht besonders gegeben; son- dern, nach einer organisch-natürlichen strebend, hat er beide in einander geschoben. Er hat nämlich zuerst alle Wörter nach der Bedeutung in zwölf Classen getheilt, also rein logisch-meta- physisch; innerhalb jeder Classe aber hat er die Wörter nach dem Laute zusammengestellt. Hiermit ist er nicht über eine mechanische Verbindung beider Classificationsweisen hinausge- kommen, wie sein Wort nur die mechanische Verbindung von Laut und Begriff ist; er hat also keine organische Classification gegeben und durch die Verflechtung der beiden künstlichen, lo- gischen Weisen hat er nichts weiter erreicht, als die unvollkom- mene Durchführung eines jeden der beiden Eintheilungsprincipe; nun hat man weder die verwandten Begriffe, noch die verwand- ten Laute zusammen. Das mechanische Nebeneinander aber von Begriff und Laut in Beckers Auffassung kann nicht deutlicher zu Tage kommen, als hier geschieht. §. 27. Grammatische Formen. Eben so wie es sich hier mit dem Wortvorrath gezeigt hat, verhält es sich mit den Wortformen, wie sie die bisherige Gram- matik, Becker eingeschlossen, darstellt. Sie führt die Begriffs- formen, d. h. die allgemeinen Verhältnisse der Begriffe zu den Kategorien und zu einander auf, also die Redetheile und Flexions- formen. Die innere Seite des Wortes ist ja der Begriff; wie könnten also die Verhältnisse und Formen des Wortes nach dieser innern Seite andere sein, als eben die des Begriffes, der Logik und Metaphysik selbst? die Formen der Sprache sind eben gerade die des Denkens. Substanz, Qualität, Bewegung, Sein u. s. w., d. h. die wesentlichsten Punkte der Metaphysik und

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/99>, abgerufen am 28.03.2024.