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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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er; "nur fürcht' ich, ich werd' es finden, wie ich
es heut' gesehen habe."

-- Eine unruhige Nacht folgte diesem Tage;
Hauke wälzte sich schlaflos in seinen Kissen. "Was
ist Dir?" frug ihn Elke, welche die Sorge um
ihren Mann wach hielt; "drückt Dich etwas, so
sprich es von Dir; wir haben's ja immer so
gehalten!"

"Es hat nichts auf sich, Elke!" erwiderte er,
"am Deiche, an den Schleusen ist was zu repariren;
Du weißt, daß ich das allzeit Nachts in mir zu
verarbeiten habe." Weiter sagte er nichts; er
wollte sich die Freiheit seines Handelns vorbehalten;
ihm unbewußt war die klare Einsicht und der
kräftige Geist seines Weibes ihm in seiner augen-
blicklichen Schwäche ein Hinderniß, dem er unwill-
kürlich auswich.

-- -- Am folgenden Vormittag, als er
wieder auf den Deich hinauskam, war die Welt
eine andere, als wie er sie Tags zuvor gefunden
hatte; zwar war wieder hohl' Ebbe, aber der Tag
war noch im Steigen, und eine lichte Frühlingssonne
ließ ihre Strahlen fast senkrecht auf die unabsehbaren
Watten fallen; die weißen Möven schwebten ruhig

er; „nur fürcht' ich, ich werd' es finden, wie ich
es heut' geſehen habe.”

— Eine unruhige Nacht folgte dieſem Tage;
Hauke wälzte ſich ſchlaflos in ſeinen Kiſſen. „Was
iſt Dir?” frug ihn Elke, welche die Sorge um
ihren Mann wach hielt; „drückt Dich etwas, ſo
ſprich es von Dir; wir haben's ja immer ſo
gehalten!”

„Es hat nichts auf ſich, Elke!” erwiderte er,
„am Deiche, an den Schleuſen iſt was zu repariren;
Du weißt, daß ich das allzeit Nachts in mir zu
verarbeiten habe.” Weiter ſagte er nichts; er
wollte ſich die Freiheit ſeines Handelns vorbehalten;
ihm unbewußt war die klare Einſicht und der
kräftige Geiſt ſeines Weibes ihm in ſeiner augen-
blicklichen Schwäche ein Hinderniß, dem er unwill-
kürlich auswich.

— — Am folgenden Vormittag, als er
wieder auf den Deich hinauskam, war die Welt
eine andere, als wie er ſie Tags zuvor gefunden
hatte; zwar war wieder hohl' Ebbe, aber der Tag
war noch im Steigen, und eine lichte Frühlingsſonne
ließ ihre Strahlen faſt ſenkrecht auf die unabſehbaren
Watten fallen; die weißen Möven ſchwebten ruhig

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[192/0204] er; „nur fürcht' ich, ich werd' es finden, wie ich es heut' geſehen habe.” — Eine unruhige Nacht folgte dieſem Tage; Hauke wälzte ſich ſchlaflos in ſeinen Kiſſen. „Was iſt Dir?” frug ihn Elke, welche die Sorge um ihren Mann wach hielt; „drückt Dich etwas, ſo ſprich es von Dir; wir haben's ja immer ſo gehalten!” „Es hat nichts auf ſich, Elke!” erwiderte er, „am Deiche, an den Schleuſen iſt was zu repariren; Du weißt, daß ich das allzeit Nachts in mir zu verarbeiten habe.” Weiter ſagte er nichts; er wollte ſich die Freiheit ſeines Handelns vorbehalten; ihm unbewußt war die klare Einſicht und der kräftige Geiſt ſeines Weibes ihm in ſeiner augen- blicklichen Schwäche ein Hinderniß, dem er unwill- kürlich auswich. — — Am folgenden Vormittag, als er wieder auf den Deich hinauskam, war die Welt eine andere, als wie er ſie Tags zuvor gefunden hatte; zwar war wieder hohl' Ebbe, aber der Tag war noch im Steigen, und eine lichte Frühlingsſonne ließ ihre Strahlen faſt ſenkrecht auf die unabſehbaren Watten fallen; die weißen Möven ſchwebten ruhig

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/204>, abgerufen am 29.03.2024.