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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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d. h. unser Eigenthum ist. Ich bin zwar unter anderm auch
ein Mensch, wie Ich z. B. ein lebendiges Wesen, also animal
oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin;
aber wer Mich nur als Menschen oder als Berliner achten
wollte, der zollte Mir eine Mir sehr gleichgültige Achtung.
Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenschaften
achtete, nicht Mich.

Gerade so verhält sich's mit dem Geiste auch. Ein
christlicher, ein rechtschaffener und ähnlicher Geist kann wohl
meine erworbene Eigenschaft, d. h. mein Eigenthum, sein,
Ich aber bin nicht dieser Geist: er ist mein, Ich nicht sein.

Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortsetzung
der alten christlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen
Hansen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, sieht man
lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenschaften und schließt
mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines -- Besitz¬
thums willen; man heirathet gleichsam, was Ich habe, nicht
was Ich bin. Der Christ hält sich an meinen Geist, der
Liberale an meine Menschlichkeit.

Aber ist der Geist, den man nicht als das Eigenthum
des leibhaftigen Ich's, sondern als das eigentliche Ich selbst
betrachtet, ein Gespenst, so ist auch der Mensch, der nicht als
meine Eigenschaft, sondern als das eigentliche Ich anerkannt
wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.

Darum dreht sich auch der Liberale in demselben Kreise
wie der Christ herum. Weil der Geist des Menschenthums,
d. h. der Mensch, in Dir wohnt, bist Du ein Mensch, wie
Du, wenn der Geist Christi in Dir wohnt, ein Christ bist;
aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬
liches oder "besseres" Ich, in Dir wohnt, so bleibt er Dir

d. h. unſer Eigenthum iſt. Ich bin zwar unter anderm auch
ein Menſch, wie Ich z. B. ein lebendiges Weſen, alſo animal
oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin;
aber wer Mich nur als Menſchen oder als Berliner achten
wollte, der zollte Mir eine Mir ſehr gleichgültige Achtung.
Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenſchaften
achtete, nicht Mich.

Gerade ſo verhält ſich's mit dem Geiſte auch. Ein
chriſtlicher, ein rechtſchaffener und ähnlicher Geiſt kann wohl
meine erworbene Eigenſchaft, d. h. mein Eigenthum, ſein,
Ich aber bin nicht dieſer Geiſt: er iſt mein, Ich nicht ſein.

Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortſetzung
der alten chriſtlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen
Hanſen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, ſieht man
lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenſchaften und ſchließt
mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines — Beſitz¬
thums willen; man heirathet gleichſam, was Ich habe, nicht
was Ich bin. Der Chriſt hält ſich an meinen Geiſt, der
Liberale an meine Menſchlichkeit.

Aber iſt der Geiſt, den man nicht als das Eigenthum
des leibhaftigen Ich's, ſondern als das eigentliche Ich ſelbſt
betrachtet, ein Geſpenſt, ſo iſt auch der Menſch, der nicht als
meine Eigenſchaft, ſondern als das eigentliche Ich anerkannt
wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.

Darum dreht ſich auch der Liberale in demſelben Kreiſe
wie der Chriſt herum. Weil der Geiſt des Menſchenthums,
d. h. der Menſch, in Dir wohnt, biſt Du ein Menſch, wie
Du, wenn der Geiſt Chriſti in Dir wohnt, ein Chriſt biſt;
aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬
liches oder „beſſeres“ Ich, in Dir wohnt, ſo bleibt er Dir

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[229/0237] d. h. unſer Eigenthum iſt. Ich bin zwar unter anderm auch ein Menſch, wie Ich z. B. ein lebendiges Weſen, alſo animal oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin; aber wer Mich nur als Menſchen oder als Berliner achten wollte, der zollte Mir eine Mir ſehr gleichgültige Achtung. Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenſchaften achtete, nicht Mich. Gerade ſo verhält ſich's mit dem Geiſte auch. Ein chriſtlicher, ein rechtſchaffener und ähnlicher Geiſt kann wohl meine erworbene Eigenſchaft, d. h. mein Eigenthum, ſein, Ich aber bin nicht dieſer Geiſt: er iſt mein, Ich nicht ſein. Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortſetzung der alten chriſtlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen Hanſen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, ſieht man lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenſchaften und ſchließt mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines — Beſitz¬ thums willen; man heirathet gleichſam, was Ich habe, nicht was Ich bin. Der Chriſt hält ſich an meinen Geiſt, der Liberale an meine Menſchlichkeit. Aber iſt der Geiſt, den man nicht als das Eigenthum des leibhaftigen Ich's, ſondern als das eigentliche Ich ſelbſt betrachtet, ein Geſpenſt, ſo iſt auch der Menſch, der nicht als meine Eigenſchaft, ſondern als das eigentliche Ich anerkannt wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff. Darum dreht ſich auch der Liberale in demſelben Kreiſe wie der Chriſt herum. Weil der Geiſt des Menſchenthums, d. h. der Menſch, in Dir wohnt, biſt Du ein Menſch, wie Du, wenn der Geiſt Chriſti in Dir wohnt, ein Chriſt biſt; aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬ liches oder „beſſeres“ Ich, in Dir wohnt, ſo bleibt er Dir

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/237>, abgerufen am 19.04.2024.