Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

"Herr, die Magd Ann' Grethe ging hinaus;
sie hatte den Warmkorb hereingebracht."

-- "Was sieht Sie mich denn so verfahren
an, Frau Levke?"

"Ich? Ich hab' mich ob Eurem Gebet er-
schrocken; damit betet Ihr Keinen vom Tode los!"

Hauke sah sie mit seinen durchdringenden Augen
an: "Besucht Sie denn auch, wie unsere Ann'
Grethe, die Conventikel bei dem holländischen Flick-
schneider Jantje?"

"Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen
Glauben!"

Hauke antwortete ihr nicht. Das damals stark
im Schwange gehende separatistische Conventikel-
Wesen hatte auch unter den Friesen seine Blüthen
getrieben; heruntergekommene Handwerker oder
wegen Trunkes abgesetzte Schulmeister spielten
darin die Hauptrolle, und Dirnen, junge und alte
Weiber, Faulenzer und einsame Menschen liefen
eifrig in die heimlichen Versammlungen, in denen
jeder den Priester spielen konnte. Aus des Deich-
grafen Hause brachten Ann' Grethe und der in sie
verliebte Dienstjunge ihre freien Abende dort zu.
Freilich hatte Elke ihre Bedenken darüber gegen

„Herr, die Magd Ann' Grethe ging hinaus;
ſie hatte den Warmkorb hereingebracht.”

— „Was ſieht Sie mich denn ſo verfahren
an, Frau Levke?”

„Ich? Ich hab' mich ob Eurem Gebet er-
ſchrocken; damit betet Ihr Keinen vom Tode los!”

Hauke ſah ſie mit ſeinen durchdringenden Augen
an: „Beſucht Sie denn auch, wie unſere Ann'
Grethe, die Conventikel bei dem holländiſchen Flick-
ſchneider Jantje?”

„Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen
Glauben!”

Hauke antwortete ihr nicht. Das damals ſtark
im Schwange gehende ſeparatiſtiſche Conventikel-
Weſen hatte auch unter den Frieſen ſeine Blüthen
getrieben; heruntergekommene Handwerker oder
wegen Trunkes abgeſetzte Schulmeiſter ſpielten
darin die Hauptrolle, und Dirnen, junge und alte
Weiber, Faulenzer und einſame Menſchen liefen
eifrig in die heimlichen Verſammlungen, in denen
jeder den Prieſter ſpielen konnte. Aus des Deich-
grafen Hauſe brachten Ann' Grethe und der in ſie
verliebte Dienſtjunge ihre freien Abende dort zu.
Freilich hatte Elke ihre Bedenken darüber gegen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0162" n="150"/>
        <p>&#x201E;Herr, die Magd Ann' Grethe ging hinaus;<lb/>
&#x017F;ie hatte den Warmkorb hereingebracht.&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Was &#x017F;ieht Sie mich denn &#x017F;o verfahren<lb/>
an, Frau Levke?&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich? Ich hab' mich ob Eurem Gebet er-<lb/>
&#x017F;chrocken; damit betet Ihr Keinen vom Tode los!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Hauke &#x017F;ah &#x017F;ie mit &#x017F;einen durchdringenden Augen<lb/>
an: &#x201E;Be&#x017F;ucht Sie denn auch, wie un&#x017F;ere Ann'<lb/>
Grethe, die Conventikel bei dem holländi&#x017F;chen Flick-<lb/>
&#x017F;chneider Jantje?&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen<lb/>
Glauben!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Hauke antwortete ihr nicht. Das damals &#x017F;tark<lb/>
im Schwange gehende &#x017F;eparati&#x017F;ti&#x017F;che Conventikel-<lb/>
We&#x017F;en hatte auch unter den Frie&#x017F;en &#x017F;eine Blüthen<lb/>
getrieben; heruntergekommene Handwerker oder<lb/>
wegen Trunkes abge&#x017F;etzte Schulmei&#x017F;ter &#x017F;pielten<lb/>
darin die Hauptrolle, und Dirnen, junge und alte<lb/>
Weiber, Faulenzer und ein&#x017F;ame Men&#x017F;chen liefen<lb/>
eifrig in die heimlichen Ver&#x017F;ammlungen, in denen<lb/>
jeder den Prie&#x017F;ter &#x017F;pielen konnte. Aus des Deich-<lb/>
grafen Hau&#x017F;e brachten Ann' Grethe und der in &#x017F;ie<lb/>
verliebte Dien&#x017F;tjunge ihre freien Abende dort zu.<lb/>
Freilich hatte Elke ihre Bedenken darüber gegen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0162] „Herr, die Magd Ann' Grethe ging hinaus; ſie hatte den Warmkorb hereingebracht.” — „Was ſieht Sie mich denn ſo verfahren an, Frau Levke?” „Ich? Ich hab' mich ob Eurem Gebet er- ſchrocken; damit betet Ihr Keinen vom Tode los!” Hauke ſah ſie mit ſeinen durchdringenden Augen an: „Beſucht Sie denn auch, wie unſere Ann' Grethe, die Conventikel bei dem holländiſchen Flick- ſchneider Jantje?” „Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen Glauben!” Hauke antwortete ihr nicht. Das damals ſtark im Schwange gehende ſeparatiſtiſche Conventikel- Weſen hatte auch unter den Frieſen ſeine Blüthen getrieben; heruntergekommene Handwerker oder wegen Trunkes abgeſetzte Schulmeiſter ſpielten darin die Hauptrolle, und Dirnen, junge und alte Weiber, Faulenzer und einſame Menſchen liefen eifrig in die heimlichen Verſammlungen, in denen jeder den Prieſter ſpielen konnte. Aus des Deich- grafen Hauſe brachten Ann' Grethe und der in ſie verliebte Dienſtjunge ihre freien Abende dort zu. Freilich hatte Elke ihre Bedenken darüber gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/162
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/162>, abgerufen am 19.04.2024.