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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Geist nur, wenn er Geistiges schafft: er ist nur mit dem Gei¬
stigen, seinem Geschöpfe, zusammen wirklich.

Da Wir ihn denn an seinen Werken erkennen, so fragt
sich's, welches diese Werke seien. Die Werke oder Kinder
des Geistes sind aber nichts anderes als -- Geister.

Hätte Ich Juden, Juden von ächtem Schrot und Korn
vor Mir, so müßte Ich hier aufhören und sie vor diesem My¬
sterium stehen lassen, wie sie seit beinahe zweitausend Jahren
ungläubig und erkenntnißlos davor stehen geblieben sind. Da
Du aber, mein lieber Leser, wenigstens kein Vollblutsjude
bist, -- denn ein solcher wird sich nicht bis hierher verirren --
so wollen Wir noch eine Strecke Weges mit einander machen,
bis auch Du vielleicht Mir den Rücken kehrst, weil Ich Dir
ins Gesicht lache.

Sagte Dir Jemand, Du seiest ganz Geist, so würdest Du
an Deinen Leib fassen und ihm nicht glauben, sondern ant¬
worten: Ich habe wohl Geist, existire aber nicht bloß als
Geist, sondern bin ein leibhaftiger Mensch. Du würdest Dich
noch immer von "Deinem Geiste" unterscheiden. Aber, erwi¬
dert jener, es ist Deine Bestimmung, wenn Du auch jetzt noch
in den Fesseln des Leibes einhergehst, dereinst ein "seliger
Geist" zu werden, und wie Du das künftige Aussehen dieses
Geistes Dir auch vorstellen magst, so ist doch so viel gewiß,
daß Du im Tode diesen Leib ausziehen und gleichwohl Dich,
d. h. Deinen Geist, für die Ewigkeit erhalten wirst; mithin
ist Dein Geist das Ewige und Wahre an Dir, der Leib nur
eine diesseitige Wohnung, welche Du verlassen und vielleicht
mit einer andern vertauschen kannst.

Nun glaubst Du ihm! Für jetzt zwar bist Du nicht
bloß Geist, aber wenn Du einst aus dem sterblichen Leibe

Geiſt nur, wenn er Geiſtiges ſchafft: er iſt nur mit dem Gei¬
ſtigen, ſeinem Geſchöpfe, zuſammen wirklich.

Da Wir ihn denn an ſeinen Werken erkennen, ſo fragt
ſich's, welches dieſe Werke ſeien. Die Werke oder Kinder
des Geiſtes ſind aber nichts anderes als — Geiſter.

Hätte Ich Juden, Juden von ächtem Schrot und Korn
vor Mir, ſo müßte Ich hier aufhören und ſie vor dieſem My¬
ſterium ſtehen laſſen, wie ſie ſeit beinahe zweitauſend Jahren
ungläubig und erkenntnißlos davor ſtehen geblieben ſind. Da
Du aber, mein lieber Leſer, wenigſtens kein Vollblutsjude
biſt, — denn ein ſolcher wird ſich nicht bis hierher verirren —
ſo wollen Wir noch eine Strecke Weges mit einander machen,
bis auch Du vielleicht Mir den Rücken kehrſt, weil Ich Dir
ins Geſicht lache.

Sagte Dir Jemand, Du ſeieſt ganz Geiſt, ſo würdeſt Du
an Deinen Leib faſſen und ihm nicht glauben, ſondern ant¬
worten: Ich habe wohl Geiſt, exiſtire aber nicht bloß als
Geiſt, ſondern bin ein leibhaftiger Menſch. Du würdeſt Dich
noch immer von „Deinem Geiſte“ unterſcheiden. Aber, erwi¬
dert jener, es iſt Deine Beſtimmung, wenn Du auch jetzt noch
in den Feſſeln des Leibes einhergehſt, dereinſt ein „ſeliger
Geiſt“ zu werden, und wie Du das künftige Ausſehen dieſes
Geiſtes Dir auch vorſtellen magſt, ſo iſt doch ſo viel gewiß,
daß Du im Tode dieſen Leib ausziehen und gleichwohl Dich,
d. h. Deinen Geiſt, für die Ewigkeit erhalten wirſt; mithin
iſt Dein Geiſt das Ewige und Wahre an Dir, der Leib nur
eine diesſeitige Wohnung, welche Du verlaſſen und vielleicht
mit einer andern vertauſchen kannſt.

Nun glaubſt Du ihm! Für jetzt zwar biſt Du nicht
bloß Geiſt, aber wenn Du einſt aus dem ſterblichen Leibe

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[39/0047] Geiſt nur, wenn er Geiſtiges ſchafft: er iſt nur mit dem Gei¬ ſtigen, ſeinem Geſchöpfe, zuſammen wirklich. Da Wir ihn denn an ſeinen Werken erkennen, ſo fragt ſich's, welches dieſe Werke ſeien. Die Werke oder Kinder des Geiſtes ſind aber nichts anderes als — Geiſter. Hätte Ich Juden, Juden von ächtem Schrot und Korn vor Mir, ſo müßte Ich hier aufhören und ſie vor dieſem My¬ ſterium ſtehen laſſen, wie ſie ſeit beinahe zweitauſend Jahren ungläubig und erkenntnißlos davor ſtehen geblieben ſind. Da Du aber, mein lieber Leſer, wenigſtens kein Vollblutsjude biſt, — denn ein ſolcher wird ſich nicht bis hierher verirren — ſo wollen Wir noch eine Strecke Weges mit einander machen, bis auch Du vielleicht Mir den Rücken kehrſt, weil Ich Dir ins Geſicht lache. Sagte Dir Jemand, Du ſeieſt ganz Geiſt, ſo würdeſt Du an Deinen Leib faſſen und ihm nicht glauben, ſondern ant¬ worten: Ich habe wohl Geiſt, exiſtire aber nicht bloß als Geiſt, ſondern bin ein leibhaftiger Menſch. Du würdeſt Dich noch immer von „Deinem Geiſte“ unterſcheiden. Aber, erwi¬ dert jener, es iſt Deine Beſtimmung, wenn Du auch jetzt noch in den Feſſeln des Leibes einhergehſt, dereinſt ein „ſeliger Geiſt“ zu werden, und wie Du das künftige Ausſehen dieſes Geiſtes Dir auch vorſtellen magſt, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß Du im Tode dieſen Leib ausziehen und gleichwohl Dich, d. h. Deinen Geiſt, für die Ewigkeit erhalten wirſt; mithin iſt Dein Geiſt das Ewige und Wahre an Dir, der Leib nur eine diesſeitige Wohnung, welche Du verlaſſen und vielleicht mit einer andern vertauſchen kannſt. Nun glaubſt Du ihm! Für jetzt zwar biſt Du nicht bloß Geiſt, aber wenn Du einſt aus dem ſterblichen Leibe

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/47>, abgerufen am 18.04.2024.