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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Wie Du indeß vom Denker, Sänger und Sprecher Dich
unterscheidest, so unterscheidest Du Dich nicht minder vom
Geiste und fühlst sehr wohl, daß Du noch etwas anderes als
Geist bist. Allein wie dem denkenden Ich im Enthusiasmus
des Denkens leicht Hören und Sehen vergeht, so hat auch
Dich der Geist-Enthusiasmus ergriffen, und Du sehnst Dich
nun mit aller Gewalt, ganz Geist zu werden und im Geiste
aufzugehen. Der Geist ist Dein Ideal, das Unerreichte, das
Jenseitige: Geist heißt Dein -- Gott, "Gott ist Geist".

Gegen alles, was nicht Geist ist, bist Du ein Eiferer,
und darum eiferst Du gegen Dich selbst, der Du einen Rest
von Nichtgeistigem nicht los wirst. Statt zu sagen: "Ich bin
mehr als Geist," sagst Du mit Zerknirschung: "Ich bin
weniger als Geist, und Geist, reinen Geist, oder den Geist,
der nichts als Geist, den kann Ich Mir nur denken, bin es
aber nicht, und da Ich's nicht bin, so ist's ein Anderer, existirt
als ein Anderer, den Ich "Gott" nenne."

Es liegt in der Natur der Sache, daß der Geist, der als
reiner Geist existiren soll, ein jenseitiger sein muß, denn da
Ich's nicht bin, so kann er nur außer Mir sein, da ein
Mensch überhaupt nicht völlig in dem Begriffe "Geist" auf¬
geht, so kann der reine Geist, der Geist als solcher, nur außer¬
halb der Menschen sein, nur jenseits der Menschenwelt, nicht
irdisch, sondern himmlisch.

Nur aus diesem Zwiespalt, in welchem Ich und der Geist
liegen, nur weil Ich und Geist nicht Namen für ein und das¬
selbe, sondern verschiedene Namen für völlig Verschiedenes sind,
nur weil Ich nicht Geist und Geist nicht Ich ist: nur daraus
erklärt sich ganz tautologisch die Nothwendigkeit, daß der Geist
im Jenseits haust, d.h. Gott ist.

Wie Du indeß vom Denker, Sänger und Sprecher Dich
unterſcheideſt, ſo unterſcheideſt Du Dich nicht minder vom
Geiſte und fühlſt ſehr wohl, daß Du noch etwas anderes als
Geiſt biſt. Allein wie dem denkenden Ich im Enthuſiasmus
des Denkens leicht Hören und Sehen vergeht, ſo hat auch
Dich der Geiſt-Enthuſiasmus ergriffen, und Du ſehnſt Dich
nun mit aller Gewalt, ganz Geiſt zu werden und im Geiſte
aufzugehen. Der Geiſt iſt Dein Ideal, das Unerreichte, das
Jenſeitige: Geiſt heißt Dein — Gott, „Gott iſt Geiſt“.

Gegen alles, was nicht Geiſt iſt, biſt Du ein Eiferer,
und darum eiferſt Du gegen Dich ſelbſt, der Du einen Reſt
von Nichtgeiſtigem nicht los wirſt. Statt zu ſagen: „Ich bin
mehr als Geiſt,“ ſagſt Du mit Zerknirſchung: „Ich bin
weniger als Geiſt, und Geiſt, reinen Geiſt, oder den Geiſt,
der nichts als Geiſt, den kann Ich Mir nur denken, bin es
aber nicht, und da Ich's nicht bin, ſo iſt's ein Anderer, exiſtirt
als ein Anderer, den Ich „Gott“ nenne.“

Es liegt in der Natur der Sache, daß der Geiſt, der als
reiner Geiſt exiſtiren ſoll, ein jenſeitiger ſein muß, denn da
Ich's nicht bin, ſo kann er nur außer Mir ſein, da ein
Menſch überhaupt nicht völlig in dem Begriffe „Geiſt“ auf¬
geht, ſo kann der reine Geiſt, der Geiſt als ſolcher, nur außer¬
halb der Menſchen ſein, nur jenſeits der Menſchenwelt, nicht
irdiſch, ſondern himmliſch.

Nur aus dieſem Zwieſpalt, in welchem Ich und der Geiſt
liegen, nur weil Ich und Geiſt nicht Namen für ein und daſ¬
ſelbe, ſondern verſchiedene Namen für völlig Verſchiedenes ſind,
nur weil Ich nicht Geiſt und Geiſt nicht Ich iſt: nur daraus
erklärt ſich ganz tautologiſch die Nothwendigkeit, daß der Geiſt
im Jenſeits hauſt, d.h. Gott iſt.

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[42/0050] Wie Du indeß vom Denker, Sänger und Sprecher Dich unterſcheideſt, ſo unterſcheideſt Du Dich nicht minder vom Geiſte und fühlſt ſehr wohl, daß Du noch etwas anderes als Geiſt biſt. Allein wie dem denkenden Ich im Enthuſiasmus des Denkens leicht Hören und Sehen vergeht, ſo hat auch Dich der Geiſt-Enthuſiasmus ergriffen, und Du ſehnſt Dich nun mit aller Gewalt, ganz Geiſt zu werden und im Geiſte aufzugehen. Der Geiſt iſt Dein Ideal, das Unerreichte, das Jenſeitige: Geiſt heißt Dein — Gott, „Gott iſt Geiſt“. Gegen alles, was nicht Geiſt iſt, biſt Du ein Eiferer, und darum eiferſt Du gegen Dich ſelbſt, der Du einen Reſt von Nichtgeiſtigem nicht los wirſt. Statt zu ſagen: „Ich bin mehr als Geiſt,“ ſagſt Du mit Zerknirſchung: „Ich bin weniger als Geiſt, und Geiſt, reinen Geiſt, oder den Geiſt, der nichts als Geiſt, den kann Ich Mir nur denken, bin es aber nicht, und da Ich's nicht bin, ſo iſt's ein Anderer, exiſtirt als ein Anderer, den Ich „Gott“ nenne.“ Es liegt in der Natur der Sache, daß der Geiſt, der als reiner Geiſt exiſtiren ſoll, ein jenſeitiger ſein muß, denn da Ich's nicht bin, ſo kann er nur außer Mir ſein, da ein Menſch überhaupt nicht völlig in dem Begriffe „Geiſt“ auf¬ geht, ſo kann der reine Geiſt, der Geiſt als ſolcher, nur außer¬ halb der Menſchen ſein, nur jenſeits der Menſchenwelt, nicht irdiſch, ſondern himmliſch. Nur aus dieſem Zwieſpalt, in welchem Ich und der Geiſt liegen, nur weil Ich und Geiſt nicht Namen für ein und daſ¬ ſelbe, ſondern verſchiedene Namen für völlig Verſchiedenes ſind, nur weil Ich nicht Geiſt und Geiſt nicht Ich iſt: nur daraus erklärt ſich ganz tautologiſch die Nothwendigkeit, daß der Geiſt im Jenſeits hauſt, d.h. Gott iſt.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/50>, abgerufen am 29.03.2024.