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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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zum Menschlichen in Gegensatz bringst, und Ich konnte Mich
selbst nur so lange verachten, als Ich Mich an diesen Gegen¬
satz bannen ließ. Ich war verächtlich, weil Ich mein "besse¬
res Selbst" außer Mir suchte; Ich war das Unmenschliche,
weil Ich vom "Menschlichen" träumte; Ich glich den From¬
men, die nach ihrem "wahren Ich" hungern und immer "arme
Sünder" bleiben; Ich dachte Mich nur im Vergleich zu einem
Andern; genug Ich war nicht Alles in Allem, war nicht --
einzig. Jetzt aber höre Ich auf, Mir selbst als das Un¬
menschliche vorzukommen, höre auf, Mich am Menschen zu
messen und messen zu lassen, höre auf, etwas über Mir anzu¬
erkennen, und somit -- Gott befohlen, humaner Kritiker! Ich
bin das Unmenschliche nur gewesen, bin es jetzt nicht mehr,
sondern bin das Einzige, ja Dir zum Abscheu das Egoistische,
aber das Egoistische nicht, wie es am Menschlichen, Humanen
und Uneigennützigen sich messen läßt, sondern das Egoistische
als das -- Einzige."

Noch auf einen andern Satz desselben Heftes haben Wir
zu achten. "Die Kritik stellt keine Dogmen auf und will
nichts als die Dinge kennen lernen."

Der Kritiker fürchtet sich "dogmatisch" zu werden oder
Dogmen aufzustellen. Natürlich, er würde dadurch ja zum
Gegensatz des Kritikers, zum Dogmatiker, er würde, wie er
als Kritiker gut ist, nun böse, oder würde aus einem Uneigen¬
nützigen ein Egoist u. s. w. "Nur kein Dogma!" das ist
sein -- Dogma. Denn es bleibt der Kritiker mit dem Dog¬
matiker auf ein und demselben Boden, dem der Gedanken.
Gleich dem letzteren geht er stets von einem Gedanken aus,
aber darin weicht er ab, daß er's nicht aufgiebt, den princi¬
piellen Gedanken im Denkprocesse zu erhalten, ihn also

zum Menſchlichen in Gegenſatz bringſt, und Ich konnte Mich
ſelbſt nur ſo lange verachten, als Ich Mich an dieſen Gegen¬
ſatz bannen ließ. Ich war verächtlich, weil Ich mein „beſſe¬
res Selbſt“ außer Mir ſuchte; Ich war das Unmenſchliche,
weil Ich vom „Menſchlichen“ träumte; Ich glich den From¬
men, die nach ihrem „wahren Ich“ hungern und immer „arme
Sünder“ bleiben; Ich dachte Mich nur im Vergleich zu einem
Andern; genug Ich war nicht Alles in Allem, war nicht —
einzig. Jetzt aber höre Ich auf, Mir ſelbſt als das Un¬
menſchliche vorzukommen, höre auf, Mich am Menſchen zu
meſſen und meſſen zu laſſen, höre auf, etwas über Mir anzu¬
erkennen, und ſomit — Gott befohlen, humaner Kritiker! Ich
bin das Unmenſchliche nur geweſen, bin es jetzt nicht mehr,
ſondern bin das Einzige, ja Dir zum Abſcheu das Egoiſtiſche,
aber das Egoiſtiſche nicht, wie es am Menſchlichen, Humanen
und Uneigennützigen ſich meſſen läßt, ſondern das Egoiſtiſche
als das — Einzige.“

Noch auf einen andern Satz deſſelben Heftes haben Wir
zu achten. „Die Kritik ſtellt keine Dogmen auf und will
nichts als die Dinge kennen lernen.“

Der Kritiker fürchtet ſich „dogmatiſch“ zu werden oder
Dogmen aufzuſtellen. Natürlich, er würde dadurch ja zum
Gegenſatz des Kritikers, zum Dogmatiker, er würde, wie er
als Kritiker gut iſt, nun böſe, oder würde aus einem Uneigen¬
nützigen ein Egoiſt u. ſ. w. „Nur kein Dogma!“ das iſt
ſein — Dogma. Denn es bleibt der Kritiker mit dem Dog¬
matiker auf ein und demſelben Boden, dem der Gedanken.
Gleich dem letzteren geht er ſtets von einem Gedanken aus,
aber darin weicht er ab, daß er's nicht aufgiebt, den princi¬
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[194/0202] zum Menſchlichen in Gegenſatz bringſt, und Ich konnte Mich ſelbſt nur ſo lange verachten, als Ich Mich an dieſen Gegen¬ ſatz bannen ließ. Ich war verächtlich, weil Ich mein „beſſe¬ res Selbſt“ außer Mir ſuchte; Ich war das Unmenſchliche, weil Ich vom „Menſchlichen“ träumte; Ich glich den From¬ men, die nach ihrem „wahren Ich“ hungern und immer „arme Sünder“ bleiben; Ich dachte Mich nur im Vergleich zu einem Andern; genug Ich war nicht Alles in Allem, war nicht — einzig. Jetzt aber höre Ich auf, Mir ſelbſt als das Un¬ menſchliche vorzukommen, höre auf, Mich am Menſchen zu meſſen und meſſen zu laſſen, höre auf, etwas über Mir anzu¬ erkennen, und ſomit — Gott befohlen, humaner Kritiker! Ich bin das Unmenſchliche nur geweſen, bin es jetzt nicht mehr, ſondern bin das Einzige, ja Dir zum Abſcheu das Egoiſtiſche, aber das Egoiſtiſche nicht, wie es am Menſchlichen, Humanen und Uneigennützigen ſich meſſen läßt, ſondern das Egoiſtiſche als das — Einzige.“ Noch auf einen andern Satz deſſelben Heftes haben Wir zu achten. „Die Kritik ſtellt keine Dogmen auf und will nichts als die Dinge kennen lernen.“ Der Kritiker fürchtet ſich „dogmatiſch“ zu werden oder Dogmen aufzuſtellen. Natürlich, er würde dadurch ja zum Gegenſatz des Kritikers, zum Dogmatiker, er würde, wie er als Kritiker gut iſt, nun böſe, oder würde aus einem Uneigen¬ nützigen ein Egoiſt u. ſ. w. „Nur kein Dogma!“ das iſt ſein — Dogma. Denn es bleibt der Kritiker mit dem Dog¬ matiker auf ein und demſelben Boden, dem der Gedanken. Gleich dem letzteren geht er ſtets von einem Gedanken aus, aber darin weicht er ab, daß er's nicht aufgiebt, den princi¬ piellen Gedanken im Denkproceſſe zu erhalten, ihn alſo

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/202>, abgerufen am 28.03.2024.