Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

ergreifen und einnehmen lassen. Die Partei bleibt für ihn
allezeit nichts als eine Partie: er ist von der Partie, er
nimmt Theil.


Der beste Staat wird offenbar derjenige sein, welcher die
loyalsten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für
Gesetzlichkeit sich verliert, um so mehr wird der Staat
dieses System der Sittlichkeit, dieses sittliche Leben selbst, an
Kraft und Güte geschmälert werden. Mit den "guten Bür¬
gern" verkommt auch der gute Staat und löst sich in Anarchie
und Gesetzlosigkeit auf. "Achtung vor dem Gesetze!" Durch
diesen Kitt wird das Staatsganze zusammengehalten. "Das
Gesetz ist heilig, und wer daran frevelt, ein Verbrecher."
Ohne Verbrechen kein Staat: die sittliche Welt -- und das
ist der Staat -- steckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe
u.s.w. Da der Staat die "Herrschaft des Gesetzes", die
Hierarchie desselben ist, so kann der Egoist in allen Fällen, wo
sein Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des
Verbrechens sich befriedigen.

Der Staat kann den Anspruch nicht aufgeben, daß seine
Gesetze und Anordnungen heilig seien. Dabei gilt dann
der Einzelne gerade so für den Unheiligen (Barbaren, na¬
türlichen Menschen, "Egoisten") gegenüber dem Staate, wie er
von der Kirche einst betrachtet wurde; vor dem Einzelnen
nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt
er ein Duellgesetz. Zwei Menschen, die beide darüber einig
sind, daß sie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) ein¬
setzen wollen, sollen dieß nicht dürfen, weil's der Staat nicht
haben will: er setzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die

ergreifen und einnehmen laſſen. Die Partei bleibt für ihn
allezeit nichts als eine Partie: er iſt von der Partie, er
nimmt Theil.


Der beſte Staat wird offenbar derjenige ſein, welcher die
loyalſten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für
Geſetzlichkeit ſich verliert, um ſo mehr wird der Staat
dieſes Syſtem der Sittlichkeit, dieſes ſittliche Leben ſelbſt, an
Kraft und Güte geſchmälert werden. Mit den „guten Bür¬
gern“ verkommt auch der gute Staat und löſt ſich in Anarchie
und Geſetzloſigkeit auf. „Achtung vor dem Geſetze!“ Durch
dieſen Kitt wird das Staatsganze zuſammengehalten. „Das
Geſetz iſt heilig, und wer daran frevelt, ein Verbrecher.“
Ohne Verbrechen kein Staat: die ſittliche Welt — und das
iſt der Staat — ſteckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe
u.ſ.w. Da der Staat die „Herrſchaft des Geſetzes“, die
Hierarchie deſſelben iſt, ſo kann der Egoiſt in allen Fällen, wo
ſein Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des
Verbrechens ſich befriedigen.

