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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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Da streckte Hauke ihr den Arm entgegen: "Elke,
gib mir die Hand darauf!"

Ein tiefes Roth schoß unter die dunkeln Brauen
des Mädchens. "Warum? Ich lüg' ja nicht!"
rief sie.

Hauke wollte antworten; aber sie war schon
zum Stall hinaus, und er stand mit seiner Furke
in der Hand und hörte nur, wie draußen die
Enten und Hühner um sie schnatterten und krähten.


Es war im Januar von Hauke's drittem
Dienstjahre, als ein Winterfest gehalten werden
sollte; "Eisboseln" nennen sie es hier. Ein
ständiger Frost hatte beim Ruhen der Küstenwinde
alle Gräben zwischen den Fennen mit einer festen
ebenen Krystallfläche belegt, so daß die zerschnittenen
Landstücke nun eine weite Bahn für das Werfen
der kleinen mit Blei ausgegossenen Holzkugeln
bildeten, womit das Ziel erreicht werden sollte.
Tag aus, Tag ein wehte ein leichter Nordost: Alles
war schon in Ordnung; die Geestleute in dem zu
Osten über der Marsch belegenen Kirchdorf, die
im vorigen Jahre gesiegt hatten, waren zum Wett-
kampf gefordert und hatten angenommen; von

Da ſtreckte Hauke ihr den Arm entgegen: „Elke,
gib mir die Hand darauf!”

Ein tiefes Roth ſchoß unter die dunkeln Brauen
des Mädchens. „Warum? Ich lüg' ja nicht!”
rief ſie.

Hauke wollte antworten; aber ſie war ſchon
zum Stall hinaus, und er ſtand mit ſeiner Furke
in der Hand und hörte nur, wie draußen die
Enten und Hühner um ſie ſchnatterten und krähten.


Es war im Januar von Hauke's drittem
Dienſtjahre, als ein Winterfeſt gehalten werden
ſollte; „Eisboſeln” nennen ſie es hier. Ein
ſtändiger Froſt hatte beim Ruhen der Küſtenwinde
alle Gräben zwiſchen den Fennen mit einer feſten
ebenen Kryſtallfläche belegt, ſo daß die zerſchnittenen
Landſtücke nun eine weite Bahn für das Werfen
der kleinen mit Blei ausgegoſſenen Holzkugeln
bildeten, womit das Ziel erreicht werden ſollte.
Tag aus, Tag ein wehte ein leichter Nordoſt: Alles
war ſchon in Ordnung; die Geeſtleute in dem zu
Oſten über der Marſch belegenen Kirchdorf, die
im vorigen Jahre geſiegt hatten, waren zum Wett-
kampf gefordert und hatten angenommen; von

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[53/0065] Da ſtreckte Hauke ihr den Arm entgegen: „Elke, gib mir die Hand darauf!” Ein tiefes Roth ſchoß unter die dunkeln Brauen des Mädchens. „Warum? Ich lüg' ja nicht!” rief ſie. Hauke wollte antworten; aber ſie war ſchon zum Stall hinaus, und er ſtand mit ſeiner Furke in der Hand und hörte nur, wie draußen die Enten und Hühner um ſie ſchnatterten und krähten. Es war im Januar von Hauke's drittem Dienſtjahre, als ein Winterfeſt gehalten werden ſollte; „Eisboſeln” nennen ſie es hier. Ein ſtändiger Froſt hatte beim Ruhen der Küſtenwinde alle Gräben zwiſchen den Fennen mit einer feſten ebenen Kryſtallfläche belegt, ſo daß die zerſchnittenen Landſtücke nun eine weite Bahn für das Werfen der kleinen mit Blei ausgegoſſenen Holzkugeln bildeten, womit das Ziel erreicht werden ſollte. Tag aus, Tag ein wehte ein leichter Nordoſt: Alles war ſchon in Ordnung; die Geeſtleute in dem zu Oſten über der Marſch belegenen Kirchdorf, die im vorigen Jahre geſiegt hatten, waren zum Wett- kampf gefordert und hatten angenommen; von

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/65>, abgerufen am 25.04.2024.