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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Nehmen Wir die von den Alten hinterlassene Erbschaft
auf und machen Wir als thätige Arbeiter damit so viel, als
sich -- damit machen läßt! Die Welt liegt verachtet zu Un¬
sern Füßen, tief unter Uns und Unserem Himmel, in den ihre
mächtigen Arme nicht mehr hineingreifen und ihr sinnbetäubender
Hauch nicht eindringt; wie verführerisch sie sich auch gebährde,
sie kann nichts als unsern Sinn bethören, den Geist -- und
Geist sind Wir doch allein wahrhaft -- irrt sie nicht. Einmal
hinter die Dinge gekommen, ist der Geist auch über sie ge¬
kommen, und frei geworden von ihren Banden, ein entknech¬
teter, jenseitiger freier. So spricht die "geistige Freiheit".

Dem Geiste, der nach langem Mühen die Welt los ge¬
worden ist, dem weltlosen Geiste, bleibt nach dem Verluste der
Welt und des Weltlichen nichts übrig, als -- der Geist und
das Geistige.

Da er jedoch sich von der Welt nur entfernt und zu einem
von ihr freien Wesen gemacht hat, ohne sie wirklich ver¬
nichten zu können, so bleibt sie ihm ein unwegräumbarer An¬
stoß, ein in Verruf gebrachtes Wesen, und da er andererseits
nichts kennt und anerkennt, als Geist und Geistiges, so muß
er fortdauernd sich mit der Sehnsucht tragen, die Welt zu ver¬
geistigen, d. h. sie aus dem "Verschiß" zu erlösen. Deshalb
geht er, wie ein Jüngling, mit Welterlösungs - oder Weltver¬
besserungsplänen um.

Die Alten dienten, Wir sahen es, dem Natürlichen, Welt¬
lichen, der natürlichen Weltordnung, aber sie fragten sich unauf¬
hörlich, ob sie denn dieses Dienstes sich nicht entheben könnten,
und als sie in stets erneuten Empörungsversuchen sich todmüde
gearbeitet hatten, da ward ihnen unter ihren letzten Seufzern
der Gott geboren, der "Weltüberwinder". All ihr Thun war

Nehmen Wir die von den Alten hinterlaſſene Erbſchaft
auf und machen Wir als thätige Arbeiter damit ſo viel, als
ſich — damit machen läßt! Die Welt liegt verachtet zu Un¬
ſern Füßen, tief unter Uns und Unſerem Himmel, in den ihre
mächtigen Arme nicht mehr hineingreifen und ihr ſinnbetäubender
Hauch nicht eindringt; wie verführeriſch ſie ſich auch gebährde,
ſie kann nichts als unſern Sinn bethören, den Geiſt — und
Geiſt ſind Wir doch allein wahrhaft — irrt ſie nicht. Einmal
hinter die Dinge gekommen, iſt der Geiſt auch über ſie ge¬
kommen, und frei geworden von ihren Banden, ein entknech¬
teter, jenſeitiger freier. So ſpricht die „geiſtige Freiheit“.

Dem Geiſte, der nach langem Mühen die Welt los ge¬
worden iſt, dem weltloſen Geiſte, bleibt nach dem Verluſte der
Welt und des Weltlichen nichts übrig, als — der Geiſt und
das Geiſtige.

Da er jedoch ſich von der Welt nur entfernt und zu einem
von ihr freien Weſen gemacht hat, ohne ſie wirklich ver¬
nichten zu können, ſo bleibt ſie ihm ein unwegräumbarer An¬
ſtoß, ein in Verruf gebrachtes Weſen, und da er andererſeits
nichts kennt und anerkennt, als Geiſt und Geiſtiges, ſo muß
er fortdauernd ſich mit der Sehnſucht tragen, die Welt zu ver¬
geiſtigen, d. h. ſie aus dem „Verſchiß“ zu erlöſen. Deshalb
geht er, wie ein Jüngling, mit Welterlöſungs - oder Weltver¬
beſſerungsplänen um.

Die Alten dienten, Wir ſahen es, dem Natürlichen, Welt¬
lichen, der natürlichen Weltordnung, aber ſie fragten ſich unauf¬
hörlich, ob ſie denn dieſes Dienſtes ſich nicht entheben könnten,
und als ſie in ſtets erneuten Empörungsverſuchen ſich todmüde
gearbeitet hatten, da ward ihnen unter ihren letzten Seufzern
der Gott geboren, der „Weltüberwinder“. All ihr Thun war

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[36/0044] Nehmen Wir die von den Alten hinterlaſſene Erbſchaft auf und machen Wir als thätige Arbeiter damit ſo viel, als ſich — damit machen läßt! Die Welt liegt verachtet zu Un¬ ſern Füßen, tief unter Uns und Unſerem Himmel, in den ihre mächtigen Arme nicht mehr hineingreifen und ihr ſinnbetäubender Hauch nicht eindringt; wie verführeriſch ſie ſich auch gebährde, ſie kann nichts als unſern Sinn bethören, den Geiſt — und Geiſt ſind Wir doch allein wahrhaft — irrt ſie nicht. Einmal hinter die Dinge gekommen, iſt der Geiſt auch über ſie ge¬ kommen, und frei geworden von ihren Banden, ein entknech¬ teter, jenſeitiger freier. So ſpricht die „geiſtige Freiheit“. Dem Geiſte, der nach langem Mühen die Welt los ge¬ worden iſt, dem weltloſen Geiſte, bleibt nach dem Verluſte der Welt und des Weltlichen nichts übrig, als — der Geiſt und das Geiſtige. Da er jedoch ſich von der Welt nur entfernt und zu einem von ihr freien Weſen gemacht hat, ohne ſie wirklich ver¬ nichten zu können, ſo bleibt ſie ihm ein unwegräumbarer An¬ ſtoß, ein in Verruf gebrachtes Weſen, und da er andererſeits nichts kennt und anerkennt, als Geiſt und Geiſtiges, ſo muß er fortdauernd ſich mit der Sehnſucht tragen, die Welt zu ver¬ geiſtigen, d. h. ſie aus dem „Verſchiß“ zu erlöſen. Deshalb geht er, wie ein Jüngling, mit Welterlöſungs - oder Weltver¬ beſſerungsplänen um. Die Alten dienten, Wir ſahen es, dem Natürlichen, Welt¬ lichen, der natürlichen Weltordnung, aber ſie fragten ſich unauf¬ hörlich, ob ſie denn dieſes Dienſtes ſich nicht entheben könnten, und als ſie in ſtets erneuten Empörungsverſuchen ſich todmüde gearbeitet hatten, da ward ihnen unter ihren letzten Seufzern der Gott geboren, der „Weltüberwinder“. All ihr Thun war

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/44>, abgerufen am 28.03.2024.