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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Schönheiten der Erde verschwinden, und sich erst die
unermeßliche Schönheit des Weltraums in der fernen
stillen Lichtpracht aufthut, der Mensch und die größte
Zahl der andern Geschöpfe zum Schlummer bestimmt
ist! Rührt es daher, daß wir nur auf kurze Augen¬
blicke und nur in der räthselhaften Zeit der Traum¬
welt zu jenen Größen hinan sehen dürfen, von denen
wir eine Ahnung haben, und die wir vielleicht ein¬
mal immer näher und näher werden schauen dürfen?
Sollen wir hienieden nie mehr als eine Ahnung ha¬
ben? Oder ist es der großen Zahl der Menschen nur
darum blos in kurzen schlummerlosen Augenblicken
gestattet, zu dem Sternenhimmel zu schauen, damit
die Herrlichkeit desselben uns nicht gewöhnlich werde
und die Größe sich nicht dadurch verliere? Aber ich bin
ja wiederholt in ganzen Nächten allein gefahren, die
Sternbilder haben sich an dem Himmel sachte bewegt,
ich habe meine Augen auf sie gerichtet gehalten, sie
sind dunkelschwarzen gestaltlosen Wäldern oder Erd¬
rändern zugesunken, andere sind im Osten aufgestie¬
gen, so hat es fortgedauert, die Stellungen haben
sich sanft geändert, und das Leuchten hat fortgelächelt,
bis der Himmel von der nahenden Sonne lichter
wurde, das Morgenroth im Osten erschien und die

Schönheiten der Erde verſchwinden, und ſich erſt die
unermeßliche Schönheit des Weltraums in der fernen
ſtillen Lichtpracht aufthut, der Menſch und die größte
Zahl der andern Geſchöpfe zum Schlummer beſtimmt
iſt! Rührt es daher, daß wir nur auf kurze Augen¬
blicke und nur in der räthſelhaften Zeit der Traum¬
welt zu jenen Größen hinan ſehen dürfen, von denen
wir eine Ahnung haben, und die wir vielleicht ein¬
mal immer näher und näher werden ſchauen dürfen?
Sollen wir hienieden nie mehr als eine Ahnung ha¬
ben? Oder iſt es der großen Zahl der Menſchen nur
darum blos in kurzen ſchlummerloſen Augenblicken
geſtattet, zu dem Sternenhimmel zu ſchauen, damit
die Herrlichkeit deſſelben uns nicht gewöhnlich werde
und die Größe ſich nicht dadurch verliere? Aber ich bin
ja wiederholt in ganzen Nächten allein gefahren, die
Sternbilder haben ſich an dem Himmel ſachte bewegt,
ich habe meine Augen auf ſie gerichtet gehalten, ſie
ſind dunkelſchwarzen geſtaltloſen Wäldern oder Erd¬
rändern zugeſunken, andere ſind im Oſten aufgeſtie¬
gen, ſo hat es fortgedauert, die Stellungen haben
ſich ſanft geändert, und das Leuchten hat fortgelächelt,
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[5/0019] Schönheiten der Erde verſchwinden, und ſich erſt die unermeßliche Schönheit des Weltraums in der fernen ſtillen Lichtpracht aufthut, der Menſch und die größte Zahl der andern Geſchöpfe zum Schlummer beſtimmt iſt! Rührt es daher, daß wir nur auf kurze Augen¬ blicke und nur in der räthſelhaften Zeit der Traum¬ welt zu jenen Größen hinan ſehen dürfen, von denen wir eine Ahnung haben, und die wir vielleicht ein¬ mal immer näher und näher werden ſchauen dürfen? Sollen wir hienieden nie mehr als eine Ahnung ha¬ ben? Oder iſt es der großen Zahl der Menſchen nur darum blos in kurzen ſchlummerloſen Augenblicken geſtattet, zu dem Sternenhimmel zu ſchauen, damit die Herrlichkeit deſſelben uns nicht gewöhnlich werde und die Größe ſich nicht dadurch verliere? Aber ich bin ja wiederholt in ganzen Nächten allein gefahren, die Sternbilder haben ſich an dem Himmel ſachte bewegt, ich habe meine Augen auf ſie gerichtet gehalten, ſie ſind dunkelſchwarzen geſtaltloſen Wäldern oder Erd¬ rändern zugeſunken, andere ſind im Oſten aufgeſtie¬ gen, ſo hat es fortgedauert, die Stellungen haben ſich ſanft geändert, und das Leuchten hat fortgelächelt, bis der Himmel von der nahenden Sonne lichter wurde, das Morgenroth im Oſten erſchien und die

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/19>, abgerufen am 18.04.2024.