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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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Ring mußte sogar aus dieser noch in eine neue
Westentasche wandern; die Gelegenheit zu seiner
Befreiung hatte sich noch immer nicht ergeben wollen.
Wohl war's ihm durch den Kopf geflogen, nur
graden Wegs vor seinen Wirth hinzutreten; sein
Vater war ja doch auch ein Eingesessener! Aber
wenn er ruhiger wurde, dann wußte er wohl, der
alte Deichgraf würde seinen Kleinknecht ausgelacht
haben. Und so lebten er und des Deichgrafen
Tochter neben einander hin; auch sie in mädchen-
haftem Schweigen, und Beide doch, als ob sie all-
zeit Hand in Hand gingen.

Ein Jahr nach jenem Winterfesttag hatte Ole
Peters seinen Dienst gekündigt und mit Vollina
Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht ge-
habt: der Alte war auf Altentheil gegangen, und
statt der dicken Tochter ritt nun der muntere
Schwiegersohn die gelbe Stute in die Fenne und,
wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich
hinan. Hauke war Großknecht geworden, und ein
Jüngerer an seine Stelle getreten; wohl hatte der
Deichgraf ihn erst nicht wollen aufrücken lassen.
"Kleinknecht ist besser!" hatte er gebrummt; "ich
brauch' ihn hier bei meinen Büchern!" Aber Elke

Ring mußte ſogar aus dieſer noch in eine neue
Weſtentaſche wandern; die Gelegenheit zu ſeiner
Befreiung hatte ſich noch immer nicht ergeben wollen.
Wohl war's ihm durch den Kopf geflogen, nur
graden Wegs vor ſeinen Wirth hinzutreten; ſein
Vater war ja doch auch ein Eingeſeſſener! Aber
wenn er ruhiger wurde, dann wußte er wohl, der
alte Deichgraf würde ſeinen Kleinknecht ausgelacht
haben. Und ſo lebten er und des Deichgrafen
Tochter neben einander hin; auch ſie in mädchen-
haftem Schweigen, und Beide doch, als ob ſie all-
zeit Hand in Hand gingen.

Ein Jahr nach jenem Winterfeſttag hatte Ole
Peters ſeinen Dienſt gekündigt und mit Vollina
Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht ge-
habt: der Alte war auf Altentheil gegangen, und
ſtatt der dicken Tochter ritt nun der muntere
Schwiegerſohn die gelbe Stute in die Fenne und,
wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich
hinan. Hauke war Großknecht geworden, und ein
Jüngerer an ſeine Stelle getreten; wohl hatte der
Deichgraf ihn erſt nicht wollen aufrücken laſſen.
„Kleinknecht iſt beſſer!” hatte er gebrummt; „ich
brauch' ihn hier bei meinen Büchern!” Aber Elke

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[73/0085] Ring mußte ſogar aus dieſer noch in eine neue Weſtentaſche wandern; die Gelegenheit zu ſeiner Befreiung hatte ſich noch immer nicht ergeben wollen. Wohl war's ihm durch den Kopf geflogen, nur graden Wegs vor ſeinen Wirth hinzutreten; ſein Vater war ja doch auch ein Eingeſeſſener! Aber wenn er ruhiger wurde, dann wußte er wohl, der alte Deichgraf würde ſeinen Kleinknecht ausgelacht haben. Und ſo lebten er und des Deichgrafen Tochter neben einander hin; auch ſie in mädchen- haftem Schweigen, und Beide doch, als ob ſie all- zeit Hand in Hand gingen. Ein Jahr nach jenem Winterfeſttag hatte Ole Peters ſeinen Dienſt gekündigt und mit Vollina Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht ge- habt: der Alte war auf Altentheil gegangen, und ſtatt der dicken Tochter ritt nun der muntere Schwiegerſohn die gelbe Stute in die Fenne und, wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich hinan. Hauke war Großknecht geworden, und ein Jüngerer an ſeine Stelle getreten; wohl hatte der Deichgraf ihn erſt nicht wollen aufrücken laſſen. „Kleinknecht iſt beſſer!” hatte er gebrummt; „ich brauch' ihn hier bei meinen Büchern!” Aber Elke

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/85>, abgerufen am 29.03.2024.