Der Staat kann den Anſpruch nicht aufgeben, daß ſeine
Geſetze und Anordnungen heilig ſeien. Dabei gilt dann
der Einzelne gerade ſo für den Unheiligen (Barbaren, na¬
türlichen Menſchen, „Egoiſten“) gegenüber dem Staate, wie er
von der Kirche einſt betrachtet wurde; vor dem Einzelnen
nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt
er ein Duellgeſetz. Zwei Menſchen, die beide darüber einig
ſind, daß ſie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) ein¬
ſetzen wollen, ſollen dieß nicht dürfen, weil's der Staat nicht
haben will: er ſetzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0322" n="314"/>
ergreifen und einnehmen la&#x017F;&#x017F;en. Die Partei bleibt für ihn<lb/>
allezeit nichts als eine <hi rendition="#g">Partie</hi>: er i&#x017F;t von der Partie, er<lb/>
nimmt Theil.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Der be&#x017F;te Staat wird offenbar derjenige &#x017F;ein, welcher die<lb/>
loyal&#x017F;ten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für<lb/><hi rendition="#g">Ge&#x017F;etzlichkeit</hi> &#x017F;ich verliert, um &#x017F;o mehr wird der Staat<lb/>
die&#x017F;es Sy&#x017F;tem der Sittlichkeit, die&#x017F;es &#x017F;ittliche Leben &#x017F;elb&#x017F;t, an<lb/>
Kraft und Güte ge&#x017F;chmälert werden. Mit den &#x201E;guten Bür¬<lb/>
gern&#x201C; verkommt auch der gute Staat und lö&#x017F;t &#x017F;ich in Anarchie<lb/>
und Ge&#x017F;etzlo&#x017F;igkeit auf. &#x201E;Achtung vor dem Ge&#x017F;etze!&#x201C; Durch<lb/>
die&#x017F;en Kitt wird das Staatsganze zu&#x017F;ammengehalten. &#x201E;Das<lb/>
Ge&#x017F;etz i&#x017F;t <hi rendition="#g">heilig</hi>, und wer daran frevelt, ein <hi rendition="#g">Verbrecher</hi>.&#x201C;<lb/>
Ohne Verbrechen kein Staat: die &#x017F;ittliche Welt &#x2014; und das<lb/>
i&#x017F;t der Staat &#x2014; &#x017F;teckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe<lb/>
u.&#x017F;.w. Da der Staat die &#x201E;Herr&#x017F;chaft des Ge&#x017F;etzes&#x201C;, die<lb/>
Hierarchie de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t, &#x017F;o kann der Egoi&#x017F;t in allen Fällen, wo<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ein</hi> Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des<lb/>
Verbrechens &#x017F;ich befriedigen.</p><lb/>
            <p>Der Staat kann den An&#x017F;pruch nicht aufgeben, daß &#x017F;eine<lb/><hi rendition="#g">Ge&#x017F;etze</hi> und Anordnungen <hi rendition="#g">heilig</hi> &#x017F;eien. Dabei gilt dann<lb/>
der Einzelne gerade &#x017F;o für den <hi rendition="#g">Unheiligen</hi> (Barbaren, na¬<lb/>
türlichen Men&#x017F;chen, &#x201E;Egoi&#x017F;ten&#x201C;) gegenüber dem Staate, wie er<lb/>
von der Kirche ein&#x017F;t betrachtet wurde; vor dem Einzelnen<lb/>
nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt<lb/>
er ein Duellge&#x017F;etz. Zwei Men&#x017F;chen, die beide darüber einig<lb/>
&#x017F;ind, daß &#x017F;ie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) ein¬<lb/>
&#x017F;etzen wollen, &#x017F;ollen dieß nicht dürfen, weil's der Staat nicht<lb/>
haben will: er &#x017F;etzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0322] ergreifen und einnehmen laſſen. Die Partei bleibt für ihn allezeit nichts als eine Partie: er iſt von der Partie, er nimmt Theil. Der beſte Staat wird offenbar derjenige ſein, welcher die loyalſten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für Geſetzlichkeit ſich verliert, um ſo mehr wird der Staat dieſes Syſtem der Sittlichkeit, dieſes ſittliche Leben ſelbſt, an Kraft und Güte geſchmälert werden. Mit den „guten Bür¬ gern“ verkommt auch der gute Staat und löſt ſich in Anarchie und Geſetzloſigkeit auf. „Achtung vor dem Geſetze!“ Durch dieſen Kitt wird das Staatsganze zuſammengehalten. „Das Geſetz iſt heilig, und wer daran frevelt, ein Verbrecher.“ Ohne Verbrechen kein Staat: die ſittliche Welt — und das iſt der Staat — ſteckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe u.ſ.w. Da der Staat die „Herrſchaft des Geſetzes“, die Hierarchie deſſelben iſt, ſo kann der Egoiſt in allen Fällen, wo ſein Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des Verbrechens ſich befriedigen. Der Staat kann den Anſpruch nicht aufgeben, daß ſeine Geſetze und Anordnungen heilig ſeien. Dabei gilt dann der Einzelne gerade ſo für den Unheiligen (Barbaren, na¬ türlichen Menſchen, „Egoiſten“) gegenüber dem Staate, wie er von der Kirche einſt betrachtet wurde; vor dem Einzelnen nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt er ein Duellgeſetz. Zwei Menſchen, die beide darüber einig ſind, daß ſie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) ein¬ ſetzen wollen, ſollen dieß nicht dürfen, weil's der Staat nicht haben will: er ſetzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/322
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/322>, abgerufen am 28.03.2024.