Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn dann der Schimmel seine braunen Augen
auf das Kind gerichtet hielt, dann sprach er wohl:
"Komm her; sollst auch die Ehre haben!" und er
setzte die kleine Wienke -- denn so war sie getauft
worden -- auf seinen Sattel und führte den
Schimmel auf der Werft im Kreise herum. Auch
der alte Eschenbaum hatte mitunter die Ehre; er
setzte das Kind auf einen schwanken Ast und ließ
es schaukeln. Die Mutter stand mit lachenden
Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte
nicht, seine Augen, zwischen denen ein feines
Näschen stand, schauten ein wenig stumpf ins
Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem
Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete
nicht darauf, er wußte auch nichts von so kleinen
Kindern; nur Elke, wenn sie das helläugige Mädchen
auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit
ihr zugleich das Wochenbett bestanden hatte, sagte
mitunter schmerzlich: "Das Meine ist noch nicht so
weit wie Deines, Stina!" und die Frau, ihren
dicken Jungen, den sie an der Hand hatte, mit
derber Liebe schüttelnd, rief dann wohl: "Ja,
Frau, die Kinder sind verschieden; der da, der
stahl mir schon die Aepfel aus der Kammer, bevor

wenn dann der Schimmel ſeine braunen Augen
auf das Kind gerichtet hielt, dann ſprach er wohl:
„Komm her; ſollſt auch die Ehre haben!” und er
ſetzte die kleine Wienke — denn ſo war ſie getauft
worden — auf ſeinen Sattel und führte den
Schimmel auf der Werft im Kreiſe herum. Auch
der alte Eſchenbaum hatte mitunter die Ehre; er
ſetzte das Kind auf einen ſchwanken Aſt und ließ
es ſchaukeln. Die Mutter ſtand mit lachenden
Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte
nicht, ſeine Augen, zwiſchen denen ein feines
Näschen ſtand, ſchauten ein wenig ſtumpf ins
Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem
Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete
nicht darauf, er wußte auch nichts von ſo kleinen
Kindern; nur Elke, wenn ſie das helläugige Mädchen
auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit
ihr zugleich das Wochenbett beſtanden hatte, ſagte
mitunter ſchmerzlich: „Das Meine iſt noch nicht ſo
weit wie Deines, Stina!” und die Frau, ihren
dicken Jungen, den ſie an der Hand hatte, mit
derber Liebe ſchüttelnd, rief dann wohl: „Ja,
Frau, die Kinder ſind verſchieden; der da, der
ſtahl mir ſchon die Aepfel aus der Kammer, bevor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0168" n="156"/>
wenn dann der Schimmel &#x017F;eine braunen Augen<lb/>
auf das Kind gerichtet hielt, dann &#x017F;prach er wohl:<lb/>
&#x201E;Komm her; &#x017F;oll&#x017F;t auch die Ehre haben!&#x201D; und er<lb/>
&#x017F;etzte die kleine Wienke &#x2014; denn &#x017F;o war &#x017F;ie getauft<lb/>
worden &#x2014; auf &#x017F;einen Sattel und führte den<lb/>
Schimmel auf der Werft im Krei&#x017F;e herum. Auch<lb/>
der alte E&#x017F;chenbaum hatte mitunter die Ehre; er<lb/>
&#x017F;etzte das Kind auf einen &#x017F;chwanken A&#x017F;t und ließ<lb/>
es &#x017F;chaukeln. Die Mutter &#x017F;tand mit lachenden<lb/>
Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte<lb/>
nicht, &#x017F;eine Augen, zwi&#x017F;chen denen ein feines<lb/>
Näschen &#x017F;tand, &#x017F;chauten ein wenig &#x017F;tumpf ins<lb/>
Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem<lb/>
Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete<lb/>
nicht darauf, er wußte auch nichts von &#x017F;o kleinen<lb/>
Kindern; nur Elke, wenn &#x017F;ie das helläugige Mädchen<lb/>
auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit<lb/>
ihr zugleich das Wochenbett be&#x017F;tanden hatte, &#x017F;agte<lb/>
mitunter &#x017F;chmerzlich: &#x201E;Das Meine i&#x017F;t noch nicht &#x017F;o<lb/>
weit wie Deines, Stina!&#x201D; und die Frau, ihren<lb/>
dicken Jungen, den &#x017F;ie an der Hand hatte, mit<lb/>
derber Liebe &#x017F;chüttelnd, rief dann wohl: &#x201E;Ja,<lb/>
Frau, die Kinder &#x017F;ind ver&#x017F;chieden; der da, der<lb/>
&#x017F;tahl mir &#x017F;chon die Aepfel aus der Kammer, bevor<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0168] wenn dann der Schimmel ſeine braunen Augen auf das Kind gerichtet hielt, dann ſprach er wohl: „Komm her; ſollſt auch die Ehre haben!” und er ſetzte die kleine Wienke — denn ſo war ſie getauft worden — auf ſeinen Sattel und führte den Schimmel auf der Werft im Kreiſe herum. Auch der alte Eſchenbaum hatte mitunter die Ehre; er ſetzte das Kind auf einen ſchwanken Aſt und ließ es ſchaukeln. Die Mutter ſtand mit lachenden Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte nicht, ſeine Augen, zwiſchen denen ein feines Näschen ſtand, ſchauten ein wenig ſtumpf ins Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete nicht darauf, er wußte auch nichts von ſo kleinen Kindern; nur Elke, wenn ſie das helläugige Mädchen auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit ihr zugleich das Wochenbett beſtanden hatte, ſagte mitunter ſchmerzlich: „Das Meine iſt noch nicht ſo weit wie Deines, Stina!” und die Frau, ihren dicken Jungen, den ſie an der Hand hatte, mit derber Liebe ſchüttelnd, rief dann wohl: „Ja, Frau, die Kinder ſind verſchieden; der da, der ſtahl mir ſchon die Aepfel aus der Kammer, bevor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/168
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/168>, abgerufen am 28.03.2024.