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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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und die Krähen, die im Nebel so groß und fürchterlich
erschienen; die holten sich die Fische aus den offenen
Spalten.

Weiß Gott, Herr!" unterbrach sich der
Schulmeister; "es gibt auf Erden allerlei Dinge,
die ein ehrlich Christenherz verwirren können;
aber der Hauke war weder ein Narr noch ein
Dummkopf."

Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren;
aber unter den übrigen Gästen, die bisher lautlos
zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqualm
das niedrige Zimmer füllend, entstand eine plötzliche
Bewegung; erst Einzelne, dann fast Alle wandten
sich dem Fenster zu. Draußen -- man sah es durch
die unverhangenen Fenster -- trieb der Sturm
die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durch-
einander; aber auch mir war es, als hätte ich
den hageren Reiter auf seinem Schimmel vorbei-
sausen gesehen.

"Wart Er ein wenig, Schulmeister!" sagte
der Deichgraf leise.

"Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deich-
graf!" erwiderte der kleine Erzähler, "ich habe ihn
nicht geschmäht, und hab' auch dessen keine Ur-

und die Krähen, die im Nebel ſo groß und fürchterlich
erſchienen; die holten ſich die Fiſche aus den offenen
Spalten.

Weiß Gott, Herr!” unterbrach ſich der
Schulmeiſter; „es gibt auf Erden allerlei Dinge,
die ein ehrlich Chriſtenherz verwirren können;
aber der Hauke war weder ein Narr noch ein
Dummkopf.”

Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren;
aber unter den übrigen Gäſten, die bisher lautlos
zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqualm
das niedrige Zimmer füllend, entſtand eine plötzliche
Bewegung; erſt Einzelne, dann faſt Alle wandten
ſich dem Fenſter zu. Draußen — man ſah es durch
die unverhangenen Fenſter — trieb der Sturm
die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durch-
einander; aber auch mir war es, als hätte ich
den hageren Reiter auf ſeinem Schimmel vorbei-
ſauſen geſehen.

„Wart Er ein wenig, Schulmeiſter!” ſagte
der Deichgraf leiſe.

„Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deich-
graf!” erwiderte der kleine Erzähler, „ich habe ihn
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[22/0034] und die Krähen, die im Nebel ſo groß und fürchterlich erſchienen; die holten ſich die Fiſche aus den offenen Spalten. Weiß Gott, Herr!” unterbrach ſich der Schulmeiſter; „es gibt auf Erden allerlei Dinge, die ein ehrlich Chriſtenherz verwirren können; aber der Hauke war weder ein Narr noch ein Dummkopf.” Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren; aber unter den übrigen Gäſten, die bisher lautlos zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqualm das niedrige Zimmer füllend, entſtand eine plötzliche Bewegung; erſt Einzelne, dann faſt Alle wandten ſich dem Fenſter zu. Draußen — man ſah es durch die unverhangenen Fenſter — trieb der Sturm die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durch- einander; aber auch mir war es, als hätte ich den hageren Reiter auf ſeinem Schimmel vorbei- ſauſen geſehen. „Wart Er ein wenig, Schulmeiſter!” ſagte der Deichgraf leiſe. „Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deich- graf!” erwiderte der kleine Erzähler, „ich habe ihn nicht geſchmäht, und hab' auch deſſen keine Ur-

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/34>, abgerufen am 28.03.2024.